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Sie bestechen uns alle

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In ÖSTERREICH, in den Vereinigten Staaten und in Frankreich gibt es augenblicklich schwere Bestechungsskandale, wobei es nur um lumpige Millionen geht. Die Empörung ist groß. Ist sie aber auch berechtigt? Ruht nicht unser politisches System zwischen San Franzisko und dem Eisernen Vorhang auf Bestechungen? (Freilich gibt es die auch im Osten, doch in einer sehr anderen, nicht „verfassungsmäßigen" Weise.)

Sicher ist es, daß in den meisten Ländern des Westens ein „Vorankauf" des Wählers unstattbar ist. Wenn ich mich fünf Meter vor dem Wahllokal mit einem Pack von 1000-DM-Noten aufstelle und jedem, der mir mit dem kleinen Vorkriegsehrenwort verspricht, meine Partei zu wählen, einen färbigen Lappen in die Hand drücke, dann werde ich wahrscheinlich arretiert und abgeführt. So also darf man es nicht machen.

Dieses Verfahren kann ich jedoch umkehren. Ich steile mich in einer Wahlversammlung auf das Podium und verspreche einer möglichst großen Gruppe von Wählern ein spezifisches Dauergeschenk aus Steuergeldern und gebe ihnen das große Vorkriegsehrenwort, daß ich im Falle eines Wahlsieges meiner Partei dieses Versprechen auch halten werde.

Wenn ich so handle, kann mir nichts passieren. Ich muß nur darauf achten, einen honorigen Eindruck zu machen, damit man mir das Versprechen auch richtig abnimmt. Wie dieses Geschenk finanziert werden soll, bleibt Sache der regierungssüchtigen Partei. Das soll nicht die Sorge des Wählers sein.

Wie wir ja alle wissen, ist der moderne Staat eine mystische Gottheit, die stets ihre Hand in der Tasche des einen hat, um etwas davon in die Tasche des anderen zu stecken. Dabei macht man sich - rein statistisch! - eher beliebt als unbeliebt.

Wer überdurchschnittlich arbeitet und verdient, zahlt einen erhöhten Anteil jedes erworbenen Schillings. Er blecht auch ein Vielfaches an Steuern. Wer systematisch spart und das Ersparte auf die hohe Kante legt, unter-

liegt zudem einer Vermögenssteuer. Der schlaue Mann lebt also von der Hand in den Mund und wird dann auch die richtige Partei wählen - eine Ni-kolo-Partei, die stets neue Geschenke bringt und so ihre Wähler kauft.

Nun aber haben wir das Problem ein wenig vereinfacht, denn die Versprechung, die das Herz des edlen Wählers höher schlagen läßt, braucht nicht eines greifbaren, materiellen Charakters zu sein. Die kaufende Partei kann auch (was allerdings auf dasselbe herauskommt) Zahlungen und Leistungen „erlassen". Sie kann zudem Gesetze beschließen, die dem Wähler eine innere Genugtuung bringen oder auch Gesetze abschaffen, die ihn beengen und vergrämen.

Sie mag zum Beispiel versprechen, daß man gegen verhaßte Minderheiten, daß man gegen Pfaffen, Juden, Adelige, moderne Künstler, Intellektuelle,

Bankiers, Industrielle, Multinationale und Großkaufhäuser energisch vorgehen wird, was (zumindestens theoretisch) das Herz von riesigen Wählermehrheiten höher schlagen läßt.

Also, es braucht nicht gleich Geld zu sein, das aufgrund der Gefälligkeitsdemokratie im Versorgungsstaat versprochen wird. Es kann ebensogut auch die Lösung von Fesseln sein, die den modernen, rein hedonistisch gestimmten, um die fernere Zukunft total unbekümmerten Menschen äußerst lästig sind. So werden also „Freiheiten" versprochen, und diese beziehen sich zu sehr großem Teil auf natürliche Bindungen oder auf den menschlichen Körper unterhalb des Nabels. Hier wirkt sich dann die Sexualdemokratie recht kräftig aus.

Die Partei, die die Abschaffung von „Tabus" verspricht - unser Vokabular ist eben zum Teil polynesisch geworden

- hat einen großen psychologischen und deshalb auch politischen Vorsprung. „Korrumpieren" heißt wörtlich „verderben". Wer also verderbend wirkt, der gewinnt auch. In dieser Beziehung hat die Galgenfristenlösung einen ganz großen Schritt nach vorn bedeutet. Andere mögen folgen.

Ist es wirklich so unrealistisch, anzunehmen, daß eines Tages auch die Euthanasie kommt - zuerst einmal die verlangte, später einmal die vorgeschriebene? Dadurch kann die mittlere Generation von der „Last" ihrer alten Eltern befreit werden. Ein Wahlschlager für morgen!

Alles was gut, angenehm, profitabel, unmittelbar erfreulich, kostensparend, vergnüglich ist, wird versprochen und sehr oft auch - soll man sich darüber freuen oder entrüsten? - wirklich gehalten.

Eine Partei, die für große Anstrengungen, enger geschnallte Gürtel, hohe Steuern (die überall die breiten Schichten am stärksten treffen) einsteht, hat nur sehr geringe Chancen. Churchill, der seinen Landsleuten Blut, Schweiß und Tränen versprach, wurde von ihnen gleich bei der ersten Gelegenheit unsanft vor die Tür gesetzt.

Bleibt also die Frage, wie man die Versprechungen „glaubwürdig" macht. Das hängt von den Qualitäten des Volksführers (griechisch: demago-gos) ab. Wie photogen ist er - und seine Frau? Ein Stotterer, Schielender, Buckliger könnte ein großer Staatsmann, aber niemals mehr ein „führender" Politiker sein oder werden.

Freilich, der „flüchtige Eros" (Ernst Jünger) oder der Brustton der Überzeugung genügt nicht. Da müssen die Massenmedien auch mithelfen, und die haben in vielen Ländern die Tendenz, auf Seiten der Nikolo-Parteien zu stehen.

Besiegt werden können die Nikolo-Parteien üblicherweise nicht. Ihre Feinde werden in der Regel zu „Ich-auch"-Parteien. Durch das schlechte Beispiel und durch ihre libido dominandi werden sie selbst korrumpiert. Sie kommen mit sehr ähnlichen Versprechungen, nur glaubt man diesen profillosen Gruppen dann nicht recht. Politiker denken an die Wiederwahl, Staatsmänner an das Schicksal ihrer Enkel.

Also nicht die Bestechungen mit Millionen sollten uns vornehmlich beunruhigen sondern die Bestechungen von Millionen mit Milliarden und einer euphorischen „Lebensqualität", die den breiten Weg in die Hölle der Armut und Knechtschaft eifrig pflastern.

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