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SIND GUTE LESER GUTE FERNSEHER?

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FURCHE: Welche Basis haben Aussagen über die Wirkung der Medien auf die Gesellschaft?

WOLFGANG LANGENBUCHER: Wir haben Langzeituntersuchungen, die beispielsweise in Deutschland seit 1964 in fast regelmäßigen Fünf-Jah-res-Abständen bis in die neunziger Jahre durchgeführt wurden. Es gab femer viel kommunikationspolitische Auftragsforschung.

FURCHE: Auch in Österreich?

LANGENBUCHER: Nicht in dem Umfang, weil es hier keine vergleichbare Planung der Kommunikationsgesellschaft gibt. Wir leben sicherlich im Übergang von der Industrie-zur Kommunikationsgesellschaft und das heißt, daß in ökonomischer, aber auch politischer Hinsicht die Fragen der Kommunikation mindestens ebenso wichtig geworden sind wie Fragen der industriellen Produktion. Viele Gesellschaften, zum Beispiel die Schweizerische, haben versucht, diesen Übergang zu planen. Man hat dort die Frage, ob das Monopol der nationalen öffentlichen Rundfunkanstalt SRG durch private Veranstalter abgelöst werden soll, nicht einfach dem freien Spiel der Kräfte überlassen, sondern wissenschaftlich sorgfältig vorbereitete Experimente und Modellversuche gemacht und entscheidet erst jetzt darüber, welche Art Rundfunk neben der SRG zugelassen werden soll. In Österreich spielte sich das bis vor kurzem hinter den verschlossenen Türen der Sozialpartnerschaft ab.

FURCHE: Was kam bei den Experimenten heraus?

LANGENBUCHER: Wir haben beispielsweise vorausgesagt, welche Programmpolitik von den privaten Fernsehanbietem gemacht wird und welche Wirkungen das auf das Angebot der öffentlichen Sender haben wird. Wir haben vorausgesagt, daß es nicht zu einer Vielfalt der Programminhalte kommen wird, sondern lediglich zu einer Vielzahl gleicher Programme, zur Uniformierung, und daß zu bestimmten Sendezeiten das Angebot eher schmaler geworden ist als breiter. Das ist verhängnisvoll für den öffentlichen Rundfunk, wenn er sich den programmpolitischen Vorgaben der privaten Sender anbiedert.

FURCHE: Was bedeutet es für das gesellschaftliche Verhalten?

LANGENBUCHER: Zum Beispiel, auch das war eine unserer Prognosen, daß es zu einer Kommunikationskluft, einer Art Klassenbildung kommt. Hier die Gruppe der Menschen, die den Kommunikationsluxus kompetent für ihre Zwecke ausnützen - dort die Gruppe jener, die dieser Flut relativ hilflos ausgesetzt sind. Zum Beispiel, weil sie schon vorher über weniger Mediennutzungskompetenz verfügt haben. Das kann man am besten an der Lesefähigkeit ablesen. Wer ein guter Leser ist, ist auch ein guter Femseher.

FURCHE: Wie verändern die modernen Medien das Verhalten der Menschen, auf welchen Gebieten ist das besonders stark?

LANGENBUCHER: Ihr Einfluß ist so omnipräsent, daß es kaum ein Lebensgebiet gibt, aus dem ihr Einfluß auszunehmen ist. Ein Beispiel: Die Tatsache, daß unser Gesprächstoff im täglichen Zusammenleben, am Arbeitsplatz, in der Familie heute nachweislich durch Medieninhalte bestimmt ist. Wir können unsere Mediennutzung nicht mehr von unserem Gesprächsverhalten trennen, beziehen uns im Gespräch-dauernd auf Medieninhalte und beziehen umgekehrt aus dem Gespräch mit anderen wieder Anregungen, Medien zu nutzen, weil wir wissen, wir müssen uns darüber vielleicht morgen oder übermorgen unterhalten.

FURCHE: War das früher wirklich so ganz anders?

LANGENBUCHER: Das Gespräch über das Wetter war über Jahrhunderte jenes inhaltliche Element, wo man wußte, man kann mit jedem anderen Menschen ein Gespräch eröffnen. Das ist immer wichtig, wenn sich Menschen begegnen. Heute ist da neben dem Wetter eben diese Tatsache, daß wir alle in diese Medienwelt eingetaucht sind. Wichtig für die Wirkung der Medien ist aber auch, daß sich die Wirtschaft vollkommen verändert hat. So hat München heute 51 Prozent Ein-Personen-Haushalte. In Wien ist es ähnlich. Das bedeutet vollkommen neue Kommunikationssituationen. Gerade in Wien hat ein Soziologe vor kurzem eine Dissertation geschrieben, die zeigt, daß das Phänomen Einsamkeit zu einem wichtigen Faktor in unserer Gesellschaft wird. Damit hängt eng die Frage zusammen, wie eben die Medien ein solches Alleinleben ermöglichen. Siehe die ganze Fülle der Lebensstil-Zeitschriften, derso-genannten Very-Special-Interest-Zeitschriften.

