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Silo am Wald

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Sommerzeit, Urlaubszeit. Österreich präsentiert sich einem internationalen Reisepublikum, das zunehmend anspruchsvoller wird, mehr oder weniger so, wie es die Prospekte versprechen. Konkret: auch dem nicht sonderlich kritischen Beobachter österreichischer Dörfer und Städte, Märkte und Kurorte wird ersichtlich, daß ein ungeahnter Bauboom an vielen Orten verschandelt, stört, das Landschaftsbild zerreißt, es entstehen Wohnanlagen, Betonklötze aller Verwendungszwecke, billig gepfuschte Eigenheime, stillose öffentliche Bauten. Sie bringen Verschandelung und Verhüttelung in reizvolle Gegenden, zerstören einheitliche Dorfbilder, zerreißen historisch-wertvolle Ensembles in Städten und Dörfern.

Die Konsequenz ist weiter zu spinnen; Unbehagen schafft Aggressionen, zerstört .gewachsenes Gemeinschaftsgefühl, führt zu psychischen Störungen aller Art, die den gesundheitlichen Standard des Menschen berühren. Die „grünen Witwen“ in den städtischen Randzonen, Kinder, die zwischen nacktem Beton aufwachsen und die graue städtische Tristesse sind schon in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gedrungen. Noch ist „das Land“ für den Städter ein Ziel für Erholung und Regeneration; doch bald entdeckt er ebenso wie die Menschen im kleinstädtischen und auch im dörflichen Bereich, daß das Leben schöner sein könnte: müßte man nicht einen Getreidesilo tagein, tagaus betrachten, der den Blick zum Wald verstellt, einen schmucklosen Wohnblock, der die Aussicht auf den nächsten Berg versperrt.

Da ist zunächst die pädagogische Komponente des Problems: wir müssen wieder versuchen, dem Österreicher klarzumachen, daß Bauen nicht nur eine Frage der Raumbeschaffung ist, sondern ästhetischen, geschmacklichen Regeln entsprechen soll. Unsere Vorfahren haben uns durch Jahrhunderte gezeigt, daß Bauen eine Frage des Lebensgefühls, des Stils ist.

Lebensgefühl: das gilt es wieder zu beleben; es ist nicht nach Quantitäten im Wohnbau meßbar, sondern an Qualitäten, die Humanität schaffen und sichern. Hier haben die Massenmedien einen wichtigen Auftrag; und gute Beispiele nicht nur in der Erhaltung historischer Bausubstanz an- und aufzuzeigen, sondern auch an der zeitgenössisch-modernen Gestaltung von Bauwerken. Das allein allerdings wäre zuwenig.

Die Gemeindeautonomie in Österreich hat eine lange, erfolgreiche und erfreuliche Tradition. Die Gemeinde als kleinere Zelle im Bau der größeren Gemeinschaft wird zu fördern sein, wenn man einer echten Subsidiarität der Aufgaben und Funktionen das Wort redet. Aber Subsidiarität bedeutet auch, der größeren Gemeinschaf dann Aufgaben der kleineren zuzusprechen, wenn die kleinere — sprich Gemeinde — offensichtlich überfordert ist.

Wir haben im Baurecht folgende rechtliche Situation in Österreich: Nach Inkrafttreten der Bundesverfassungsgesetznovelle 1962 ist ausdrücklich festgehalten, daß die örtliche Baupolizei und die örtliche Raumordnung zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden gehören. Das bedeutet nun, daß in Fragen des „eigenen Wirkungsbereiches“ ein Instanzenweg nur innerhalb der Gemeinde möglich ist.

Was heißt das praktisch? Ein Bauvorhaben wird eingereicht; der Bauwerber entscheidet sich nach eigenem Geschmack, Brieftasche oder ökonomischem Interesse. Der Bürgermeister entscheidet in erster Instanz über die vorgelegten Pläne; er sieht sich einer Fülle von Problemen gegenüber, die nicht nur das Äußere des Bauvorhabens betreffen; er entscheidet auch über Abwässer- und Verschmutzungsprobleme, die der neue Bau mit sich bringt; eine Entscheidung betrifft auch eventuell den Straßenbau, Energie und Müll mit. Kurzum: Vieles spricht dafür, daß der Bürgermeister bereits mit der Erstentscheidung an der Grenze der Uberforderung steht.

Nun ist der Kreis derjenigen, die die Entscheidung des Bürgermeisters anfechten können, relativ klein; ist ja auch schon die Information über das Bauvorhaben in den Gemeinden praktisch sehr eingeschränkt möglich.

Erfolgt aber dennoch eine Berufung gegen die Entscheidung des Bürgermeisters, dann ist der Gemeinderat die zweite Instanz.

Wer nun die politische Struktur Österreichs kennt und zur Kenntnis nimmt, weiß, daß die Mehrheit des Gemeinderates den Bürgermeister stellt und dessen Entscheidungen unterstützt. Der Gemednderat entscheidet daher im Zweifel stets so, wie der Bürgermeister entschied — weshalb der Instanzenzug, wie ihn im gegenständlichen Fall das Baurecht und die Raumordnung vorsehen, ineffektiv, ja in der Substanz praktisch sinnlos ist.

Man soll diese Konstruktion aufzeigen und soll sie ruhig beim Namen nennen; sie ist unzweckmäßig und bedarf einer Sanierung. Der Landschaftsverschandelung kann solange nicht Einhalt geboten werden, solange die Gemeinden in der Sache zum Teil überfordert sind, Interessen aller Art eine bestimmende Rolle spielen können und auch übergeordnete Gesichtspunkte — etwa Raumordnungsgesichtspunkte von Bezirken, Regionen, ja Bundesländern — nicht zum Tragen kommen können. Das Problem ist diskussionswürdig und -dringlich: es geht nicht um eine „Entmachtung“ der Gemeinden, sondern um ein sinnvolles Zusammenspiel; man soll sich nämlich nicht scheuen, auch Verfassungsgesetznovellen von Zeit zu Zeit auf ihre Effektivität zu überprüfen.

Es sollte daher eine breite Diskus^-sion in Österreich darüber beginnen, wie man der Situation begegnen kann, durch Schaffung eines echten Instanzenzuges — etwa an die Be-zirksverwalturagsbehörde oder das Land; durch Erweiterung des Kreises der Einspruchsberechtigten gegen ein Bauvorhaben (der sogenannte „Bauanwalt“ nach der Kärntner Bauordnung ist eine durchaus diskussionswürdige Einrichtung); durch Schaffung freier und einsehbarer Information über Bauprojekte.

Größere Gemeinden durch Zusammenlegungen, zunehmende Probleme durch die Belastung der Umwelt, eine notorische Benachteiligung der Gemeinden durch den Finanzausgleich — das alles lastet heute auf jenen Funktionären, die sich um den unmittelbarsten Lebensbereich des Bürgers kümmern müssen. Es ist im wohlverstandenen Interesse dieser Funktionäre, sie nicht weiter zu belasten, sondern auch an Möglichkeiten der Entlastung zu denken. Damit das Bild Österreichs, die Umwelt und die Lebensqualität in diesem Lande wirklich verbessert werden können.

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