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Sind die Frauen das starke Geschlecht ?

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Über Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt es endlose Debatten: Sind sie anlagebedingt oder anerzogen? Jedenfalls aber gibt es sie. So sind Frauen etwa widerstandsfähiger.

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Über Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt es endlose Debatten: Sind sie anlagebedingt oder anerzogen? Jedenfalls aber gibt es sie. So sind Frauen etwa widerstandsfähiger.

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Spricht man über Begabungsunterschiede bei den Geschlechtern, so muß man stets darauf hinweisen, daß die Grenzen der Merkmale fließend sind. So stimmt etwa die Aussage, Männer seien größer als Frauen, nur als allgemeine Kennzeichnung. Im Einzelvergleich wird es oft vorkommen, daß es sich umgekehrt verhält.

Nun aber zum Merkmal Widerstandsfähigkeit: Dieser Geschlechtsunterschied ist über Zeit und Raum hinweg bemerkenswert deutlich ausgeprägt. Es entsteht der Eindruck, Frauen seien im allgemeinen besser imstande, sich mit veränderten Lebensbe-

dingungen, mit Störungen ihres Lebensablaufs zurechtzufinden.

Das fängt schon im Mutterleib an: Da ist nämlich die Sterblichkeit der männlichen Ungeborenen deutlich höher als die der weiblichen. Einschlägige Untersuchungen rechnen mit einer Relation von 2:1. Ebenfalls größer ist die Zahl der männlichen Totgeburten, wobei sich allerdings hier die Verhältniszahl im Durchschnitt auf 1,3:1 verringert.

Das Ungleichgewicht zuungunsten des männlichen Geschlechts setzt sich nach der Geburt fort. Nimmt man nämlich die Zahlen für die Kindersterblichkeit her, so erkennt man, daß die weiblichen Säuglinge überlebensfähiger sind als die männlichen. Bei der Durchsicht der internationalen Todesursachenstatistik nach dem Zweiten Weltkrieg wird deutlich, daß dieses Phänomen über Zeit und Raum hinweg konstant ist.

Noch gewichtiger wird diese Feststellung in ihrer Allgemeingültigkeit, wenn man die Geschlechterrelationen bei den einzelnen Todesursachen betrachtet: Ziemlich einheitlich liegen die männlichen Sterberaten höher.

Und diese Konstellation bleibt über die gesamte Lebensdauer des Menschen erhalten, woraus sich die deutlichen Unterschiede in der Lebenserwartung beider Geschlechter in den Industrieländern erklären. Die weiblichen Werfe liegen bei 75 Jahren und darüber, die der Männer bei 69 und darüber. Im allgemeinen unterscheiden sich die Werte in den einzelnen Ländern um 5 bis 6 Jahre.

Man kann diesbezüglich fast von einer allgemeinen Regel sprechen: In allen Altersklassen und bei fast allen Krankheitsbildern liegt die männliche Sterblichkeit über der weiblichen. Und das gilt für alle Länder, für die die UNO Daten sammelt.

Eine kennzeichnende Ausnahme muß allerdings der Vollständigkeit halber erwähnt werden: In der Altersklasse der 35- bis 45jähri-gen weisen Frauen bei der Krebssterblichkeit höhere Werte auf als Männer. Die Ursache dafür ist, daß die für Frauen typischen Krebsarten (Brust- und Unterleibskrebs) früher im Leben auftreten als die für Männer (insbesondere Lungenkrebs).

Aber nicht nur die Todesursachenstatistik liefert Hinweise auf die geringere weibliche Anfälligkeit für schwere Störungen. Eine weitere Beobachtung weist in dieselbe Richtung: Entwicklungsstörungen treten eindeutig häufiger bei Knaben als bei Mädchen auf.

Das ist weniger stark bei sehr schweren Störungen wie geistiger Zurückgebliebenheit, Gehirnläh-

mung oder fiebriger Krampfzustände ausgeprägt: Hier liegen die männlichen Werte um „nur“ 20 Prozent über den weiblichen. Weitaus deutlicher aber sind die Unterschiede bei Störungen des Sprechvermögens (Stottern, Lesestörungen, verzögertes Sprechenlernen, Autismus). Da kommen auf zwei weibliche sieben bis acht männliche Fälle.

Insgesamt wird deutlich: Frauen sind körperlich widerstandsfähiger, von der Anlage her überlebensfähiger.

Schon an diesen Beispielen wird aber deutlich, daß es sich bei der größeren männlichen Anfälligkeit nicht unbedingt nur um die rein körperliche Disposition handelt. Hier könnte auch eine psychische Komponente mit im Spiel sein.

Diese Schlußfolgerung wird ebenfalls von der Beobachtung der Todesursachenstatistik nahegelegt: Von Anfang an liegt die Unfallsterblichkeit der Knaben höher. Das gilt für Vergiftungen,

Stürze, Ertrinken und andere Unfälle. Und mit steigendem Alter werden die Unterschiede akzentuierter — in allen Ländern.

Knaben und Mädchen spielen offensichtlich . anders. Mädchen neigen eben zu den weniger unfallträchtigen Spielen als Knaben. Diese sind von einer größeren Motorik angetrieben (was in den häufigeren tödlichen Unfällen der männlich 0- bis 1jährigen zum Ausdruck kommt), von größerer Abenteurerlust und Aggressivität.

Schließlich legen auch noch die Selbstmorddaten einen ähnlichen Schluß nahe: In allen Ländern liegt die männliche Selbstmordhäufigkeit deutlich über der weiblichen. Darauf weisen schon Wer-

te aus dem vorigen Jahrhundert hin. Das zeigen etwa Daten aus San Diego (USA) aus den Jahren 1880 bis 1900: Damals waren 87 Prozent der Selbstmörder Männer. Mittlerweile haben die Frauen zwar „aufgeholt“, machen ihrem Leben aber immer noch weitaus seltener selbst ein Ende als Männer.

Diese Beobachtung muß allerdings ergänzt werden, um das Bild abzurunden. Bei den Selbstmordversuchen ist die Relation nämlich genau umgekehrt: Hier überwiegt die Zahl der weiblichen Fälle. Ende der siebziger Jahre betrug die Relation in Wien 2,3:1 bei den 15- bis 20jährigen (wobei allerdings die Zahl der männlichen Selbstmorde deutlich über der der weiblichen lag!).

Wie könnte man diese Beobachtungen deuten? Einerseits also mehr Selbstmordversuche und andererseits weniger Selbstmorde bei den Frauen? Legt das nicht die Vermutung nahe, daß zwar die Belastung der Frauen mindestens ebenso groß ist (wenn nicht größer) als die der Männer, daß aber der totale Zusammenbruch nicht so häufig auftritt?

Einen ähnlichen, scheinbaren Widerspruch findet man übrigens, wenn man sich die Gesundheitsstatistik näher ansieht: Da wird nämlich deutlich, daß, wie gesagt, die Sterblichkeit der Männer zwar höher ist, daß demgegenüber aber Frauen ihren Ge-

sundheitszustand für schlechter halten, als Männer dies tun.

Befragungen in Österreich zeigen dieselben Ergebnisse wie die in Deutschland: Männer fühlen sich im allgemeinen eher wohl als Frauen, ordnen ihrem Gesundheitszustand eher das Prädikat sehr gut oder gut zu. Diesen Unterschied beobachtet man in allen Alters- und Sozialklassen. Auch hier wieder: Häufigeres Auftreten von Störungen bei der Frau, aber häufigerer Zusammenbruch beim Mann.

Wo extreme Dauerleistungen gefordert sind, beobachtet man sogar eine weibliche Überlegenheit, wie etwa beim Uberqueren des Ärmelkanals im Schwimmen. Dazu der Sportmediziner Emil von Aaken: „Die Frau ist... in ihrer physischen und psychischen Konstitution ein Dauerleister, wenn in den Dauerbelastungen die Muskelleistung nicht zu hoch gefordert wird.“

Daß Frauen mit extremen Belastungen besser zurechtkommen, dürfte aber nicht ein nur auf das Körperliche bezogenes Merkmal sein. Eine Auswertung der Erfahrungen mit dem Verhalten bei Luftangriffen in England läßt beispielsweise erkennen, daß Nervenzusammenbrüche und psychische Schäden häufiger bei Männern als bei Frauen auftragen.

Lassen sich diese Beobachtungen auf einen gemeinsamen Nenner bringen? Es sieht so aus, als wären Frauen nicht nur konstitutionell auf Ausdauer programmiert. Sie scheinen vielmehr auch sensibler zu sein, wodurch sie auf Veränderungen (des eigenen Körpers oder der Umgebung) eher reagieren. Dadurch wiederum trainieren sie gewissermaßen laufend Anpassung und sind dann aber auch, wenn größere Pannen auftreten, eher imstande, mit diesen zurechtzukommen. Der Umstand, daß die Frau einem monatlichen Zyklus unterworfen ist, trägt wohl auch zur größeren Übung im Umgang mit veränderten Umständen bei. Zusammenfassend läßt sich also festhalten, daß vieles darauf hindeutet, daß Frauen über ein im Vergleich zu den Männern größeres Durchhaltevermögen verfügen. Sie finden sich in Extremsituationen und mit Dauerbelastungen besser zurecht.

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