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„Sie starben nicht umsonst“

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Die Vereinten Nationen hätten die moralische Pflicht, Sowjetrußland zum Rückzug seiner Truppen aus Ungarn zu bewegen. Die UNO hat nämlich die UdSSR in nicht weniger als 16 Resolutionen wegen der Niederwerfung des patriotischen Aufstandes von 1956 verurteilt und die militärische Räumung Ungarns gefordert. Moskau hat auf diese Resolutionen der Vollversammlung und des Sicherheitsrates nicht einmal durch deren Zurückweisung reagiert, was seither Schule gemacht hat. Die Autorität der UNO sank damit auf den Nullpunkt.

Wir sprachen in New York mit dem Präsidenten des „Ungarischen Komitees“, Monsignore Bela Varga, dem letzten freigewählten Präsidenten des ungarischen Parlaments bis zur 'Machtübernahme der kommunistischen Minderheit im Jahre 1948. Auch damals schon spielte die Sowjetarmee dabei eine entscheidende Rolle. Ungarn ist seit dem 4. April 1945 - dieser Tag muß seither als Tag der „Befreiung“ gefeiert werden - ununterbrochen besetzt und derzeit liegen mehr Sowjettruppen im Lande, mindestens 130.000 Mann an der Zahl, als unmittelbar vor dem Ausbruch des Volksaufstandes, als ihre Stärke 80.000 nicht überschritt.

Der unerschrockene Priester Bela Varga wurde zum erstenmal von den Nazis während des Zweiten Weltkrieges zum Tode verurteilt. Später setzte die sowjetische Geheimpolizei Varga auf die Liquidationsliste. Er konnte jedoch in die Schweiz entkommen und im Ausland das „Ungarische Nationalkomitee“ ins Leben rufen. Die Exponenten aller demokratischen Parteien schlössen sich diesem Komitee an, das New York mit Rücksicht auf die UNO zu seinem ständigen Sitz wählte.

Die Geschehnisse des ungarischen Volksaufstandes von 1956 müssen hierzulande nicht in Erinnerung gerufen werden, doch meint Bela Varga, daß man die Details des damaligen Vorgehens der Sowjets den Blockfreien Nationen nicht oft genug schildern kann, damit sie begreifen, daß sich hinter der biederen Maske des „Großen Bruders“ der Unterdrücker, Ausbeuter, Kolonialist und Imperialist verbirgt. Moskau, das die bedingungslose Freilassung des Generalsekretärs der Chilenischen KP, Luis Corvalän, verlangt, hat den Generalsekretär der Ungarischen Kommunistischen Partei, Imre Nagy, unter Wortbruch gefangengenommen und „irgendwo in Rumänien“ hingerichtet.

„Die Völker der Welt“, meint Bela Varga, sollten sich an die Worte erinnern, die Abraham Lincoln in Gettys-burg sagte: ,Sie starben nicht umsonst!' Und die Sowjets kennen sehr wohl den Geist der Ungarn, die so oft schon bereit waren, ihr Leben für Freiheit und Unabhängigkeit zu opfern. Deshalb dulden die Russen, innerhalb gewisser Grenzen, in Ungarn denn auch mehr Freiheit als in anderen Ländern Osteuropas.“

Ungarn ist nun seit 31 Jahren von Sowjettruppen besetzt, wie Ostdeutschland und Polen. Die CSSR teilt deren Schicksal seit dem August des Jahres 1968, als die Sowjettruppen Dubceks „Prager Frühling“ ein gewaltsames Ende setzten. . Bela Varga glaubt, daß die traditionelle Freundschaft zwischen dem polnischen und dem ungarischen Volk lebendig geblieben ist. Seit Jahrhunderten kämpften Polen und Ungarn Schulter an Schulter gegen die mächtigen Nachbarn. Als Nazideutschland Polen angriff, nahm Ungarn mehr als 50.000 polnische Flüchtlinge auf, und der damalige Landpfarrer von Bala-tonboglär, derselbe Bela Varga, organisierte die Flüchtlingshilfe, nicht nur für die Polen, sondern auch für jene Juden, denen es gelungen war, den Konzentrationslagern zu entfliehen. Er half auch zahlreichen französischen Kriegsgefangenen, die aus den Lagern in Österreich, damals „Ostmark“, nach Ungarn flüchteten und hißte vorübergehend die französische Trikolore auf seinem Pfarramt. Während des Krieges existierte ein einziges polnisches Gymnasium, und es befand sich am Plattensee, in Balatonboglär. Der politisierende Provinzpfarrer besaß Kontakte zur polnischen Exüregierung in London und rettete das Leben vieler polnischer Parteiführer, indem er sie, mit falschen Dokumenten ausgerüstet, über die Schweizer Grenze brachte.

Zur Lage der Kirche im Osten meint Monsignore Varga: „Die katholische Kirche bildet sowohl in Polen als auch in Ungarn eine nicht zu übersehende Kraft Stefan Kardinal Wyszinsky und der neue Erzbischof von Esztergom, Läszlö Kardinal L6kai, tun ihr Bestes. Anscheinend hat sich der polnische Kirchenfürst mit der kommunistischen Wirtschaftspolitik abgefunden, um weiteren Restriktionen vorzubeugen. Kürzlich hat auch Kardinal Lekai eine Art von Dialog mit der Partei gestartet. Die Katholiken müssen überleben!“

„Ob ich jemals in mein Vaterland zurückkehren werde? Ich verließ Ungarn mit der Absicht, einmal heimzukehren und Rechenschaft über mein Wirken abzulegen ... Rechenschaft aber nur vor dem einzig hiefür kompetenten Organ: vor dem befreiten ungarischen Volk, das im Jahre 1945 gegen den Kommunismus gestimmt hat, nicht anders als 1956, während der Revolution, die ewig in den Herzen aller Ungaren weiterleben wird.“

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