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Sicherung des Erreichten durch soziale Marktwirtschaft

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Mit ihrem Linzer Parteitag hat die große Oppositionspartei den Startschuß zum Denken in Alternativen gegeben. Eine Zusammenschau der Resolution „Einkommensicherung” mit dem Schlußreferat des mit überwältigender Mehrheit wiedergewählten Parteiobmannes zeigt, daß manche Weiche gestellt wurde, die geeignet sein könnte, in eine zu bewältigende Zukunft zu weisen, wenn sie nur konsequent genug befahren wird!

Neu ist die Darstellung des Anliegens, das nicht -wie herkömmlich - als wirtschafts- und sozialpolitisches Programm, sondern vom Standpunkt des betroffenen Menschen aus gesehen wird: als Sorge um sein Einkommen. Der Wirtschaftsprozeß hat stets zwei Gesichter: die Produktion von Gütern und die Erzielung von Einkommen. Nach den Jahren der Fülle und des Wachstums sind wir heute in eine Periode der Sorge um die Einkommen eingetreten. Die Zielsetzung der Einkommensicherung ist heute erfrischend realistisch: es geht zunächst darum, das zu erhalten und zu sichern, was ein schwindelerregender Aufstieg ermöglichte.

Die Krise, in welcher wir stehen und die viele schon überwunden glauben, ist nicht nur eine ökonomische, die nach wiedererreichten passablen Zuwachsraten des Sozialprodukts (auf wie lange?) hinter uns zu liegen scheint. Wir erleben eine Krise des Staates, der auf sozialem Gebiet als Versorgungsstaat, aber auch auf anderen Gebieten, seit langem einfach überfordert wird - bis zu seiner „Ohnmacht infolge Un- regierbarkeit” und schließlich zur immer häufiger festzustellenden „Staatsverdrossenheit”.

Die Einkommen sind heute an allen ihren Quellen bedroht. Zunächst vom Schatten drohender struktureller Arbeitslosigkeit infolge genereller Wachstumsschwächen im allgemeinen und drohender Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit dem Ausland gegenüber im besonderen.

Bedroht sind die Einkommen ferner durch den wachsenden Zugriff des „stillen Teilhabers” Staat, der auf Grund der überforderten öffentlichen Haushalte sich das vom Wohlstandsbürger holen muß, was er mit der anderen Hand verteilt. Ein Anstieg des Anteiles der Steuern aller Art von rund 35 auf 40 Prozent des Sozialproduktes innerhalb eines Jahrzehntes muß sich in den Einkommen niederschlagen. Dazu kommt die Erosion der Einkommen durch die hartnäckige Inflation, die nach den Abstrichen auf Grund der für ganz andere Realeinkommen gedachten progressiven Besteuerung verblieben sind.

Und neuerdings stößt sogar die Sicherheit jener Einkommen auf bedrohliche Finanzierungsprobleme, für die ein scheinbar zuverlässiges System der Umverteilung geschaffen worden ist. Nicht nur Gebietskörperschaften, für die als markantes Beispiel die Stadt New York, aber auch Staaten wie Großbritannien und Italien zu nennen sind, lassen eine bisher scheinbare solide Basis sozialer Systeme als schwankenden Boden erscheinen. Die Finanzprobleme selbst der Säur len der sozialen Sicherheit, wie der Krankenkassen und der Pensionsversicherung, werfen ihre Schlagschatten voraus!

Der finanzielle Wall gegen die Reduktion des Familieneinkommens durch den „Divisor Kind” war nie ein wirkliches Anliegen sozialistischer Gesellschaftspolitik. Im Gegenteil: die Erosion des Familienlastenausgleichs setzte schon bei der Ablösung der progressionsmildern den Kinderfreibeträge durch bloße Kinderabsetzbeträge ein und wird durch die Abschöpfung des Familienlastenausgleichsfonds für unsinnige (Schulbuchaktion!) oder zweckentfremdete (Finanzierung öffentlicher Verkehrsbetriebe!) Leistungenfortgesetzt.

Eine Entwicklung, die wahrhaftig nach einem alternativen Konzept ruft, ist sie doch nicht nur die Folge internationaler Tendenzen, sondern offenbar einer falschen sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik.

Die Gegenposition war und ist die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft. Sie ist die einzige Alternative, die die freie Welt für die Sicherung ihrer Zukunft dem Sozialismus aller Schattierungen entgegenzusetzen hat. Diese Soziale Marktwirtschaft ist der erste historisch realisierte Versuch, die umfassenden Möglichkeiten persönlicher Freiheit in einer Leistungsgesellschaft mit sozialen und gesellschaftlichen Zielen in Übereinstimmung zu bringen. Sie ist nicht nur die ökonomisch effizienteste Ordnung, sondern - wie ihr Schöpfer, der evangelische Sozialethiker Müller- Armack neuerdings wieder betonte

- eine Friedensordnung, die unsere konfliktbelastete Gesellschaft heute mehr denn je benötigt.

Es ist daher weiters bemerkenswert, daß sich Josef Taus in Linz wieder ausdrücklich zur Sozialen Marktwirtschaft bekannte. Ihr System ist offen genug, um so unterschiedlichen Situationen Rechnung tragen zu können, wie sie die letzten drei Jahrzehnte gebracht haben, und -wie eine umfangreiche Literatur beweist - konsequent durchdacht, wie es von einer eigenständigen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verlangt werden muß.

Nach offenbar vorübergehendem Sympathisieren haben sich die österreichischen Sozialisten wie die deutschen Sozialdemokraten deutlich davon abgesetzt - ohne allerdings etwas Ähnliches an ihre Stelle setzen zu können. Das Organ der Regierungspartei hat erst kürzlich wieder - und gerade auf das Taus- Referat Bezug nehmend - ihr Feindbild einfachheitshalber auf die ,freie Marktwirtschaft” reduziert, die - wenn auch sehr relativiert! - bestenfalls bis zur Zeit um den Ersten Weltkrieg bestanden hat. Die linken Systemüberwinder diffamieren die Soziale Marktwirtschaft als „Spätkapitalismus”, pragmatische Sozialisten (wie Helmut Schmidt oder Hannes Androsch) aber leugnen - eine ganze Generation akademischer Forscher und erfolgreicher Wirtschaftspolitiker ignorierend - ganz einfach, daß der Markt als permanenter Anpassungsmechanismus durch staatliche Rahmenbedingungen und vor allem durch die sogenannte „zweite Einkommensverteilung” in den Dienst soivohl der Wohlstandssteigerung wie auch einer sozialen Einkommensverteilung gestellt werden kann.

Aber auch auf nichtsozialistischer Seite hatte der vorherrschende Pragmatismus und der damit verbundene Verzicht auf eine grundsätzliche ordnungspolitische Auseinandersetzung diesen Begriff eine Zeitlang aus dem Verkehr gezogen. Im Zusammenhang mit der Frage, wie es nun weitergehen soll, ist seine Renaissance nicht zu übersehen. Jetzt muß gezeigt werden, welche Problemlösungen auf Grund des Koordinatensystems der Sozialen Marktwirtschaft angeboten werden können. Die ängstliche Sorge, bei irgendwelchen Wählergruppen möglicherweise anzuecken, ist sicherlich kein guter Ratgeber. Der wieder geltend gemachte Anspruch auf Führung aber verpflichtet.

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