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SIE SCHÄMEN SICH, ROMA ZU SEIN"

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Gheorge Raducanu (42) ist der einzige Roma-Zigeuner im Bukarester Parlament, obwohl mehr als zehn Prozent der Einwohner Rumäniens Roma sind (siehe Seite 9). Im Parlament haben sie keine Lobby, es sei denn, in anderen Parteien sind auch Roma. Falls dem so wäre, treten sie nicht als Roma auf, sondern verleugnen ihre Herkunft. Der Mathematiker und Ökonom Raducanu schaffte das einzige Mandat für den „Demokratischen Bund der Roma", dem vier Roma-Parteien angegliedert sind.

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Gheorge Raducanu (42) ist der einzige Roma-Zigeuner im Bukarester Parlament, obwohl mehr als zehn Prozent der Einwohner Rumäniens Roma sind (siehe Seite 9). Im Parlament haben sie keine Lobby, es sei denn, in anderen Parteien sind auch Roma. Falls dem so wäre, treten sie nicht als Roma auf, sondern verleugnen ihre Herkunft. Der Mathematiker und Ökonom Raducanu schaffte das einzige Mandat für den „Demokratischen Bund der Roma", dem vier Roma-Parteien angegliedert sind.

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FURCHE: Mit den Wahlen vom27. September 1992 ist in Rumänien alles beim alten geblieben. Auch für die Roma? Hat diese Wahl für Ihr Volk etwas gebracht?

GHEORGE RADUCANU: Unser Volk lebt in bitterster Armut, ohne Bildung, ohne politisches Bewußtsein. Das muß man immer im Auge behalten, wenn man über die Probleme der Roma spricht. Für mich ist es schon ein positives Zeichen, daß sich mehr als 100.000 Roma zum politischen Dachverband der Roma bekannten. Vor drei Jahren bekamen wir nur um die 20.000 Stimmen, 1992 erreichte unsere „Sozialdemokratische Romapartei" allein 55.000 Stimmen, die „Liberale Romapartei" weitere 30.000 und die anderen beiden Gruppierungen über 10.000 Stimmen. Natürlich ist dies nicht zufriedenstellend, wenn man weiß, daß 2,2 Millionen Roma in Rumänien leben und nur fünf Prozent von ihnen ihre nationale Herkunft mit Stolz bekennen, während die anderen sich schämen, ein Roma zu sein. Zum Vergleich: Fast alle Magyaren Siebenbürgens haben dem „demokratischen Bund der Ungarn" ihre Stimme gegeben. Sie haben nun 29 Abgeordnete im Unterhaus und zwölf im Senat - also eine Lobby, die uns fehlt.

FURCHE: Wen haben die Roma gewählt? Die Oppositionsparteien in der „Demokratischen Konvention" oder die „Front"?

RADUCANU: Ich glaube, größtenteils die „Front der nationalen Rettung". Ich bin damals viel im Lande herumgereist und habe bemerkt, die Roma trauen der, .Demokrati sehen Konvention" nicht zu sehr. Da wir keinen eigenen Präsidentschaftskandidaten hatten, ließen wir unseren Landsleuten offen, für Ion Iliescu oder für den Oppositionsführer Emil Con-stantinescu zu stimmen. Wir sagten, Einfluß auf den Präsidenten haben wir eh nicht, wählt, wen ihr wollt, nur vergeßt als Roma nicht eure eigene nationale Partei auf der Parteienliste anzukreuzen.

Glauben Sie denn, der „Demokratische Konvent" setzt sich für unsere Minderheitenrechte stärker ein als die „Front"? Die meisten Roma, das habe ich immer wieder auf dem Lande gehört, haben mit der liberalen Intelligenz keine guten Erfahrungen gemacht. Auch kluge Köpfe haben Ressentiments gegen uns, sind auf „Zigeuner" nicht gut zu sprechen. Die Ungarn können sich noch am besten in unsere Lage versetzen, eben weil sie als nationale Minderheit ähnliche Probleme haben wie wir.

FURCHE: Wie zeigt sich die alltägliche Unterdrückung der Roma ?

RADUCANU: Vor eineinhalb Jahren war es ganz schlimm. Da ereigneten sich Dutzende pogromartige Zwischenfälle. Derzeit ist es relativ ruhig, aber keiner weiß, wann die rumänischen Nationalisten erneut Roma-Dörfer überfallen und Häuser niederbrennen werden, wann es erneut zu organisierten Schlägereien kommen wird. Man lebt in ständiger Angst und Unwissenheit.

