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„Sie töten sich vorerst gegenseitig”

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Vier Monate nach dem Zypernkrieg ist die Lage auf der Mittelmeerinsel unsicherer denn je. Das Warten auf die Parlamentswahlen in Griechenland erleichtert weder die Situation der Volksgruppen noch löst sie die anstehenden Probleme. Der Türkenführer Denktasch erläuterte die Haltung der Inseltürken und die der Regierung in Ankara in einem Gespräch mit FURCHE-Mitarbeiter Alfred Fischer.

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Vier Monate nach dem Zypernkrieg ist die Lage auf der Mittelmeerinsel unsicherer denn je. Das Warten auf die Parlamentswahlen in Griechenland erleichtert weder die Situation der Volksgruppen noch löst sie die anstehenden Probleme. Der Türkenführer Denktasch erläuterte die Haltung der Inseltürken und die der Regierung in Ankara in einem Gespräch mit FURCHE-Mitarbeiter Alfred Fischer.

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FURCHE: Herr Vizepräsident Denktasch, nach den neugeschaffenen Tatsachen auf der Insel Zypern ist Ihre Rolle und Position eine sehr viel stärkere und einflußreichere geworden. Wie sehen Sie sich selbst?

DENKTASCH: Ich glaube nicht, daß sich meine Rolle und Position verändert hat. All die Jahre hindurch kämpfte ich um die volle staatsbürgerliche, soziale und wirtschaftliche Gleichberechtigung unserer türkischen Gemeinschaft. Worauf es mir ankam: sie sollte endlich nicht mehr benachteiltigt und unterdrückt werden, sondern die Unabhängigkeit Zyperns ohne Diskriminierung mitgenießen dürfen.

FURCHE: Sehen Sie denn immer noch akute Gefahren für die türkische Inselbevölkerung?

DENKTASCH: Zehntausend, Flüchtlinge werden auf den britischen Basen festgehalten. Weitere 35.000 befinden sich noch im griechischen Sektor. Von den Griechen werden sie als Geiseln mißbraucht, um politische Zugeständnisse der türkischen Seite zu erpressen. Ausnahmslos ist es ihr veraweifelter, ja flehentlicher Wunsch, nach unserem Sektor gelangen zu dürfen.

FURCHE: Sind Sie für einen Bevölkerungsaustausch?

DENKTASCH: Sehen Sie, diese Frage wird allein durch Realitäten beantwortet. Wenn die 10.000 Türken auf den britischen Basen und die 35.000 türkischen Geiseln in griechischer Hand lieber heute als morgen mit uns vereinigt sein wollen, wie könnte ich da überhaupt „nein” sagen? Im türkischen Sektor leben noch 20.000 Griechen. Ich habe beinahe alle gesehen. Wie zu erwarten, ist es ihr legitimes Verlangen, in die griechischen Gebiete umgesiedelt zu werden. Diesen Wunsch habe ich meinem griechischen Gesprächspartner Klerides übermittelt, und seine Antwort lautete: „Nein, ich will sie nicht. Behaltet sie!” Aber ich möchte und kann es nicht. Dann wären sie ja Gefangene. Wenn jemand unseren Sektor verlassen will, wird ihn niemand daran hindern.

FURCHE: Aber warum kann sich die Türkei nicht wenigstens jetzt, nach ihrem Sieg, aus Zypern zurückziehen?

DENKTASCH: Solange sich dieselben Leute, die die unabhängige Republik Zypern am 15. Juli 1974 zu zerstören versuchten,noch auf der Insel befinden, ist das ausgeschlossen. Bis über die Zähne bewaffnet, bleiben sie für die griechisch-zyprische Armee verantwortlich. Ihre Zeitungen schreiben und hetzen weiter, und das unveränderte Ziel heißt

Enosis. Im Troodos-Gebirge starten sie eine „Befreiungsbewegung” und spielen auf eine kommende Guerilla an, aber sie töten sich vorerst nur gegenseitig. Unter ihnen und innerhalb ihrer Distrikte gibt es kein Gesetz und keine Ordnung. Erst wenn die Griechen, die die Unabhängigkeit der Republik vernichten wollen, von ihren vernünftig denkenden Landesleuten vollkommen ausgeschaltet sind, ist die Mission der Türkei beendet — keinen Augenblick eher. Unter die negativen Leute reihe ich auch Erzbischof Maka- rios ein. Mehr noch, er ist der Anfang allen Übels. Dabei denke ich vor allem an die Gefahr einer Vernichtung der Unabhängigkeit Zyperns. Und Makarios hat immer noch nicht aufgehört, dafür zu arbeiten und Propaganda zu machen.

FURCHE: Letzthin meinte der türkische Ministerpräsident Ecevit, daß rund ein Drittel des Territoriums der Insel zur türkischen Region gehören sollte.

DENKTASCH: Ich glaube, diese Ziffer ist kein Wunschtraum, denn die Türken besitzen laut Grundbucheintragungen ein Drittel des Bodens.

FURCHE: Falls es sehr lange zu keinem Frieden kommen sollte, würden Sie dann eine noch tiefergehende Trennung zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen und möglicherweise sogar eine endgültige Teilung der Insel befürchten?

DENKTASCH: Ja, die Kluft würde geradezu zwangsweise, je länger sich der Konflikt hinzieht, desto unüberbrückbarer werden. Eine Teilung ist das letzte, was ich wünsche. Auch die Türkei wäre daran völlig desinteressiert. Wahrlieh, sie braucht nicht noch eine Grenze mit Griechenland.

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