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Im folgenden zwei Appelle, den Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe nicht nur zu loben, sondern auch umzusetzen. Bei den Seckauer Gespräche wur- den schon Vorsätze gefaßt.

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Im folgenden zwei Appelle, den Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe nicht nur zu loben, sondern auch umzusetzen. Bei den Seckauer Gespräche wur- den schon Vorsätze gefaßt.

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Die Seckauer Gespräche, die heuer bereits zum neunten Mal stattfanden und von den Teil- nehmern wieder mit Begeisterung aufgenommen und mitgetragen wurden, setzten sich diesmal mit dem Sozialhirtenbrief der österrei- chischen Bischöfe auseinander. Dabei lag das Ziel nicht in einer akademischen Diskussion über den Inhalt und die gewählten Formu- lierungen. Vielmehr war jeder Teil- nehmer aufgerufen, darüber nach- zudenken und zu reden, wie er die Aussagen und Forderungen des So- zialhirtenbriefes in seinem Lebens- bereich in die Realität umsetzen könne. Das entspricht ja auch ganz dem Sinn des Kapitel 128, in dem alle aufgefordert werden, den Worten entsprechende Taten fol- gen zu lassen.

Wie notwendig dies ist, ergab sich schon aus dem ersten Referat, in dem Volksanwalt Herbert Kohl- maier darauf verwies, daß in den politischen Parteien und den Inter- essenvertretungen sozial- und ge- sellschaftspolitische Fragen weit- gehend aus dem Blickfeld ver- schwunden wären. Auch im Wahl- kampf seien sie kaum vorgekom- men. Es gäbe lediglich punktuelle Forderungen (Mindestlohn und - pension) sowie einige Aktivitäten im Bereich der Familienpolitik.

Dazu käme, daß dort, wo über gesellschafts- und sozialpolitische Fragen gesprochen wird, immer noch in den Konflikten des längst vergangenen 19. Jahrhunderts (ausgebeuteter Arbeiter versus Kapitalist) und damit in Katego- rien gedacht wird, die nach einem Jahrhundert stürmischer Ent- wicklung überholt wären. Die neue soziale Frage umfasse ganz andere, vielfältigere und kompliziertere Konflikte, die neues Denken und neue Lösungen erforderten.

Die Teilnehmer waren sich dar- über einig, daß die Bischöfe mit dem Hirtenbrief in einer Sternstun- de das rechte Wort zur rechten Zeit gesagt haben. Daß die Bischöfe fast durchwegs Lob geerntet haben, bringt allerdings auch die Gefahr mit sich, daß sich so manche Insti- tution mit dem Lob die Auseinan- dersetzung mit für sie unangeneh- men Aussagen und Forderungen ersparen möchte. Sozusagen ein „in die Schublade loben". Dies könn- ten wir verhindern, indem wir nicht müde werden über die Aussagen zu reden, ihnen gemäß zu handeln und konkrete Aktionen zu setzen, wo immer wir können.

P. Heinrich Segur SJ meinte in seinem Referat unter anderem, daß soziale Sünden kaum gebeichtet würden, obwohl gerade in der Arbeitswelt und in der Wirtschaft immer wieder gegen das Gebot der Nächstenliebe verstoßen würde. Die Würde des Menschen - in seiner unverwechselbaren Persönlichkeit - müsse Ziel und Mittelpunkt der Sozial- und Gesellschaftspolitik sein. Die Subsidiarität berück- sichtige dies in besonderer Weise und biete Lösungen, wo der Mar- xismus mit seinem zentralistischen Denken versagt habe. Wir müßten Brücken schlagen von oben und von unten - wir sind alle Gebende und Empfangende.

Vor und nach den Referaten wurde in vielen engagierten und zeitweise, vor allem beim Thema „Stellung der Frau", auch emo- tionellen Gesprächsbeiträgen per- sönlich zu den Aussagen und For- derungen des Hirtenbriefes Stel- lung genommen. Diese Beiträge und die christlich-brüderliche Atmo- sphäre stellten für alle Teilnehmer eine Bereicherung dar und gaben ihnen Mut und Hoffnung, im Sinn des Hirtenbriefes aktiv zu werden.

Schließlich gab jeder am Ende der Tagung bekannt, was er kon- kret zur Umsetzung des Sozialhir- tenbriefes in die Praxis seines Lebensraumes tun wird. Hier ein Auszug aus den Vorsätzen:

• Informationsweitergabe durch Vorträge (verbunden mit Medita- tion und Gebet); Ermunterung des Pfarrers, zu den im Hirtenbrief angeschnittenen Themen zu predi- gen; Durcharbeiten in Famili- enrunde; Einkehrwochenende mit diesem Thema; Verfassen eines Auszuges aus dem Hirtenbrief zur leichteren Bearbeitung; kurz: Aus- strahlen nach außen.

• Aktive Hilfe für den Nächsten durch Bildung kleiner Jugend- gruppen zur Betreuung jugendli- cher Arbeitsloser; materielle und seelische Betreuung von Behin- derten (Hoffnung geben für Men- schen „zweiter Kategorie"); Betei- ligung an der Aktion „Ein Leben retten", etwa durch Unterstützung von Müttern, die auf eine Abtrei- bungverzichten; kurz: persönliches Engagement statt Abschieben der Verantwortung in die Anonymität der Organisationen.

• Durchbrechen der Isolation von älteren Menschen oder neuzugezo- genen Familien; die persönliche Begegnung und Beziehung im Be- trieb suchen; Wege zur menschli- chen Betreuung von Lehrlingen im dualen Ausbildungssystem finden; kurz: auf den Nächsten zugehen.

• Wichtige Lebensentscheidungen, wie Wechsel in einen Sozialberuf; Entscheidung für die Familie statt Wiedereintritt in das Berufsleben.

• Anregung an die Bischöfe, einen weiteren Hirtenbrief über das The- ma „Ehe, Familie und die Stellung der Frau" herauszugeben.

Die Kirche hat in den Konflikten der Arbeitswelt und Wirtschaft viel versäumt. Der Hirtenbrief ist eine Chance zur rechten Zeit, den Pro- blemen des auslaufenden 20. Jahr- hunderts durch Lösungen, die auf der Katholischen Soziallehre beru- hen, gestaltend zu begegnen. Wir alle sind aufgerufen, diese Chance zu nutzen, denn wir alle sind Kir- che und - wie es ein Teilnehmer for- mulierte - „wir alle weben am gei- stigen Teppich des Landes".

Der Autor ist Geschäftsführer der Pater-Lau- rentius-Hora-Stiftung, die die Seckauer Gesprä- che veranstaltet.

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