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„Siebenbürgen, süße Heimat..

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In der „Schwarzen Kirche" von Kronstadt, im Brukenthal-Museum für Kunst und Volkskunde in Hermannstadt, in Konzerten des Bach-Chors und in Dorfgottesdiensten vergißt man, daß man sich rund eintausend Kilometer südöstlich von Wien befindet. Die Minderheit der Rumäniendeutschen hat ihre eigene Presse, ihre eigenen Theater und Schulen. „Siebenbürgen, süße Heimat, unser teures Vaterland" singen die Siebenbürger bei ihren Volks- und Familienfesten.

Die Rumänen bezeichnen das Siebenbürgerland als Transsilva-nia, die Ungarn nennen es Erdely. Es ist ein behäbiges, auf weite Strecken verträumtes Berg- und Hügelland mit Getreide- und Maisfeldern, Obstgärten, Weiden und Wäldern, mit Pferdefuhrwerken auf Lehmwegen und Gänsescharen an Bächen und Dorfteichen.

Manches vorkriegszeitliche Bild bietet sich auch in den Städten, wie Mühlbach, Schäßburg, Klausenburg, Kronstadt und Hermannstadt; hier scheint in vielen malerischen Altstadtwinkeln die Zeit stehengeblieben zu sein. Die rumänischen Namen Sebe?, Sighisoara, Cluj, Brasov und Si-biu können nicht verbergen, daß die Städte Siebenbürgens deutsche Gründungen sind.

Der ungarische König Geza II. hatte 1142 deutsche Siedler ins Land gerufen, vor allem zum Schutz der Grenzen gegen Mongo'-len-, Türken- und Tatareneinfälle. Die Siedler kamen größtenteils aus dem rhein- und moselfränkischen Raum, aus Luxemburg und dem Elsaß, am allerwenigsten aus Sachsen. Die Ungarn pflegten alle Siebenbürgendeutschen „Sass" zu nennen.

Vielerlei Beweggründe, unter anderem Armut, Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen und die Aussicht auf größeren Landbesitz, hatten die „Siebenbürger Sachsen" zum Verlassen ihrer Heimat bewogen.

Schon 25 Jahre nach Luthers Thesenanschlag setzte die Reformation ein. Siebenbürgen wurde nicht nur zu einem Hort des Deutschtums, sondern auch zu einer Hochburg des Luthertums — und das um so mehr, als sich später zahlreiche Protestanten, die „Landler" aus dem Salzkammergut, Kärnten und der Steiermark, in Siebenbürgen ansiedelten.

Zur gleichen Zeit wurde auch mit der planmäßigen Besiedelung des Banat begonnen, jenes fruchtbaren Schwarzerdegebietes, das nach dem Ersten Weltkrieg neben Siebenbürgen ebenfalls zu Rumänien kam. Die Siedler im Banat waren vornehmlich Katholiken aus Österreich und aus der Ulmer Gegend. Man nennt sie heute noch „Banater Schwaben" oder „Do-nauschwaben"; auch sie pflegen ihr überkommenes Volkstum, ihre Tänze und Trachten.

Wo die Kommunistische Partei das Sagen hat, führt die Religion mehr oder weniger ein Schattendasein. In Rumänien sind weder Weihnachten, Ostern, Pfingsten und Karfreitag noch der 6. Jänner, Fronleichnam, Allerheiligen und Büß- und Bettag offizielle, arbeitsfreie Feiertage; sie werden als Urlaubstage angerechnet, sofern Werktätige sie nach christlichem Brauch begehen möchten. Wer ein hohes Staatsamt oder einen Funktionärsposten anstrebt, muß seinen religiösen Glauben verleugnen.

Zwar bekräftigt die Verfassung der Sozialistischen Republik Rumänien die Gewissensfreiheit für alle Bürger. Demnach steht es jedermann frei, „sich zu einer Religion zu bekennen oder nicht". Wörtlich heißt es: „Die freie Religionsausübung ist gewährleistet. Den religiösen Kulten steht es zu, sich frei zu organisieren."