FURCHE: Trotz dieses Differenzierungsprozesses haben die Massenmedien eine stärkere Stellung als je zuvor.

LANGENBUCHER: Die Massenmedien stehen ja für die Vorstellung von politischer Öffentlichkeit, egal was sie alles an Unterhaltungsstoff verbreiten. Letztlich ist die Tageszeitung, das Radio, das öffentliche Femsehen, eine gesellschaftliche Institution mit dem Ziel, die Menschen eines Staates, einerGesellschaft, täglich untereinen kommunikativen Hut zu bringen. Man kann sich nicht wie im alten Griechenland auf dem Forum treffen. Da ist ein mit großer Reichweite versehenes Massenmedium prinzipiell positiv. Das ist der seltsame Widerspruch, wenn der ORF eine wichtige gesamtgesellschaftliche Einrichung ist, müßte man eigentlich auch die „Kronenzeitung" als wichtige gesamtgesellschaftliche Einrichtung sehen. Da sind sich die Intellektuellen ja durchaus uneins.

FURCHE: Welche Positionen sehen Sie da?

LANGENBUCHER: Ich wundere mich schon darüber, daß man in Österreich diese Art von Großmedien so lange aufrechterhalten konnte. Die gesellschaftliche Entwicklung geht ja eindeutig in Richtung einer kulturellen Differenzierung, einer Individualisierung, und ich hätte gedacht, daß diese sich zumindest auf dem Tageszeitungsmarkt durch eine sinkende Auflage der Kronenzeitung auswirken würde. Hier sind vielleicht die Massenmedien noch Institutionen, an die ffian sich klammem kann, die noch etwas von dieser älteren politischen

Struktur bewahren, wo alles sehr sicher war, wo man wußte, wo man hingehört. Aber daß sie auf Dauer von diesem Entdifferenzierungsprozeß ausgenommen werden können, halte ich für sehr zweifelhaft.

FURCHE: Hat somit die „Krone" eine gesell schaftsstabilisierende Wirkung?

LANGENBUCHER: Dasmußman zur Zeit wohl so interpretieren. Man kann es wahrscheinlich auch mit der wichtigen Funktion ihrer Leitartikler und Kolumnisten belegen. An sich ist es ja merkwürdig, daß beispielsweise ein Staberl, der inzwischen das siebzigste Lebensjahr überschritten hat, noch immer diese wichtige Position innehat. Ich glaube schon, daß das für viele ein stabilisierendes Element ist, an das sie sich halten. Im politischen System wurde den Menschen ein Präsident madig gemacht, ein Bundeskanzler und auf der anderen Seite ein Parteiführer nach dem anderen abserviert. Die Kontinuität, durch die Österreich in den sechziger und siebziger Jahren geprägt war, ist in der Politik ja verschwunden.

FURCHE: Wir wirken die Medien auf die Werthaltungen ein? LANGENBUCHER: Die Schwie-

(Kärikatur Cork)

rigkeit, hier Aussagen zu machen, resultiert zum einen daraus, daß die Medienlandschaft immer vielfältiger wird und zum anderen daraus, daß es auch nicht mehr leicht ist, von größeren Massen von Menschen als einer Einheit zu sprechen, sondern eine ungeheuer starke kulturelle, geistige und wissensmäßige Differenzierung stattgefunden hat.

FURCHE: Wenn ich in der Frühe in die U-Bahn steige, lesen alle dieselbe Zeitung.

LANGENBUCHER: Aber sie verarbeiten sie aufgrund ihrer individuellen Hintergründe sicherlich ganz unterschiedlich. Daher kann auch in Fällen, in denen es so scheint, als hätte beispielsweise eine große Zeitung durch eine Kampagne eine Gleichschaltung erzielen können, dies eine Täuschung sein. Ein Teil wird durch das, was die Zeitung geschrieben hat, zum Gegenteil von dem, was die Zeitung vertrat, veranlaßt. Eine andere Gruppe wurde in dem, was sie ohnehin schon geglaubt hat, bestärkt. Eine dritte Gruppe, die sich durch medialt Einflüsse, wandeln läßt, vollzieht eine „Konversion". Nur: Dies ist nun wahrhaft der seltenste Medieneffekt, der sich beobachten läßt. Das gilt, glaube ich, für alles. Nehmen wir die Veränderungen der sexuellen Einstellung der österreichischen Bevölkerung. Hier liegen wohl Prozesse vor, die ziemlich lange gelaufen sind und unter anderem ursächlich mit der Möglichkeit der Empfängnisverhütung zu tun haben. Das ist wahrscheinlich dersehr viel wichtigere Faktor als alle medialen Einflüsse. Auf einmal wird dann das Tabuthema öffentlich diskutiert. Dadurch entsteht natürlich eine Art Spiralwirkung.

