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Sie schrieb aus Verzweiflung

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Christine Lavant, „die Lavant“, wie man sie nur nannte, war nicht die einfältige Kräuterfrau aus dem Lavanttal, dessen Namen sie trägt. Als Dichterin war sie, im wahrsten Sinne des Wortes die Inkarnation des Wortes schlechthin. Wer sie gekannt und zu den Wurzeln ihrer Kunst Zugang gefunden hatte, der spürte in beklemmender Deutlichkeit, daß sich in ihr das Wort in all seinen vielschichtigen Dimensionen und metaphysischen Bereichen zu einer Welt kristallisierte, die erschüttern, aber auch heilen konnte.

Sie stand in der Gnade und war auserwählt. Darum litt sie zu sehr in ihrem menschlichen Bereich. Halb blind, fast taub, von Hungerödemen gezeichnet, so rang sie ihrem müden und immer kranken Körper Gedieht um Gedicht ab, um sich vom „Wolf, der in ihr schrie“, von Bedrängnis und süchtiger Qual zu befreien und iie deutsche Sprache dadurch um ein Wesentliches zu bereichern.

In vielen Gesprächen, die ich mit ihr in Istanbul geführt habe, erlebte ich sie als eine Frau von großem Charme und verblüffender Offenheit, iron Ergebung und Auflehnung zugleich, manchmal gottfern, denn wieder von inbrünstiger Sehnsucht nach ihm.

Ihre Maske, in die sie zu schlüpfen pflegte, wenn Menschen sie mit allzu intellektuellen Fragen belästigten and quälten, warf sie von sich, wenn äs darum ging, offen und sich ohne Lüge zu öffnen.

Heute tut es mir leid, daß ich für Christine Lavant nicht mehr getan habe, als sie nur nach Istanbul eingeladen zu haben. In jenem Schreiben, in welchem sie mir ihr Kommen mitteilte,' schrieb sie: „Begreifen kann ich es ja nicht, warum Ihr alle so gütig zu mir seid, aber es tut mir so wohl, und ich nehme es so gerne an.“ Und einige Zellen weiter: „In mir ist leider seit langer Zeit schon jede Kraft erloschen, und ich kann es schon gar nimmer begreifen, daß ich je dichten konnte. Wenn Istanbul nicht hilft, dann ist eben kein Funke mehr unter der Asche.“

Hinter all ihren Handlungen und Wünschen stand eine ständige Angst, daß ihr Kampf „mit oder ohne Gift“ letzten Endes sinnlos sein könnte.

In der „Bettlerschale“ sind die Vers« zu lesen:

„Mein Augenlicht ist nichts mehr wert, auch das Gehör geht langsam ein, bald werde ich so sinnlos sein wie ein verbrauchtes Grubenpferd ...“

Doch war die Lavant stehts bereit, sich jenen Menschen voll und ganz zu verschenken und zu öffnen, die ihr Güte entgegenbrachten. So stehen in einem weiteren Schreiben an mich die Zeilen: „Güte kann nämlich direkt wehtun, weil sie immer das Herz trifft, ganz gleich durch was alles sie hindurchdriingen muß.“

Ihre Armut, mit der sie von Kindheit an bis zu ihrem Tode gerungen hat und von der wir uns keine Vorstellung machen können, trieb sie in die Bereiche der Sucht und des Traumes, in jene Bereiche, in denen der Mensch sich betäubt, berauscht und -lichterloh zu brennen beginnt. Schrieb sie mir doch einmal:

„Wer in dem Stand der Sehnsucht verbleibt und in der Trauer, nur um des Brennens willen, der brennt nicht echt. Wer echt brennt, der nimmt jede Gelegenheit wahr, aus dem Brand herauszukommen oder ihn zu löschen. Ob daraus dann Kunst wird oder Verzweiflung: das Ergebnis ist für alle Fälle lebendig.“

Bei Christine Lavant war das Ergebnis nicht nur lebendig, sondern auch höchste Kunst. Auf die Frage, warum die Lavant schrieb und Kunst schaffte, gibt Wieland Schmid in dem von ihm ausgewählten Band über die Christine Lavant wohl die richtige Antwort: „Um von sich selbst fortzukommen, um über sich selbst hinauszugelanigen, um sich selbst zu überwinden, vielleicht auch um sich selbst zu erlösen. Sich selbst: das ist dieser verzweifelte Ich-Komplex, dieses Bündel Angst und Alleinsein und Ich-sein-Müssen und Nicht-alles-sein-Können.“

Die Gedichte der Lavant sind gewiß aus diesem Zustand der Isolation, Verzweiflung und Anst heraus geschrieben worden und sind daher „ihr inneres Tagebuch, die Autobiographie ihrer Seele“. Wieland Schmid sagt darüber noch mehr: „Sie sind unmittelbarer Niederschlag ihres täglichen Lebens, Ausdruck furchtbarer Heimsuchung und zugleich Zauberformel und magisches Wort, die sich in der Seele bilden, ohne die sie diesen Ansturm von Leere, Leid, Verzweiflung, dem sie ausgesetzt ist, nicht bestehen könnte.“ Die Lavant hat diesen Ansturm auf die Dauer nicht bestehen können.

„Ja, Herr, ich bin ein verdorrter Baum, und meine Knorren bellen wie Wölfe, wenn ein Frierender^ herkommt...“

schrieb sie und wußte, daß der Tod schon in ihr war und daß der Herrgott ihre Seele in seinen schützenden Händen hielt, weil sie ihr reiches Armenleben nahe dem „Herzen der Schöpfung“ gelebt hat.

Rührend und erschütternd zugleich hielt sie Zwiesprache mit dem Tod:

„Verschriener Tod, für mich bist du so schön! Schon morgens denk ich dich als Hütte aus, in die ich einziehn werde vor dem Abend, und daß ein Stern darüber scheinen wird. Nicht einmal vor dem Umzug hab ich Angst! Man wird zwar viel vorher verbrennen müssen, den Leib gewiß mit allen seinen Süchten und von der Seele das, was sie sich hier zusammentrug an Mut und Freudigkeit. Nur meine Liebe, Tod, die bring ich mit! Für die mußt du, wenn du mein Obdach bist, den besten Winkel meiner Hütte richten und, wenn es sein kann, baue auch ein Fenster, damit der Stern, der gute, den ich meine, ihr dort zu Diensten geht mit allem Trost, den ich hier niemals hab' geben können.“

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