Zugleich aber fügt der Gesetzgeber hinzu: „Die Art der Organisation und der Betätigung der religiösen Kulte ist gesetzlich geregelt." Konkret heißt das: der Staat bestimmt, welche Glaubensgemeinschaft sich betätigen kann. Er verbietet den Religionsunterricht in den Schulen und veranstaltet seinerseits Atheismuskampagnen.

Theologische Lehranstalten können nur im Einvernehmen mit der kommunistischen Führung Rumäniens unterhalten werden. Die Kommunistische Partei hält alle Zügel in der Hand, sie hat das absolute Informationsmonopol.

Aus Furcht vor geheimpolizeilicher Willkür wird Kritik in Rumänien sehr vorsichtig geäußert. Von der Helsinki-Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) hatten sich viele Rumänen etwas mehr als feierliche Worte versprochen. Als unter den rund 400.000 Rumäniendeutschen der Wunsch nach Familienzusammenführung laut wurde, erwiderte Staatschef Ni-colae Ceausescu in scharfer Form: „Der Platz jedes rumänischen Bürgers, ob er nun Rumäne, Ungar, Deutscher, Jude oder sonstwer sei, ist hier." Wer Rumänien verlassen wolle, übe „Verrat am Vaterland".

Zwar ließ die Regierung in Bukarest nach einer inoffiziellen Absprache mit dem früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt jährlich etwa zehntausend Rumäniendeutsche auswandern, doch Ausreisewillige müssen damit rechnen, daß sie ihren Arbeitsplatz verlieren und hernach wegen „Parasitentum" in Arbeitslager gesteckt werden.

Kein Siebenbürger Sachse, kein Banater verläßt Rumänien leichten Herzens. Vor allem die Alten fühlen sich hier" daheim und fragen sich, was sie im Ausland erwartet; viele fühlen sich in der Bundesrepublik Deutschland und in Österreich übersehen und verkannt.

An einer Massenabwanderung sind freilich auch kirchliche Stellen Siebenbürgens und des Banat wenig interessiert. Pfarrer und Lehrer würden ihre Lebensaufgabe verlieren, wenn die deutsche Volksgruppe immer mehr zusammenschrumpft. Andererseits verlieren die Gemeinden ihre geistigen und geistlichen Führer, wenn auch Lehrer und Pfarrer das Land verlassen.

Noch lassen über 90 Prozent der Rumäniendeutschen ihre Kinder christlich taufen. Wer auf eine kirchliche Trauung Wert legt, muß auch konfirmiert sein. Immer mehr kommt es zu Mischheiraten zwischen Katholiken und Protestanten, immer mehr gehen auch rumänisch-orthodoxe Christen mit Partnern einer anderen Konfession die Ehe ein. Die Orthodoxen sind unter den 23 Millionen Rumänen weitaus in der Mehrheit; ihre Liturgie, ihre Kirch- und Klosterbauten sind der russischen und griechischen Orthodoxie verwandt.

Die konfessionellen Altersheime und Krankenhäuser wurden allesamt verstaatlicht. Es wird keine Kirchensteuer erhoben, dafür erwarten die Kirchen von ih-renGemeindemitgliedern freiwillige Beiträge, ungefähr ein Prozent des Einkommens.

Siebenbürgen erscheint wohlhabender, gepflegter, ordentlicher als andere Landesteile Rumäniens. Doch hier wie dort wurde die Industrialisierung auf Kosten der Landwirtschaft vorangetrieben, sieht man Menschenschlangen vor den Läden als Symbole sozialistischer Mangel- und Zuteilungswirtschaft. Die Bauern auf ihren Privatparzellen können 20 Prozent der Ernte für sich behalten. Alles andere muß an die Genossenschaften abgeliefert werden.

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