FURCHE: Viele machen die Medien für die Veränderung des sexuellen Verhaltens und für die Enttabui-sierunq direkt verantwortlich.

LANGENBUCHER: Gerade bei diesem Thema ist der Vorreiter sicher die Kunst. Es wäre zu zeigen, wie von Künstlern und Verlegern vor Gericht Freiheitsspielräume erkämpft wurden. Die Tageszeitungen sind viel später nachgekommen. Ich habe gerade in einem Buch überdie „Kronenzeitung" gelesen, wie es dazu gekommen ist, daß täglich eine Frau mit entblößtem Busen gezeigt wird. Das ist ein typisches Beispiel, wo die „Krone" mit Sicherheit nicht Avantgarde war. Sie hat einen Versuch gemacht und am anderen Tag haben alle mit angehaltenem Atem gewartet, was nun in der Bevölkerung passieren wird. Wenn das damals wirklich ein Tabu gewesen wäre, wäre die Kronenzeitung vom Markt weggefegt worden oder hätte damit aufgehört. Man muß sich das als einen Rückkoppelungsprozeß vorstellen, nicht als monokausai erklärbaren Ablauf zwischen Bevölkerung und Medium.

FURCHE: Wenn ich mich richtig erinnere, dann folgte die sogenannte sexuelle Welle ziemlich unmittelbar auf das Abklingen der aufklärerischen Welle des Jahres 68. Ist in dieser Abfolge nicht doch auch ein bewußt betriebener Ablenkungseffekt zu vermuten?

LANGENBUCHER: Das ist eine interessante These, daß eine eher linke und marxistische Revolution versandet, indem man eine andere Sau durchs Dorf treibt. Das würde ich mir genauer ansehen wollen, um das bestätigen zu können. Ich denke schon, daß auch in dieser 68er Bewegung ein Element war, daß Liebe und Sexualität enttabuisiert werden sollten. Ich muß gestehen, ich habe dazu keine fundierte empirisch verwendbare Meinung.

FURCHE: Kann man die Medienwirkung noch in anderen Lebensbereichen ausmachen?

LANGENBUCHER: Einer der am besten erforschten ist das, was man die Sozialisation nennt. Es gibt eine überwältigende Fülle von Forschungsergebnissen, die zeigen, daß heute schon zwei- bis dreijährige Kinder im Heranwachsen auch die Medien in ihre Auseinandersetzung mit der Welt einbinden. Die Pädagogen neigen heute dazu, ganz im Gegensatz zu einer jahrzehntelang sehr populär gewesenen Bewahr-Pädagogik, dies für notwendig zu halten, weil sie der Meinung sind, daß Kinder heute in einer sozial verarmten, tendenziell erfahrungsarmen Welt aufwachsen. Großstadtkindern fehlen ja Erfahrungsräume, die ein Kind hat, das auf dem Land aufwächst. Interessant ist, daß auch die kleinen Kinder bei der Auswahl und Interpretation dessen, was sie sehen, hören und später lesen, ganz stark von ihrem eigenen persönlichen Erleben beeinflußt sind. Wenn ich jetzt zur anderen Seite der Altersskala gehe: Es hat in unserer Gesellschaft noch nie so viele so alte Leute gegeben. Es gibt auch hier eine überzeugende Fülle von Studien, daß für alte Menschen vor allem das Femsehen absolut unverzichtbar geworden ist.

FURCHE: Können die Medien konkrete Verhaltensweisen prägen?

LANGENBUCHER: Ein Beispiel ist der Prozeß, der 1988 im Gedenkjahr stattfand. Wir können auch da zeigen, daß durch die Thematisierung historischer Sachverhalte so etwas wie ein historisches Lernen stattgefunden hat. Für diese Prozesse ist charakteristisch, daß sie immer wieder reaktiviert werden müssen. Es muß dafür gesorgt werden, daß solche Themen permanent auf der Tagesordnung bleiben. Solange Dinge nicht an die Öffentlichkeit kommen, kann auch die Auseinandersetzung mit ihnen nicht stattfinden. Ob es eine Aufklärung in den Hirnen war, ist eine zweite Frage. Aber so wurden zum ersten Mal auch Biografien von Menschen, die sich anders verhalten hatten, bekannt.

Wolfgang Langenbucher ist Ordinarius für Publizistik in Wien. Mit ihm sprach Hellmut Butterweck.

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