7211939-1992_34_04.jpg
Digital In Arbeit

Sie vegetieren am Rande der Legalität

19451960198020002020

Nach dem Putsch vom 19. August 1991 in Moskau, mit dem die kommunistische Nomenklatura mit Unterstützung der KGB-Spitze und der Armee-Führung die „alte Pracht" der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) und somit die Diktatur der KP wiederherzustellen versuchte und dabei kläglich scheiterte, kam es im Sowjetimperium zu großen Veränderungen.

19451960198020002020

Nach dem Putsch vom 19. August 1991 in Moskau, mit dem die kommunistische Nomenklatura mit Unterstützung der KGB-Spitze und der Armee-Führung die „alte Pracht" der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) und somit die Diktatur der KP wiederherzustellen versuchte und dabei kläglich scheiterte, kam es im Sowjetimperium zu großen Veränderungen.

Werbung
Werbung
Werbung

Damit waren die Tage der „Avantgarde der Arbeiterklasse" beziehungsweise des „Leuchtturms der fortschrittlichen Welt" vorüber. Die Kommunistische Partei Wladimir Iljitsch Lenins, gegründet 1903, zur Macht gelangt mit einem Putsch im Oktober 1917, Inhaber der Alleinherrschaft in Sowjetrußland seit dem Sommer 1918, war nun 1991 am Ende ihres Weges angelangt. Innerhalb weniger Wochen war es mit ihrer Staatsherrlichkeit vorbei.

Jelzin in seiner Eigenschaft als Präsident Rußlands ließ bereits Ende August die Parteibüros schließen, den „Apparat" (die KP-Nomenklatura) nach Hause schicken und die Pforten aller Institutionsgebäude der KP polizeilich versiegeln.

Gesetzlich wurde die sowjetische Kommunistische Partei - die sich früher noch stolz „bolschewistisch" nannte - am 6. November 1991 aufgelöst. Damit war das Ende der Partei besiegelt. Ein historischer Tag. Das Partei vermögen wurde vom Staat beschlagnahmt und auch die Schwester-Institutionen der Partei, wie zum

Beispiel der „Komsomol", der Kommunistische Jugendverband und andere ähnliche Einrichtungen, verboten.

Eigentlich berührte dieses Verbot bereits nichtexistierende Institutionen, denn die genannten Schwester-Einrichtungen bestanden zu diesem Zeitpunkt nur mehr auf dem Papier. Ihre Mitglieder liefen ihnen ab 1989 in Scharen weg und der Vorstand - ideologisch und politisch verwirrt, von der Zentrale keine Anweisungen mehr erhaltend - kümmerte sich in erster Linie um sein persönliches Schicksal. Man suchte neue Posten für sich und die Seinen in den Staatsbetrieben.

Was die Gegenwart betrifft, so ist die Szenerie der Altkommunisten recht aufschlußreich. Zur Zeit existieren in Rußland etwa fünf größere sogenannte „Kommunistische Parteien", die zwar alle einen Vorstand besitzen, kaum jedoch eine nennenswerte Anhängerschaft.

Nach neuesten Kenntnissen aus Moskau sind das folgende Kommunistische Parteien: □ Die „Partei der Werktätigen Sozialisten". Sie wurde am 22. Dezember 1991 in Moskau gegründet. Im Vorstand sitzen etliche ehemalige Funktionäre der alten KP. Unter ihren Führern finden wir auch Roy Medwedjew, einen auch (Archiv) im Westen bekannten Historiker, der ein Antistalinist war und während der Breschnew-Ära vom Regime verfolgt wurde. Medwedjew machte zwar mit keinem GULAG Bekanntschaft, wurde aber mit Auftrittsverbot bestraft, alle seine Bücher wurden aus den Bibliotheken entfernt. □ Die „Russische Kommunistische Arbeiterpartei". Gründungsdatum: November 1991. Gründungsort: Je-katerinburg. Ihr Ziel ist die Wiederherstellung der alten Macht der So-

wjetunion. Unter den Mitgliedern des Vorstandes finden wir auch einen aktiven General der früheren Sowjetarmee, A*. I. Makasow. Er möchte gern der rote Diktator von Rußland werden.

□ Die „Kommunistische Partei der Bolschewiken". Gegründet wurde diese Partei in St. Petersburg (ehemals Leningrad) und zwar von der Dozentin Njina Andrejewa. Diese war schon in der Gorbatschow-Ära eine schillernde Persönlichkeit, wenn es gegen Perestrojka und Glasnost ging. Sie ist etwa 55 Jahre alt und gibt selber zu, daß sie eine Anhängerin Stalins ist. Andrejewa und der Parteivorstand verurteilen alles, was nach Stalins Tod 1953 auf politischer Ebene in der UdSSR geschah. Laut Andrejewa begann das Übel mit der Herrschaft „dieses ukrainischen Bauern" - das heißt mit Nikita Chruschtschow. Er und seine Anti-Stalin-Kampagne beziehungsweise der „unglückselige" XX. Parteitag 1956 haben den Niedergang der Sowjetunion eingeleitet. Vergeblich habe Genosse Breschnew versucht, die Sünden Chruschtschows wiedergutzumachen; nach seinem Ableben (1982) sei die Führung der KP - mit Ausnahme Andropows - in die Hände der „Liquidatoren" der Sowjetmacht (sprich: Gorbatschow) geraten.

Andrejewas Partei, die in tiefster „Illegalität" arbeitet, versucht in erster Linie bei den bewaffneten Kräften der Gemeinschaft Unabhängiger

Staaten (GUS) Fuß zu fassen. Kenner der Szenerie sprechen von nicht einmal 5.000 Mitgliedern dieser Partei.

□ Der „Bund der Kommunisten - Partei der Russischen Kommunisten" wurde Ende Dezember 1991 in Moskau gegründet. Die Partei steht auf der Plattform der Perestrojka. Ihre Mitglieder rekrutieren sich aus den Reihen der Intelligenz.

□ Und schließlich existiert noch eine „Sozialistische Partei der Arbeiter und Bauern". Diese wurde im November 1991 gegründet. Ihr Ziel ist auch die Herstellung der „alten" Sowjetunion in ihrer Grenze von 1989. Ideologisch basiert diese Partei auf der orthodox marxistisch-leninistischen Lehre. Sie zählt etwa zwei- bis dreitausend Mitglieder.

Eigentlich sind alle dies KP-Organisationen ungesetzlich. Denn nach dem Verbot der KPdSU in Moskau im Juli 1992 hat das Oberste Gericht der Russischen Republik erklärt, daß die KP nie eine „richtige politische Partei" gewesen ist, sondern der Sowjet-Staat selbst. Über Jahrzehnte habe die KP gegen die Verfassung verstoßen und sozialen, religiösen sowie ethnischen Haß geschürt. Bauern, Unternehmer, Arbeiter und ganze Völkerschaften seien durch die KPdSU in die Verbannung oder in Arbeitslager geschickt worden. Die KPdSU hat also gegen das ganze Volk gesündigt. Von einer Suspendierung des Verbotes ihres Wirkens vom November 1991 könne keine Rede sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung