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Simon BoKvar und die Freiheit Lateinamerikas

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Im Luther- und Wagner-Gedenkjahr der Deutschen feiert Südamerika den 200. Geburtstag von Smön Bolivar, der Symbolfigur des Unabhängigkeitskampfes gegen die spanische Kolonialherrschaft.

Als der Aristokratensohn am 24. Juli 1783 in Caracas das Licht der Welt erblickte, hatte die Hauptstadt Venezuelas 40.000 Einwohner. Inzwischen ist sie zu einer Megalopolis mit über drei Millionen Menschen angewachsen.

Der Flughafen von La Guaira und das Centro Bolivar mit seinen Zwillingstürmen, Luxusläden und Ministerien in Caracas tragen Bolivars Namen. Sein Bildnis prangt auf venezolanischen Münzen und Bolivar-Scheinen; sein Konterfei hängt in Amtsstuben und Schulräumen; Straßen, Plätze, Gebäude wurden nach ihm benannt; sein Standbild ziert Stadt-und Dorf-Plazas zwischen Venezuela und Bolivien.

Simon Bolivar war freilich nicht der erste Freiheitskämpfer Venezuelas und Südamerikas. Im Panteön Nacional von Caracas, der letzten Ruhestätte Bolivars, steht auch ein leerer Sarkophag für Francisco de Miranda. Den Venezolanern ist dieser ort so heilig, daß man ihn nur in Feiertagskleidung betreten darf.

Im selben Jahr, da sich der junge Bolivar in La Guaira nach Europa eingeschifft hatte, war der dreißig Jahre ältere Francisco de Miranda aus der Alten Welt zurückgekehrt. Auch Miranda entstammte einer vornehmen Familie in Caracas. Er hatte in der spanischen und französischen Armee gedient, war weit in Europa herumgekommen.

Mit englischer Hilfe hatte er 1806 an der venezolanischen Küste einen Befreiungsversuch unternommen. Dieses Unternehmen schlug fehl. Das Volk schien für die Idee der Unabhängigkeit noch nicht reif zu seis. Sowohl die Kreolen, in Lateinamerika geborene Nachkommen von Europäern, wie auch vor kurzem eingewanderte Spanier sowie indianische Ureinwohner, erwiesen sich noch als treue Anhänger der spanischen Krone.

Miranda, der Vorkämpfer südamerikanischer Unabhängigkeit, gab nicht auf. Bei seinem zweiten Versuch stand ihm schon der junge Hauptmann Simon Bolivar zur Seite. Ein mysteriöser Verrat brachte Francisco de Miranda in spanische Gefangenschaft. Im fernen Cadiz starb er.

Während Miranda in spanischen Kerkern schmachtete, brachte Bolivar mit zündender Rhetorik und erstaunlichem Organisationstalent ein schlagkräftiges Befreiungsheer auf die Beine. Es gelang ihm, Cartagena in Kolumbien, die bestausgebaute Festungsstadt der Spanier auf dem südamerikanischen Kontinent, einzunehmen. Von hier begann der „wunderbare Feldzug" bis nach Hochperü, dem späteren Bolivien.

Immer mehr Südamerikaner und auch Europäer schlössen sich dem Befreiungsfeldzug Bolivars an. Sein Sieg in der Schlacht von Boyacä am 7. August 1819 zwang den spanischen Vizekönig, das damalige Neu-Granada (heute Kolumbien) zu räumen. Freiheitsbewegungen traten auch in Peru, in Chile und in Mexiko auf den Plan, angeführt von kreolischen Offizieren, ausländischen Haudegen, von Pfarrern und Mestizen.

Argentiniens Nationalheld Jose de San Martin stand den Chilenen im Unabhängigkeitskampf bei und zog mit seinen Truppen weiter nördlich, bis er in Ekuador mit Bolivar zusammentraf. Im Juli 1822 berieten die beiden Freiheitskämpfer in Guayaquil über einen gemeinsamen Feldzug gegen die letzten Uberreste spanischen Widerstandes. Die Schlacht bei Aya-cucho am 9. Dezember 1824 setzte den Schlußstrich unter die mehr als dreihundertjährige Kolonialherrschaft Spaniens in Südamerika.

Persönlichkeiten haben in Lateinamerika immer mehr gezählt als Prinzipien. Das Volk hat eine Schwäche für den „starken Mann", für den wortgewaltigen Caudillo. Ebensosehr schätzt es „La Santa Libertad", jene „heilige Freiheit", die allzu oft als eine exzessive persönliche Freiheit aufgefaßt wird. Die Freiheit sei eine köstliche Speise, hatte Bolivar gesagt, doch sie bekomme nicht jedem.

Bolivar scheint um die Zwiespältigkeit der von ihm befreiten Völker gewußt zu haben, als er sagte: „Viele Völker haben das Joch abgeworfen, aber es gibt nur wenige, die es verstanden haben, die wertvollen Augenblicke der Freiheit zu nutzen."

Nachdem die südamerikanischen Staaten ihre Freiheit errungen h atten, standen sie vor der schwierigen Aufgabe, eine demokratische, handlungsfähige, vom Volk respektierte Regierung zu bilden. Aber die Zeit - respektive das Volk - war für eine demokratische Regierungsform noch nicht reif.

Der Freiheitskampf hatte kaum soziale Veränderungen bewirkt. Nach wie vor stand der privilegierten Oberschicht der Landeigentümer, des Klerus und Militärs die breite Masse analphabetischer Bauern und schlechtbezahlter, unterernährter Lohnarbeiter gegenüber. Südamerikas Freiheitskämpfer hatten sich von den Idealen der Französischen Revolution inspirieren lassen, aber von der Verwirklichung freiheitlichdemokratischer Ideen war Südamerika nocht weit entfernt.

Allerorts brachen Machtkämpfe zwischen den einzelnen Klassen und Interessengruppen aus. Mitstreiter Bolivars wurden abtrünnig und versuchten, sich zu Potentaten über Teilgebiete Südamerikas zu machen. Bolivar wollte dem Vorbild Nordamerikas folgen und die einzelnen Staaten vereinigen. Der Kongreß von Panama, den er im Jähre 1828 zu diesem Zweck einberief, wurde ein völliger Mißerfolg.

1825 wurde der Nationalstaat Bolivien geschaffen. Vorher hatte das nach Bolivar benannte Land zum Vizekönigreich Perų gehört. Der Name Bolivien drücke eine unerschöpfliche Liebe zur Freiheit aus, hatte Simon Bolivar gesagt. Er wollte mit der neuen Staatsgründung ein Ideal verwirklichen, das altgriechischen Auffassungen entsprach. Die hohen Ziele der von ihm ausgearbeiteten Konstitution waren aber mit der Wirklichkeit nicht in Einklang zu bringen.

Bolivar übte die Präsidentschaft nur für kurze Zeit aus und iibergab dann seinem General Sucre, dem Sieger von Ayacucho, die Staatsgeschäfte. Sucre wurde bereits 1827 gestürzt; sein Nachfolger Santa Cruz hob das Verfassungswerk auf; er führte den langen Reigen der Diktatoren an, die nun die politische Bühne Boli-" viens betraten. Bolivien erlebte seit seiner Staatsgründung nahezu zweihundert Revolutionen, Revolten und Bürgerkriege und hält damit einen traurigen Weltrekord.

Auf Betreiben Bolivars war im Jahre 1819 die Gründung Groß-Kolumbiens zustande gekommen, doch auch diesem Staatsgebilde, dem Venezuela, Neu-Granada samt Panama sowie Ekuador angehörten, war keine Dauer beschieden.

Im Februar 1830 wurde Bolivar als Präsident Groß-Kolumbiens zur Abdankung gezwungen. Man warf ihm eine diktatorische, antiliberale Haltung vor. Simon Bolivar, dem die Völker im nördlichen Teil des Kontinents ihre Freiheit verdanken, hatte am Ende seines Lebens geäußert: „Man erreicht nichts ohne Zwang".

Bolivar hat Venezuela und Caracas nicht wiedergesehen. Von fast allen Freunden verlassen starb er verarmt am 17. Dezember 1830 in Santa Marta an der kolumbianischen Karibikküste. Am Ende seines Heldenlebens stand die bittere Erkenntnis, er habe das Meer gepflügt.

In Venezuela lenkten bis zum Jahre 1958 Gewaltherrscher die Geschicke. Unter den Diktatoren Gömez und Jiipėnez nahm Caracas seine heutige Gestalt an.

Armut und Reichtum in Venezuela haben ähnliche Ursachen wie in anderen Ländern Lateinamerikas: die ersten Einwanderer aus Europa suchten hier nicht eine neue Heimat, sie kamen nicht als Verfolgte und Pioniere, sondern als Glücksritter und Feudalherren, mehr auf Profit und Ausbeutung als auf eine demokratische Entwicklung bedacht.

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