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Sie hassen Sport? Gut so!

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Hatten Sie mit Sport schon immer Ihre Probleme? Jetzt können Sie getrost aufatmen: Gesundheit ist wesentlich einfacher zu haben, als mit viel Schweiß.

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Hatten Sie mit Sport schon immer Ihre Probleme? Jetzt können Sie getrost aufatmen: Gesundheit ist wesentlich einfacher zu haben, als mit viel Schweiß.

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Sport zu treiben verspricht uns allen Wohlbefinden, Fitneß und Gesundheit - so wurde es uns zumindest zwei Jahrzehnte lang gelehrt. Ganz nach dem Motto „without pain no gain” wurde intensiver Sport geradezu als Wunderdroge propagiert - und wird es vielfach immer noch.

Doch wie sich mittlerweile immer deutlicher herausstellt, ist schweißtreibender Sport längst nicht der wundersame Gesundheitsretter, als der er für lange Zeit hingestellt worden ist. Ebensowenig kann auch intensivster Sport die Negativeffekte einer ungesunden Ernährungsweise kompensieren.

Doch woher rühren eigentlich die Empfehlungen, Sport sei so gesund? Ausgangspunkt der Fitneßstory bildete die mittlerweile bereits historische Studie von Jeremy Morris Anfang der fünfziger Jahre. Er fand, daß die treppauf-, treppabsteigenden Schaffner in Londons Doppeldeckerbussen deutlich weniger oft an Herzerkrankungen verstarben als ihre sitzenden, chauffierenden Kollegen. Dann kam die groß angelegte Studie über die Hafenarbeiter in San Franzisko. Auch hier wiederum wurde deutlich, daß die manuell arbeitenden Dockarbeiter weniger Herzerkrankungen aufwiesen als ihre hinter dem Schreibtisch sitzenden Kollegen im Büro. Fast alle kamen zu dem einhelligen Ergebnis: ein bestimmtes Maß an körperlicher Aktivität sei nötig, um die Gefahr einer Herzerkrankung zu bannen. Die Folgerung, die trotzdem daraus resultierte, war: „Wenn also Bewegung gut ist, wieso sollte nicht noch mehr Bewegung noch besser sein.”

Sport ist gesund - hieß von nun an die Devise. Schließlich war es eine Fehlinterpretation von Ralph Pfaffenbargers Harvard-Studie, die der Fitbewegung den letzten großen Auftrieb gab. Die ursprüngliche Interpretation dieser Studie besagte nämlich, man müsse ein beachtliches Maß an Energie durch körperliche Betätigung verbrennen, um überhaupt einen nennenswerten Gesundheitseffekt zu erzielen. Dieses Pensum war, wie sich inzwischen herausstellt, viel zu hoch gegriffen und entsprach auf eine Woche umgerechnet ganzen drei bis vier Stunden intensiven Sport. Viele Menschen glauben daher auch noch heute, gesunde Bewegung beginne eigentlich erst mit Sport.

Zuviel Sport für wenige?

Und was war der Erfolg? Zwanzig Jahre nach Lostreten der Fitneßwelle betreiben zwei Drittel aller Erwachsenen nach wie vor keinen regelmäßigen Sport. Waren diese rigiden Sportempfehlungen vielleicht selbst schuld daran?

Die Antwort ist ein klares „Ja”. So intensiv bewegen konnten sich tatsächlich nur wenige Prozent. Und für die Gesunderhaltung einer ganzen Nation hingegen zählt nicht, was vielleicht einige wenige machen können. Die Latte war viel zu hoch gelegt, vor allem für all jene, die mit Sport schon immer ihre Probleme hatten oder solchen strikten Sportvorgaben entweder nicht folgen konnten oder ebenso nicht wollten.

Sind etwa die Kalorien, die wir bei Gartenpflege, einfacher Hausarbeit, beim Tanzen oder beim Herumtollen mit den Kindern verbrennen weniger wert als jene, die wir im Squash Court loswerden?

Genau dieser Eindruck ist leider auch entstanden. Vielen wurde suggeriert, daß man, sofern man Sport nicht in der genau richtigen Dosis betriebe, es am besten überhaupt gleich bleiben lassen könne. Viele, die sich zuvor lediglich bewegt hatten, wurden damit für immer in den Fernsehsessel zurückgetrieben.

