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Sie können ja ruhig gehen

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Der Streik der Gastärzte an der Psychiatrischen Universitätsklinik Wien im März 1990 hat das Problem der unbezahlten Gastärzte beziehungsweise das der „Hospitanten” in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Dieser Warnstreik hat in der Folge für die Psychiatrie 20 zusätzliche (befristete) Planstellen eingebracht. Für die Abteilung Anästhesie gab es („im Windschatten”) 17 zusätzliche Stellen als Folge des Streiks.

Aber weder damals noch heute ist es gelungen festzustellen, wie viele Gastärzte an welchen Kliniken tatsächlich unentgeltlich arbeiten.

Der Bereich um Gastärzte ist eine sogenannte „Grauzone” geblieben, in der die in ihr Beschäftigten es nicht wagen, sich über ihre unbefriedigende Arbeitssituation zu beschweren. Es würde gleich heißen: „Wenn Ihnen etwas nicht paßt, können Sie gehen, es warten zehn andere auf Ihre Stelle...”

Ein Gastarzt ist ein promovierter Mediziner, der keine reguläre Anstellung (einen Planposten) innehat und unbezahlt oder gegen geringes Entgelt (Werkvertrag) an einer Klinik sowohl in der Krankenbetreuung als auch innerhalb von (bezahlten oder unbezahlten) wissenschaftlichen Projekten arbeitet.

Bei den Gastärzten unterscheidet man zwei Gruppen:

• Solche, die in die Standesliste der Ärztekammer eingetragen sind. Sie haben das Recht, entsprechend ihrem Ausbildungsstand und unter Anleitung ihrer Vorgesetzten Arbeiten am Patientenbett zu verrichten.

• Solche, die nach dem 31. Dezember 1986 promoviert haben, und daher nicht mehr in die Standesliste der Ärztekammer eingetragen sind. Sie dürfen keine ärztlichen Tätigkeiten wie Blutabnehmen, Injektionen geben ausüben. Ihre berufliche Situation ist daher noch um einiges unbefriedigender.

Gastärzte haben kein Anrecht auf Arbeitslosengeld, keine Urlaubsregelung, keine Sozialversicherung. Sie zahlen ihre Kranken- und Haftpflichtversicherung selbst. Auf diese Weise erspart sich die öffentliche Hand eine große Anzahl von Ärzte-Planposten!

Jungpromovierte Mediziner sehen darin die einzige Chance, während der Wartezeit auf einen Ausbildungsplatz (in Wien derzeit fünf bis sechs Jahre!) mit der Medizin in Kontakt zu bleiben. Sie tun es, um durch die Zeit unbezahlter Arbeit eine eventuelle „Anwartschaft” auf einen Posten zu bekommen. Sie bestreiten ihren Lebensunterhalt -abgesehen von fallweise bezahlten Projektgeldern - durch finanzielle Unterstützung seitens ihrer Eltern, Partner oder durch Gelegenheitsarbeiten.

Um den Spitalsbetrieb, speziell auf den Universitätskliniken, aufrecht zu erhalten, arbeiten heute schätzungsweise 300 Jungärzte für „keinerlei Honorierung ihrer Leistung”.

Ist das öffentliche Ausbeutung oder laut Christoph Schlusche, selbst promovierter Jungarzt: „Ein Zustand, der durch die Gastärzte selbst verursacht wird. Wenn jemand anbietet, etwas umsonst zu machen, dann wird der Arbeitgeber ihn das ,tun lassen', das ist ein einfaches Marktgesetz. Wäre man dazu nicht bereit, würde dieser Graubereich ganz verschwinden.”

Andrea Maier, Referatsleiterin der Servicestelle für Jungpromovierte in der Wiener Ärztekammer: „Gastärzte kalkulieren mit dem unkalkulierbaren Glück, vielleicht doch eine Planstelle zu bekommen. Sie geben sich oft mit 3-Monate-Anstellungen zufrieden, ohne zu bedenken, daß ihnen bei einer solchen Zeitdauer keinerlei Rechtsansprüche erwachsen.”

Otto Presslich, Ärztevertreter an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Wien: „Die in der Ärztekammer sagen immer, wir sollen den Mund halten. Vor dem Streik war man nicht einmal bereit, den Bedarf unserer Klinik an Planstellen anzuerkennen. Und im übrigen heißt es immer: Im Gastärztebereich am besten nicht viel umrühren, sonst wird auch der Hahn für die Grauzone gänzlich abgedreht...”

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