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Sieg über die Gruft?

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Polens Parteichef Stanislaw Kania, der am Dienstag den außerordentlichen Parteikongreß der polnischen Kommunisten in Warschau eröffnete, hatte diesen schon zwei Wochen vorher als „großes, internationales Ereignis“ gepriesen. Das ist er und noch mehr: Er ist ein Ereignis von historischer Dimension.

Zum ersten Mal seit der Installierung der kommunistischen Systeme in Osteuropa darf das formell höchste Gremium einer kommunistischen Partei - und das ist der Parteikongreß den Statuten nach - beanspruchen, politisch legitimiert und weitgehend demokratisch (im westlichen Sinne) zusammengesetzt zu sein.

Seit 1945 wurden und werden die Delegierten für einen KP-Kongreß in Osteuropa praktisch von der Parteibürokratie ausgewählt und auf den Betriebs-, Stadt-, Bezirks- und Regionalkonferenzen der Parteiorganisationen per Akklamation und durch bloß schein- demokratische Zustimmung gekürt.

In Polen lief es diesmal anders: Die 1964 Delegierten, die seit Dienstag im Warschauer Kulturpalast tagen, sind aus einer unbeschränkten Anzahl von Kandidaten in freien und geheimen Wahlen auf allen Ebenen der Partei gewählt worden.

Das Ergebnis dieser Demokratisierungsmaßnahme ist in sich scheinbar widersprüchlich:

• Zum einen gab es recht einschneidende personelle Veränderungen, was einige Zahlen aus der Warschauer Wochenzeitung „Polityka“ belegen: 65 Prozent der Mitglieder des seit Februar 1980 amtierenden Zentralkomitees wurden nicht mehr als Parteitagsdelegierte gewählt - und sind damit automatisch in die politische Wüste geschickt, weil nur ein Delegierter vom Parteitag ins neue ZK gewählt werden kann.

Von den 49 Provinzparteisekretären überlebten drei, die noch aus der Gie- rek-Ära stammen. 90 Prozent der Parteitagsdelegierten sind überhaupt zum erstenmal bei einem Parteikongreß und

sind in gewissem Sinne „unberechenbar“.

• Zum anderen aber haben die freien, geheimen und demokratischen Delegiertenwahlen in den obersten Rängen der Partei keinen tiefergreifendan personellen Umsturz verursacht. Von den Mitgliedern des amtierenden Politbüros (Vollmitglieder und Kandidaten) und des ZK-Sekretariates (insgesamt 19) sind nur 6 unter die Räder gekommen - und beileibe nicht’die „starken Persönlichkeiten“.

Alle Vollmitglieder des amtierenden Politbüros schafften die Wahl zum Parteitag: Parteichef Kania in Krakau mit der höchsten Stimmenzahl, dogmatische „Falken“ wie Grabski in Konin und Zambinski in Kattowitz erst, nachdem sich Kania für sie eingesetzt hatte und die Delegierten von der politischen

Notwendigkeit überzeugt hatte, auch diese „bewährten“ Kader zu küren.

• Schließlich ist festzuhalten, daß auch sehr radikale KP-Reformer nicht die Wahl zum Parteitagsdelegierten schafften; etwa der Präsident des polnischen Journalistenverbandes, Stefan Bratkowski, oder Iwanow in Thorn, der darauf verzichtete, auf die Kandidatenliste der KP-Woiwodschaftskonferenz gesetzt zu werden, nachdem er nur ganz knapp in einer Wahl bestätigt bekommen hatte, daß er kandidieren könne, obwohl er aus der Partei ausgeschlossen war.

Summiert man also diese scheinbar widersprüchlichen Ergebnisse der Delegiertenwahlen, so läßt sich wider Erwarten doch ein eindeutiger Trend ablesen: der Zug zur gemäßigten Mitte - und eine „Koalition der Vernunft“.

Diesem so zusammengesetzten und gewählten Parteikongreß obliegt nun eine schwere, ja fast unlösbare Aufgabe.

• Er muß ein politisches Programm der Partei für die nächsten fünf Jahre entwerfen, das möglichst konkret und nicht in versprechende Leerformeln gekleidet, den Kurs der Erneuerung festschreibt. Hier pendeln etwa die An- sichtenzwischenderKania-Linie(„Kon- flikte ausschließlich mit politischen Mitteln lösen“) und dem Olszowski- Standpunkt („… hauptsächlich mit politischen Mitteln lösen“). v

• Der Parteikongreß muß Veränderungen in den Parteistatuten beschließen, um den eingeleiteten Prozeß der Demokratisierung auch auf eine formalrechtliche Basis zu stellen.

• Schließlich muß der Parteikongreß wohl auch ein ökonomisches Stabilisierungsprogramm und Direktiven für eine Wirtschaftsreform verabschieden, wobei die Stichworte „Mehr Eigenverantwortlichkeit der Betriebe“, „Dezentralisierung“ und „Marktmechanismen“ den Rahmen abstecken.

Die entscheidene Frage ist, ob die reformwillige KP Polens diese Aufgaben so lösen kann, daß sie nicht zwischen Hammer und Amboß gerät: Zwischen den „Amboß“ eines um soziale Gerechtigkeit und mehr politische Freiheit ringenden Volkes und den „Hammer“ der sozialistischen Bruderländer, die die Grundlagen des Kommunismus im Land an der Weichsel bedroht sehen.

Die Erwartungen in den Parteitag, so hat eine Meinungsumfrage unter polnischen Bürgern ergeben, sind gering. Der Glaube, daß eine so schwer kompromittierte Partei, die in den mehr als 35 Jahren Machtausübung sich verschlissen hat, das Land aus der Krise führen kann, ist in der Bevölkerung unterentwickelt. Die Überzeugung, daß ein „demokratischer Kommunismus“ möglich und nicht ein Widerspruch in sich ist, scheint weit verbreitet.

Wird dieser Parteitag diesen Glauben, diese Überzeugung festigen? Und wird geschehen, was die polnische Lyrikerin Ewa Lipsky in einem Gedicht dem Land und dieser Partei zuzurufen scheint:

Leiste Dir endlich einen menschlichen Schritt!

Leiste dir endlich den Sieg über die Gruft!

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