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Sie donnert weiter

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Nach einem erbitterten Konflikt zwischen der Verlagsleitung der „Times Newspapers Limited“ und den Druckergewerkschaften, der zu einem fast einjährigen Produktionsstop der britischen Renomierblätter „Times“ und „Sunday Times“ geführt hatte, können die beiden Zeitungen seit vergangenem Dienstag wieder erscheinen. Der Autor unseres Berichtes, Herausgeber und Chefredakteur von „Austria Today“, war in den dreißiger Jahren Londoner Korrespondent der „Neuen Freien Presse“ im Verband des „Times“- Nachrichtendienstes und berichtete für das britische Blatt aus vielen Teilen der Welt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er Wiener Korrespondent des Londoner Hauses.

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Nach einem erbitterten Konflikt zwischen der Verlagsleitung der „Times Newspapers Limited“ und den Druckergewerkschaften, der zu einem fast einjährigen Produktionsstop der britischen Renomierblätter „Times“ und „Sunday Times“ geführt hatte, können die beiden Zeitungen seit vergangenem Dienstag wieder erscheinen. Der Autor unseres Berichtes, Herausgeber und Chefredakteur von „Austria Today“, war in den dreißiger Jahren Londoner Korrespondent der „Neuen Freien Presse“ im Verband des „Times“- Nachrichtendienstes und berichtete für das britische Blatt aus vielen Teilen der Welt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er Wiener Korrespondent des Londoner Hauses.

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Die „Times“ führte den Ehrennamen „The Thunderer“ - der Donnerer. Nach beinahe zwölf Monaten Stillstand erscheint sie seit vergangenem Dienstag wieder auf dem Zeitungsmarkt. Andernfalls hätte der Nekrolog in der Trauerkolumne des Blattes etwa so gelautet: „Im 194. Lebensjahr, tief betrauert von hundert- tausenden Freunden, nach einjähriger schwerer Krankheit, verschied in der Nacht zum 18. Oktober die Londoner Times.“

Geboren 1785, trug sie den Namen „Daily Universal Register“, getauft wurde sie von ihrem Vater, John Walter I. im Jahre 1788 auf den Namen „The Times“. Walter versprach, nicht mehr zu behaupten, daß König Georg III. von seinem Thronfolger wegen des Verlustes der amerikanischen Kolonien kritisiert würde. So wurden Arrest- und Geldstrafen erspart.

John Walter III. übergab das Szepter Ende des Jahrhunderts seinem Sohne Arthur Walter. Dieser letzte Walter lud mich. noch 1934 zum Nachtmahl in sein Haus ein und zeigte reges Interesse an dem Schicksal Österreichs. Walter war zu dieser Zeit nur ein kleiner Minderheitenaktionär geworden, nachdem Lord Northcliffe die „Times“ vor dem ersten Weltkrieg gekauft und nachher an Lord Astor verkauft hatte.

Zuletzt war Astor Minderheitenaktionär des kanadischen Erdölmillionärs Lord Thomson, der nun, zum Unterschied von seinen Vorgängern, nicht mehr bereit war, Verluste aus seinem Privatvermögen zu finanzieren. Im letzten Jahr fand sich niemand, der den Kampf zwischen den Druckergewerkschaften und den Eigentümern zu überbrücken verstanden hätte. Die Gewerkschaften wollten den Übergang von Bleilettem zum Lichtsatz nicht tolerieren.

Als ich 1933 nach London kam, hatte mir der Chefredakteur der „Neuen Freien Presse“, Emst Benedikt, Grüße an einen früheren Chefredakteur der „Times“, Wickham Steed, aufgetragen. Steed erzählte von seinen Beziehungen zu Moritz Benedikt in Wien vor dem Ersten Weltkrieg:

„Wir waren große Gegner; aber jeden Abend sandte ich Benedikt mit einem Einspänner den Text meiner Depesche an die ,Times1, damit er noch im Morgenblatt desselben Tages in der .Neuen Freien Presse1 meine Depesche und seinen Angriff auf diese, Spalte auf Spalte, veröffentlichen konnte. Und im Jahre 1922 träumte ich eines nachts, Benedikt wäre an mein Bett getreten und hätte gesagt,Steed, alter Freund, wir werden uns auf dieser Seite nicht mehr treffen1. Und am nächsten Morgen las ich, Benedikt wäre gestorben.“

Ich fragte Steed, ob er Spiritist sei. „Das nicht, aber eine gute Nase für Nachrichten habe ich und war selten zu spät mit einer Meldung. Nur manchmal, wie sie sehen, gerade zur richtigen Zeit.“

Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 freundete sich die „Times“ immer mehr mit dem Gedanken an, eine Politik der Beschwichtigung würde Deutschland von der Expansion nach Westeuropa ablenken. Chefredakteur Geoffrey Dawson unterstützte Neville Chamberlain und dessen Berater Horace Wilson. Österreich werde geopfert und die Tschechoslowakei zerstückelt werden. Das große Konzept war, Deutschland und Japan gegen die Sowjetunion iris Feld ziehen zu lassen, dann wäre man drei unangenehme Zeitgenossen los.

Die Astors schmiedeten diese Pläne auf Schloß Cliveden. Die Leitartikel sprachen diese Politik nie wörtlich aus. Was nicht geschrieben stand, darauf mußte man achten. Nach Kriegsausbruch wendete sich das Blatt und nach der Niederlage des britischen Expeditionskorps in Frankreich, 1940, und der Ablöse Neville Chamberlains durch Winston Churchill wurde die Linie der „Times“ eindeutig kriegsbejahend.

Professor E. H. Carr wurde Leitar- tikler und führender Vertreter der Allianzpolitik mit der UdSSR. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs schrieb Carr - heute 86 - das Standardwerk in 14 Bänden „Geschichte der Bolschewistischen Revolution“.

Als ich 1937 in die Vereinigten Staaten fuhr und die „Times“ um eine Legitimation bat, sagten sie: „Drüben gilt ein Brief von unserem Washington-Korrespondenten, Sir Wilmot Lewis, mehr als eine Bestätigung der Redaktion.“

Wilmot Lewis empfing mich als jungen Kollegen mit einmaliger Grandezza. Er öffnete seine Schreibtischlade und zeigte mir Telegramme, die noch nicht aufgemacht waren. „Instruktionen und Ratschläge von Printing House Square. Vergessen sie nicht: ,The offlce is always wrong.1 Ihnen rate ich, Amerika als vielseitiges Kaleidoskop zu sehen, in dem sie sich nie auskennen werden. Ich bin schon zehn Jahre hier, erläutere im Blatt alles, weiß aber noch nichts…“

Ich selbst habe als Berichterstatter der „Times“ niemals Instruktionen über eine bestimmte Stellungnahme erhalten. Als ich über Mexiko berichtete, bat mich der Geschäftsführende Direktor, Kent, ihm zu sagen, was der Artikel, der drei Tage später erscheinen würde, in Bezug auf die Verstaatlichung der Ölquellen sagen würde: „Sie schreiben natürlich, was sie für richtig befinden, ich will sie nicht beeinflussen. Nur, wenn ich einen Tag früher weiß, was wir sagen, kann ich meine eigene Investitionspolitik danach richten.“

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