Doch die jüngste Forschung hat ermutigende Neuigkeiten zu bieten. Was bereits zuvor in den älteren Studien sichtbar und zunächst einfach falsch interpretiert wurde, findet sich nun eindrucksvoll bestätigt. Intensive sportliche Betätigung ist purer Luxus. Gesundheit ist bereits wesentlich einfacher zu haben. Die Langzeitstudie von Steven Blair und seinen Mitarbeitern vom Institut für Aerobe Bewegungsforschung in Dallas, durchgeführt an 13.000 Personen über einen Beobachtungszeitraum von acht Jahren, brachte den endgültigen Umschwung. Fazit dieser Langzeitstudie war, daß bereits regelmäßige mäßige körperliche Aktivitäten völlig ausreichen, um das Risiko einer Herzkreislauferkrankung drastisch zu vermindern.

Wer hingegen regelmäßig intensiven Sport betreibt, ist zwar eindeutig fitter, jedoch kaum mehr nennenswert gesünder. Nur wer das Sitzen jeder wie auch immer gearteten Bewegung vorzieht, lebt tatsächlich sehr gefährlich. Wenn also Winston Churchill einst mit „No Sports” auch Bewegung meinte, so lag er damit falsch. Falls Sie zu den Menschen gehören, die Sport schon immer haßten, können Sie damit getrost aufatmen.

Bewegung bleibt wichtig

Die Botschaft, die trotzdem weiter aufrecht bleibt, lautet: „Bewegung und körperliche Aktivität sind wichtig für unsere Gesundheit.” Doch haben Sie nun die Chance, das Bewegungsspiel nach völlig neuen Regeln zu spielen. Die Lösung ist recht einfach. Als erstes sollten Sie zunächst wissen, daß Sie für moderate Bewegung weder ein Fitneßcenter noch einen Trainingsanzug benötigen und ebenso Ihre Pulsschläge nicht zu zählen brauchen.

Was für eingefleischte Sportinsider wie reinste Ketzerei klingen mag: leichte und moderate Tätigkeiten wie Hausarbeiten, Gartenpflege, manuelle Arbeit, Gehen, Treppensteigen und viele andere Alltagsaktivitäten wirken bereits gesundheitsfördernd.

„Exercise Light” taufte das Forscherteam aus Dallas diese neue Strategie. Doch daß diese Strategie selbst in den USA noch sehr jung ist, beweist der Umstand, daß sie erstmals im Juli dieses Jahres im President's Council on Physical Fitness and Sports, Washington, D. C. den amerikanischen Medien als neue Gesundkampagne vorgestellt worden ist. Welches Pensum entspricht nun diesem neuen und wissenschaftlich abgesicherten Dogma? Auf den ganzen Tag gerechnet sind dies etwa 30 Minuten moderater körperlicher Aktivitäten.

Sie können dieses Pensum von nun an auch in kleinen Bewegungsimpulsen absolvieren, so zum Beispiel in Form von Gehen oder Treppensteigen - am Weg zur Arbeit, am Arbeitsplatz, wie auch am Rückweg. Oder Sie machen es in einem Stück, indem Sie beispielsweise alleine oder gemeinsam mit Ihrer Familie einen zügigen Spaziergang machen. Sie müssen keinesfalls so schnell marschieren, daß Sie dabei merkbar außer Atem kommen. Und ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, können Sie dazwischen auch ruhig einmal pausieren. Mit Sicherheit werden Sie mit moderater Bewegung nicht besonders fit, jedoch reicht schon diese Dosis aus, um den überwiegenden Teil der größtmöglichen gesundheitlichen Effekte ins trockene zu bringen.

Das neue und optimistische Bild, das sich nun daraus ergibt, ist, daß wesentlich mehr Menschen als früher die Chance und die Gewißheit haben, auch ohne schweißtreibenden Sport gesundheitlich zu punkten. Die bisher so belächelten moderaten Tätigkeiten bekommen plötzlich einen völlig neuen Stellenwert. Und eine Grenze ziehen zu wollen, wo nun Bewegung aufhört und Sport beginnt, ist völlig wertlos. Denn aus gesundheitlicher Sicht zählt einzig, daß Sie aufstehen und Energie verbrennen - völlig egal, ob durch körperliche Arbeit, moderate Bewegung oder leichten Sport.

Der Autor, Leiter der Abteilung Wellness & Gesundheitsförderung im Kurzentrum, Bad Hofgastein, ist Sportwisssenschafter und Gesundheitspädagoge.

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