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Signora Roma

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Was ist Rom? Woran denke ich, wenn ich das Wort „Rom“ höre? Das habe ich mich oft gefragt. Und mehr oder weniger weiß ich es auch. Ich denke an ein großes rötliches Gesicht, das Ähnlichkeit hat mit den Schauspielern Sordi, Fabrizi, Anna Magnani. Dessen Ausdruck beschwert und nachdenklich ist von der Auswirkung gastrisch-sexueller Belastungen. Ich denke an braune, schlammige Erde, einen weiten Himmel, wie eine aus dem Leim gehende Opernkulisse, in violetten, schwarzen und silbrigen Farbtönen — was tröstlich ist, weil Rom keine Grenzen kennt für senkrecht aufsteigende Gedankenflüge. Rom ist eine horizontale Stadt aus Wasser und Erde, hingebreitet, und darum eine ideale Plattform für die Phantasie. Die Intellektuellen, die Künstler, die immer in Reibung leben zwischen zwei Dimensionen — zwischen Wirklichkeit und Vorstellung —, finden hier den richtigen und befreienden Anstoß für ihre geistige Arbeit, abgesichert durch eine Nabelschnur, die sie in der Realität verankert.

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Was ist Rom? Woran denke ich, wenn ich das Wort „Rom“ höre? Das habe ich mich oft gefragt. Und mehr oder weniger weiß ich es auch. Ich denke an ein großes rötliches Gesicht, das Ähnlichkeit hat mit den Schauspielern Sordi, Fabrizi, Anna Magnani. Dessen Ausdruck beschwert und nachdenklich ist von der Auswirkung gastrisch-sexueller Belastungen. Ich denke an braune, schlammige Erde, einen weiten Himmel, wie eine aus dem Leim gehende Opernkulisse, in violetten, schwarzen und silbrigen Farbtönen — was tröstlich ist, weil Rom keine Grenzen kennt für senkrecht aufsteigende Gedankenflüge. Rom ist eine horizontale Stadt aus Wasser und Erde, hingebreitet, und darum eine ideale Plattform für die Phantasie. Die Intellektuellen, die Künstler, die immer in Reibung leben zwischen zwei Dimensionen — zwischen Wirklichkeit und Vorstellung —, finden hier den richtigen und befreienden Anstoß für ihre geistige Arbeit, abgesichert durch eine Nabelschnur, die sie in der Realität verankert.

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Rom ist also eine Mutter, sogar die ideale Mutter, denn Rom ist gleichgültig: eine Mutter, die zu viele Kinder hat, als daß sie sich mit dir abgeben könnte. Sie verlangt also nichts von dir und erwartet sich nichts. Die Stadt nimmt dich auf, wenn du kommst, und wenn du gehst, läßt sie dich ziehen wie das Gericht bei Kafka. Darin liegt eine uralte Weisheit, die beinahe afrikanisch, prähistorisch ist. Wir wissen, daß Rom eine geschichtsträchtige Stadt ist, aber ihre Anziehungskraft liegt gerade in diesem prähistorischen, urhaften Zug, der in gewissen grenzenlosen und trostlosen Aspekten deutlich zum Vorschein kommt: in Ruinen, die aussehen wie beinerne Fossilien, wie gebleichte Mammutskelette.

Gewiß hat diese Tröstlichkeit ihre negativen Seiten. Obgleich es in Rom wenige Neurotiker gibt, muß man doch auch Jungs Erkenntnis bedenken, daß die Neurose dazu verhilft, zutiefst sich selber zu entdecken, durch einen Sprung in den Meeresgrund den Märchenschatz zu heben und vom Kind zum Erwachsenen zu werden. Rom zwingt einen dazu nicht. Mit ihrem großen Mutterbauch und Muttergesicht verschont die Stadt uns vor Neurosen, hindert uns aber am wirklichen Reifwerden. Es gibt hier keine Nervenkranken, aber auch keine Erwachsenen. Rom ist eine Stadt voller verzogener, lustloser, skeptischer Kinder, die durch die Verhinderung des natürlichen Wachstums auch ein wenig deformiert sind.

Das ist einer der Gründe, warum man in Rom so sehr an der Familie hängt. Auf der ganzen Welt habe ich keine Stadt kennengelernt, wo man so viel von der Verwandtschaft redet: „Hier stell' ich dir meinen Schwager vor!“ oder: „Das ist Lallo, der Sohn von meinem Vetter.“ Eine endlose Kette; man lebt unter lauter wohlbekannten, wohlabgezirkelten Leuten in einer gemeinsamen biologischen Gegebenheit: innerhalb von Nestern, von Brüten... auch die Soldaten nennt man alle „Sohn einer Mamma“.