Wie Kinder von ihren Eltern oft geschlagen werden, so stecken wir die Schläge gewalttätiger und haßerfüllter Rassisten ein, die uns als Sündenböcke für alles Böse sehen.

FURCHE: Flüchten deshalb sovie-le Roma aus Rumänien nach Westeuropa,vornehmlich nach Deutschland?

RADUCANU: Ach, diese Geschichte! Angeblich sind es die Roma, die das deutsche Asylgesetz auszuhöhlen versuchen. Angeblich sind es in Mehrzahl Roma, die illegal nach Deutschland einreisen. Eine wunderbare Geschichte für die Medien in Berlin und Bukarest. Man hat wieder Sündenböcke. Ich glaube daran nur, daß viele Bürger Osteuropas in den Westen flüchten, darunter natürlich auch Roma. Aber ich denke, weit mehr Roma aus den jugoslawischen Kriegsgebieten (siehe Seite 10, Anm. d. Red.), auch aus dem Kaukasus und aus Moldawien fragen um Asyl an als aus Rumänien. Und diese Menschen flüchten wirklich vor dem Krieg.

FURCHE: Wie stehen Sie zu dem rumänischen Roma-König Bulibascha Ioan Cioaba? (siehe Seite 9)

RADUCANU: Cioaba paßt genau in das Bild, das die Welt von uns Roma hat. Soll der selbsternannte „König aller Roma" seine Politik machen, ich rede ihm da nicht drein. Nur eines sollte man wissen: Außer seinem Pomp, seinem extravagantem Lebensstil und Reichtum besitzt der Bulibascha nichts. Die rumänischen

Roma stehen nicht hinter ihm und seinen Sprüchen. Das ist keine seriöse Politik, zu sagen, wenn Bonn keine Entschädigung für 35.000 in der Nazi-Zeit in Konzentrationslagern umgekommene Roma zahlt, dann schicke ich eine Million Roma von Rumänien nach Deutschland; wenn Bonn aber Wiedergutmachung leistet, dann rufe ich alle Roma, die sich derzeit in Deutschland aufhalten, nach Rumänien zurück.

FURCHE: Was wollen Sie politisch anders machen?

RADUCANU: Einen Politiker, der sagt, was er erst in zwanzig Jahren erreicht haben will, hält man wohl für verrückt. Und doch haben wir ein Programm für eine so lange Zeit ausgearbeitet. Wir glauben nicht an _ schnelle Erfolge. Die Vorurteile gegen ,.Zigeuner", die Gleichsetzung, ein „Zigeuner" sei ein Dieb und Gauner, findet man überall in Europa, in allen Gesellschaftsschichten. Wir fordern daher in Rumänien Grundschulen für unsere Volksgruppe, in denen neben rumänisch auch roma-nes gelehrt wird, wir fordern eigene Vertreter im Arbeits- und Kulturministerium, eigene Radio- und Fernsehprogramme.

Die meisten Roma schämen sich ihrer Herkunft, sie leben ständig mit dem Komplex, „niedrigere Menschen" zu sein. Als Angehörige der ärmsten Einkommensschichten und ohne ausreichende Bildung werden sie auch leicht straffällig, fallen in der Gesellschaft unangenehm auf.

Wir müssen uns emanzipieren, staatlicherseits materielle Hilfe zugestanden bekommen und weit mehr Verständnis von Seiten der Gesellschaft.

Ansonsten bleiben die Roma die Ausgestoßenen, nicht nur in Rumänien.

Mit dem Roma-Politiker sprach Karl Gereuny.

Ein Herz für die Zigeuner

Ein Herz für Zigeuner hat der neue burgenländische Bischof Paul Iby: Nach seiner Ernennung zum Eisenstädter Oberhirten hat er in einer ersten Äußerung die burgenländi-schen Volksgruppen erwähnt, darunter besonders die Roma und

Sinti. Bei seiner Weihe ist dann eine Roma-Abordnung erschienen, der Iby versprochen hat, sie bald zu besuchen.

Am 7. März gab es dann in Oberwart eine herzliche Begegnung mit Rom a-Vertretern.

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