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Sind Tabus nötig ?

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Wiens Vizebürgermeister Erhard Busek nahm jüngst neben hochkarätigen Wissenschaftlern am Kolloquium „Die Krise“ des Wiener Instituts für die Wissenschaften vom Menschen in Castel Gandolfo teil.

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Wiens Vizebürgermeister Erhard Busek nahm jüngst neben hochkarätigen Wissenschaftlern am Kolloquium „Die Krise“ des Wiener Instituts für die Wissenschaften vom Menschen in Castel Gandolfo teil.

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FURCHE:Herr Vizebürgermeister, theoretisierte man in Castel Gandolfo nur hochwissenschaftlich, oder wurde auf konkrete Krisenerscheinungen eingegangen?

VIZEBURGERMEISTER ERHARD BUSEK: Es gab sowohl eine Grundsatzdiskussion als auch eine Auseinandersetzung mit ganz konkreten Problemen. Der erste Tag war - auf der Basis einer Darstellung von Carl Friedrich von Weizsäcker (vgl. FURCHE 47/83) - der Krise im geschichtlichen Kontext gewidmet. Ist Krise etwas Negatives oder auch eine Vorwärtsbewegung?

Im Ergebnis der Diskussion hat es einen sehr positiven Krisenbegriff gegeben, nicht zuletzt aufgrund des Beitrages der anwesenden Theologen Johann Baptist Metz und Walter Kasper, die auf die schöpfungsgeschichtliche Dimension der Krise bis hin zur Apokalypse verwiesen haben, die heute leider nur einseitig als etwas Schreckliches, Negatives verstanden wird, aber im Grunde die letzte große Krise zur Erlösung ist. Das Endergebnis war, daß Krise nicht ein Geworfensein in irgendein Schicksal bedeutet, sondern eine Gestaltungsmöglichkeit.

Der zweite Tag war dann konkreten Krisen gewidmet: der Krise der Religion, der ökologischen Krise, der ökonomischen Krise im östlichen und westlichen System und der Krise in der Kunst. Interessanterweise hat gerade der frühere Marxist Leszek Kolakowski das Wiedereinführen von Tabus verlangt, weil Krise sozusagen nicht bewältigbar sei, wenn nicht etwas außer Streit stehe.

FURCHE: Wie wirkte sich aus, daß Leute ganz verschiedener Herkunft eingeladen waren?

BUSEK: Das war gerade das Spannende, und darum war es auch in den Begegnungspunkten sehr konkret. Es war mehrfach „interdisziplinär“: Zwischen

Christen und NichtChristen, zwischen Christen verschiedener Schattierungen und Zustände, zwischen Ost und West und vor allem zwischen den Wissenschaftszweigen.

FURCHE: Gab es auch echte Streitgespräche ?

BUSEK: Es gab ganz beachtliche Konflikte, interessanterweise in moralischen Beurteilungen. Während zum Beispiel Victor Weisskopf sagte, man dürfe über einen möglichen Atomkrieg nicht reden, weil man damit die Gefahr herbeirede, meinte Weizsäcker, man müsse darüber reden, und je mehr man darüber rede, desto mehr werde er hinausgeschoben.

Äußerst unterschiedliche Beurteilungen gab es auch beim ökologischen Thema. Die einen, vor allem von der ökonomischen Ebene her, sagten, die Ökologie werde „diktaturmäßiger Zensor“ sämtlicher Maßnahmen, die anderen erklärten, der Verbrauch in der heutigen Zeit für zukünftige Generationen sei eine moralische Kategorie, und danach müsse man sich richten.

In der Ökonomie gingen die Meinungen, was Wachstum bedeutet, weit auseinander. Die einen sprachen von der Notwendigkeit des Wachstums, da sich nur so das System erhalte, die anderen meinten, die Wachstumskrise werde dazu führen, wieder richti ge Wertvorstellungen einzuführen.

Sehr stark kam dann die Frage Nord-Süd-Konflikt heraus - mit Seitenblicken auf den Heiligen Vater. Die einen meinten, die Uberbevölkerung sei sozusagen die Sozialversicherung der Entwicklungsländer, die anderen sagten: Wenn wir nicht in diesen Ländern das Bevölkerungswachstum steuern, kommt es zur großen Katastrophe.

Interessant waren auch die unterschiedlich abgestuften Ansichten, was Ethos und Moral heute bedeuten: nämlich daß bei denen, die aus nichtchristlichem Kontext kommen, der Stellenwert Kirche = moralische Instanz weitaus höher notiert als bei denen, die aus diesem Bereich kommen.

FURCHE: Welche Rolle spielte der Papst beim Symposion?

BUSEK: Er war von der ersten bis zur letzten Minute anwesend. Er hat sich selbst Schweigen auferlegt, machte durch seine Anwesenheit aber das Gespräch lebendiger. Seine Positionen waren unausgesprochen dauernd im Gespräch. Und er hat auf die Nicht-katholiken einen tiefen Eindruck hinterlassen. Am Schluß gab es eine Diskussion über den Wert der Tagung, und was ich hier von erklärten Agnostikern an Äußerungen erlebt habe, von Menschen, die das nicht nötig haben, war sehr beeindruckend.

Und dann greift er auf eine eigentümliche Weise ein, nämlich durch eine sehr konsequente Gesprächspolitik in den Pausen. Man merkt, was ihn besonders interessiert hat, denn denjenigen holt er sich dann zum Gespräch. Er macht auch eine sehr gute Einladungspolitik zum Frühstück, Mittag- und Abendessen: kleiner Kreis, fünf bis sechs Personen. Jeder hat erzählt, was dort zur Diskussion stand, und ich habe gesehen, wie ungeheuer offen und systematisch er sich informiert.

*)as Gespräch führte Heiner Boberski.

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