Soweit wir also alle etwas vom Halbwüchsigen an uns haben, bleibt Rom unsere ideale Mutter, die dich nicht dazu zwingt, dich ordentlich zu benehmen. Auch der landläufige Satz: „Wer bist denn du? Du bist ja ein Niemand!“ ist tröstlich. Nicht nur Verachtung liegt darin, sondern auch Befreiung. Du bist niemand, also könntest du alles sein, alles steht noch offen, du kannst immer von vorne anfangen.

Ich frage mich oft, warum ich nun einen Film über Rom gemacht habe. Was mich dabei inspiriert hat. Einer der Gründe ist, daß ich völlig unbegabt bin für Reisen. Immer wieder schlägt man mir Filmprojekte vor, für die man sich auf Reisen begeben müßte. Das amerikanische Fernsehen wollte mich nach Tibet, nach Indien, nach Brasilien schicken, um einen phantastischen Dokumentarfilm über Religionen und Zauberei zu drehen ... ein bestrik-kender Vorschlag, dem ich sofort zugestimmt habe, obwohl ich eigentlich wußte, daß ich mich nicht vom Fleck rühren würde. Meine Lieblingswege liegen im Dreieck Rom—Ostia—Viterbo. Hier fühle ich mich wohl und könnte also antworten: Ich mache einen Film über Rom, weil ich in Rom lebe und die Stadt mir gefällt. Aber hinter diesem direkten Grund liegt ein anderer, der weiter zurückgeht. Gleich nachdem ich „La dolce vita“ gedreht hatte, kamen in Italien exotische Reisefilme in Mode, wie „Grüne Magie“ und andere. Damals stellte ich die Behauptung auf, teils aus Streitlust, teils aus Uberzeugung, daß man keine Reisen zu unternehmen braucht, um das Seltsame, das Ungewöhnliche, das Ausgefallene zu entdecken, daß auch und vor allem die wohlbekannte Umwelt uns Unbekanntes zu bieten hat. Im eigenen Haus, unter den eigenen Freunden klafften ja plötzlich Abgründe auf, geheimnisvolle Risse, auf die wir den angstvollen Blick richten sollten. Eigentlich dachte ich seit damals an das Bild der Stadt Rom, wie es einem Fremden erscheint, an eine Stadt, die uns ganz nah und doch fern ist wie ein Planet. Aus diesem ersten Anstoß hat sich, ohne daß ich es richtig gewahr wurde der Plan zu diesem Film entwickelt.

Nun, da der Film fertiggestellt ist, könnte ich wirklich nicht sagen, ob er der ursprünglichen Vorstellung entspricht oder nicht. Nein, ich kann es wirklich nicht sagen. Ich kann meine Filme überhaupt nicht beurteilen, kann mich nicht in den Zuschauer versetzen. Im Gegenteil: ich will sie gar nicht mehr sehen. Wenn ein Film fertig' ist, betrachte ich ihn als erledigt: ich habe meine Arbeit getan, jetzt soll der Film sich zeigen, soll sehen, ob er gefällt. Ihn dabei zu kontrollierten, würde mir als taktlos erscheinen. Vielleicht würde ich ihn auch gar nicht mehr erkennen vom verrauchten, überfüllten Kinosaal aus, am falschen Platz unterm Publikum, das schon beeinflußt ist von dem, was man vom Film hat reden hören, von dem, was man sich erwartet... Ich gehe also nicht hin, kann also auch keine Kritik üben. Beim Drehen selbst entschlüpft dir der Film ja ständig, denn es ist nicht ein bestimmter Film, den du machst, sondern viele Filme, Stück um Stück.

Der Tod hat in Rom ein sehr familiäres, verwandtschaftliches Gesicht. Man kann zum Beispiel einen Römer sagen hören: „Ich geh den Papa besuchen, ich geh einen Onkel besuchen“, und dann merkst du erst, daß er damit einen Besuch auf dem Friedhof meint. Die römische Beamten- und Bürokratenmentalität spielt auch in der Beziehung zum Tod eine Rolle, denn auch da kann man bessere oder schlechtere Beziehungen haben, und ein Schwager, der schon im Himmel ist, kann einem weiterhelfen. Das nimmt dem Tod das Grausen, die neurotische Angst. Man braucht nur zu bedenken, daß die Römer den Tod, ,1a morte', im Dialekt ,die trockene Gevatterin' nennen. .Gevatterin', also auch eine Verwandte. Oder man findet so hübsche Ausdrücke wie ,der ist zu den Spitzbäumen gezogen' (nämlich zu den Zypressen auf dem Friedhof), oder ,der macht gute Erde für die Kichererbsen'. Und mit der Verbindung Kichererbsen sind wir schon wieder bei den üblichen römischen Küchengedanken.

