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Sieg für Mahlers Sechste

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Im Großen Konzerthaussaal dirigierte Hans Swarowsky Gustav Mahlers 1906 uraufgeführte 6. Symphonie. Der Saal war fast voll, auch viele jugendliche Zuhörer waren da, und nach dem 80 Minuten dauernden Riesenwerk gab’s Applaus wie nach einer italienischen Oper in Starbesetzung. In den fünfziger Jahren war das noch anders. Da wurden vor einem Konzert mit eben dieser Sechsten von den mißtrauischen Abonnenten mehr als 200 Karten zurückgegeben, obwohl Dimitri Mitropoulos am Pult stand. — Heute ist Mahler fast schon eine Attraktion.

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Im Großen Konzerthaussaal dirigierte Hans Swarowsky Gustav Mahlers 1906 uraufgeführte 6. Symphonie. Der Saal war fast voll, auch viele jugendliche Zuhörer waren da, und nach dem 80 Minuten dauernden Riesenwerk gab’s Applaus wie nach einer italienischen Oper in Starbesetzung. In den fünfziger Jahren war das noch anders. Da wurden vor einem Konzert mit eben dieser Sechsten von den mißtrauischen Abonnenten mehr als 200 Karten zurückgegeben, obwohl Dimitri Mitropoulos am Pult stand. — Heute ist Mahler fast schon eine Attraktion.

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Daß es so ist, haben wir gleichlaufenden Bemühungen von verschiedenen Seiten zu danken. — Seit etwa 1947 reklamiert die Fachkritik vor allem die vernachlässigten großen Instrumentalsymphonien Mahlers, die zugleich seine bedeutendsten Schöpfungen sind: die fünfte, sechste, siebente und neunte. Die in Wien gegründete Internationale Gustav-Mahler-Gesellschaft hat durch ihre Mitglieder und unzählige Kontaktgespräche für Gustav Mahlers Werk geworben. Vor allem aber betreut ihr Präsident, Prof. Erwin Ratz, die kritische Gesamtausgabe der Mahler-Symphonien, wodurch eine zuverlässige Grundlage für die Interpretation gegeben ist.

Dem Publikum wurde das kompositorische Werk durch das große Mahler-Fest der Konzerhausgesell- schaft und den Einsatz mehrerer prominenter Dirigenten nahegebracht, von denen primo loco Leonard Bernstein zu nennen ist, der sich auch durch das gesprochene Wort zu Mahler bekennt, und zwar vor allem gerade zu den bisher stiefmütterlich behandelten Symphonien. Das ist deshalb so wichtig, weil man sie in manchem Konzertführer vergeblich suchen wird. Oder sie sind mit Kommentaren, wie dem folgenden, versehen: „Mahlers Sucht, die innere Überspannung der Gefühle in exzessiven musikalischen Entladungen abzureagieren, tritt in der VI. Symphonie wieder stärker in Erscheinung”, und in ihrem Andante, herrsche „eine zuwenig ergiebige Atmosphäre, in die- naan .da versetat wird…” Solche und ähnliche Urteile waren an der Tagesordnung. Am vergangenen Freitag hingegen lauschte ein ergriffenes Publikum diesen „exzessiven Entladungen” und war von der Atmosphäre des „Andante moderato” fasziniert. Freilich — das soll nicht geleugnet werden —, jede Aufführung des Riesenwerkes bedeutet einen Kraftakt für Orchester, Dirigent und Publikum. Hans Swarowsky, energisch, temperamentvoll, wie verjüngt, vermag ihn physisch zu leisten, seine intime Mahler-Kenntnis und Mahler-Verehrung übertrugen sich auch aufs Orchester der Wiener

Symphoniker, die, mit Mahler bestens vertraut, 80 Minuten lang konzentriert, intensiv und fehlerfrei mit allerschönstem Ton spielten.

*

Ebenso aufmerksam hatten Swarowsky und das Orchester Zvi Zeit- lin begleitet, der das (einzige) Violinkonzert von Igor Strawinsky spielte. 1931 entstanden, steht es, wenn wir nur auf die größeren Werke im Opusverzeichnis schauen, zwischen der „Psalmen-symphonie” und der „Persephone”, ist also in der Hoch-Zeit von Strawinskys neoklassischer Periode entstanden. Diese wurde, wie man weiß, post festum von verschiedenen Theoretikern ange- fochten, aber sie hat eine Reihe von Meisterwerken gezeitigt, die zu den hervorragendsten der ersten Jahrhunderthälfte gehören. Die Titel der einzelnen Sätze: Toccata, Aria I und II und Capriccio deuten auf barocke Formmodelle. Aber auch in diesem Werk triumpiert Strawinskys Persönlichkeit über die „Tradition”.

Als Strawinsky, der sich seit der „Geschichte vom Soldaten” nicht mehr mit der Solovioline beschäftigt hatte, zögerte, der Aufforderung Samuel Duschkins nachzukommen und ein Violinkonzert zu schreiben, da war es Paul Hindemith, der ihn ermutigte, weil eben gerade diese Tatsache ihm helfen würde, die landläufige Technik zu meiden und neue Dinge zu erfinden. In der Tat. Trotz des reichhaltigen Orchester- parts - ist dieses Violinsolo ein 20 Minuten dauernder Monolog. Ein ‘ reč&l’eigenwilliger, “Äft vielen Doppelgriffen, großen Sprüngen, Tonwiederholungen, rasanten Läufen und heftig angerissenen Akkorden. Von den bewegten Ecksätzen eingeschlossen ruht die apollinische Schönheit der beiden Arien mit Kan- tilenen, wie wir sie erst 20 Jahre später in „The Rake’s Progress” wiederfinden. Zvi Zeitlin geigte den enorm schwierigen Solopart mit Intelligenz, Ausdruck und Bravour. Seit wir ihn zuletzt hörten, ist er reifer, männlicher, sein Ton voller geworden. Entsprechende Stärkegrade erreichte auch der Beifall.

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