Sogar auf dem Friedhof bewahrt Rom etwas von seiner Eigenart als große Mietwohnung, wo man rumschlüpfen kann in Schlafanzug und Pantoffeln. Diese Sequenz habe ich aber nicht mehr gedreht. Dennoch findet sich in meinem Film dieser Aspekt des riesenhaften, von amei-senhaftem Leben erfüllten Friedhofs, der Rom tatsächlich ist. Wie hätte ich alles unterbringen können? Man nimmt sich fast zuviel vor, wenn man Rom in Bildern fassen will. 364 Tage des Jahres kann man Rom vielleicht völlig fremd gegenüberstehen, plötzlich aber gibt es ein besonderes Licht, eine besondere Geräuschatmosphäre, etwas Unwiederholbares, das sich nur in gewissen weiträumigen, ausgeleierten Orten herstellt und dir unvermittelt einen so tiefgreifenden Kontakt vermittelt — und wenn er dich nicht mit Entsetzen erfüllt, ist er tröstlich. Es gibt nicht viele Städte auf der Welt, die dir dies vermitteln können... Du fühlst einen ganz tiefen Frieden, wie es in Afrika eintreten kann: eine Ausweitung des Bewußtseins ... einen anderen Raum, einen anderen Rhythmus. Das hebt die tausend ungünstigen Urteile, die man täglich über diese Stadt fällen muß, wieder auf — wenn sich plötzlich unbekannte Tiefenblicke öffnen, wenn man aufschreckt, wenn alles transparent wird ... das aber ist in diesem Film leider nicht enthalten, ich konnte es nicht hineinbringen.

Nachdem man so lange gedreht hatte, mußte schließlich ein Ende gefunden werden. Außerdem haben diese Empfindungen etwas Unfaßbares, das man nicht erwecken, nicht ausdrücken kann. Ich hätte gern .Stehende Bilder' hineingebracht von unmenschlicher Schönheit: stumme, herzzerreißende, feierliche und poetische Bilder. Im Film sind sie nicht enthalten — und das tut mir leid. Und nun, da der Film fertiggestellt ist, habe ich ein seltsames, ungewöhnliches Gefühl. Bei meinen früheren Filmen spürte ich, daß nach der Fertigstellung das Thema ausgeschöpft war, von meiner Bearbeitung aufgebraucht, ausgeblutet. Nachdem ich ,Die Nächte der Cabiria' gedreht hatte, schien, es mir sogar absurd, daß die große Allee “ an den Caracalla-Thermen überhaupt weiterexistierte, daß man sie nicht abmontiert hatte wie Theaterkulissen. Bie diesem Film habe ich das seltsame Gefühl, als hätte ich das Thema kaum gestreift. Die Materie ist nicht verbraucht, sondern gar nicht angegriffen. Rom steht meinem Film über Rom quasi fremd gegenüber, und ich selber habe fast das Gefühl, mich zudringlich benommen zu haben...

Ich habe den Film mit der gleichen Begeisterung wie immer vorbereitet, habe die Stadt genau durchforscht bis in die entlegensten Winkel, aber schließlich erwiesen sich diese Plätze, diese Palazzi und die darin hausende Menschheit, die grandiosen Szenerien, die ich in Besitz genommen zu haben glaubte, als völlig unberührt, als intakt. Mit Bestürzung wird mir klar, daß Rom mir auch nicht einen Augenblick gehört hat. Im Gegenteil, mit herausfordernder Miene zeigt sich mir diese Stadt unfaßbarer denn je. Das aber macht sie mir natürlich nur noch mehr sympathisch und bestrickend. Diese Stadt ist wie eine Frau. Du meinst, daß du sie besessen hast, doch dann triffst du sie wieder, eine Woche später, und stellst fest, daß sie In keiner Weise derjenigen gleicht, die du dir zu eigen gemacht hast. Kurzum, die Lust ist in mir sitzen geblieben, noch eine Geschichte über Rom zu machen.

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