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Sind wir bald ein Volk von Alten?

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Wir steuern auf eine Gesellschaft der Alten zu - ein Novum in der Geschichte. Auf diesen Lebensabschnitt gehen die meisten mit Hoffnungen und Sorgen zu. Freiräume und Abhängigkeiten zeichnen sich ab. Einige damit verbundene Probleme im folgenden Dossier.

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Wir steuern auf eine Gesellschaft der Alten zu - ein Novum in der Geschichte. Auf diesen Lebensabschnitt gehen die meisten mit Hoffnungen und Sorgen zu. Freiräume und Abhängigkeiten zeichnen sich ab. Einige damit verbundene Probleme im folgenden Dossier.

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Daß das Alter als gesellschaftliches Problem angesehen wird, ist eine relativ neue Erscheinung. Jahrtausende der Menschheitsgeschichte hindurch wurde hohes Alter als Segen, als Auszeichnung, als relativ seltene, jedenfalls nicht als Massenerscheinung angesehen. Hohe Kindersterblichkeit, Kindbettfieber, Seuchen mit verheerenden Folgen, mangelnde Hygiene und Unfähigkeit, Infektionen wirklich erfolgreich zu bekämpfen , führten zu hoher Sterblichkeit schon ab den ersten Lebenstagen. Auf alten Friedhöfen findet man noch oft Grabinschriften, die auf frühen Tod hinweisen.

Der hohen Sterblichkeit standen hohe Geburtenraten gegenüber. Beides trug dazu bei, daß bis ins vorige Jahrhundert das Durchschnittsalter der Bevölkerung weit unter dem heutigen lag - auch in den Ländern Europas.

Seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts hat sich dieses Bild in Europa geändert: Der medizinische Fortschritt bewirkte einen Anstieg der Lebenserwartung. Betrug sie 18 7 0 in Österreich für Frauen und Männer noch etwa 45 Jahre, so stehen wir derzeit bei beachtlichen 78,5 Jahren für Frauen und bei 72 für Männer. Das bedeutet eine Verlängerung der Lebensdauer um 30 Jahre im Durchschnitt und eine beachtliche Differenz zwischen den Geschlechtern (siehe dazu Seite 14). Selbst seit 1951 hat sich die Lebenserwartung um rund zehn Jahre erhöht. Auch die der älteren Menschen steigt: Heute leben 60jährige um fast zwei Jahre länger als vor zehn Jahren: Männer können mit weiteren 18, Frauen mit weiteren 22 Jahren rechnen.

Kein Wunder also, daß der Anteil der älteren Menschen an der Bevölkerung gestiegen ist. Dieser Effekt wird außerdem durch den enormen Rückgang der Geburtenzahlen im selben Zeitraum verstärkt.

Gab es in Österreich 1895 noch mehr als 35 Geburten im Jahr auf tausend Einwohner (das sind Raten, die derzeit nur in wenigen Ländern der Dritten Welt überschritten werden), so sank dieser Wert schon bis Mitte der zwanziger Jahre auf 15 ab. Nach einem „Zwischenhoch“ in der Vor- und Nachkriegszeit haben sich die Geburtenraten zuletzt auf einem niedrigen Niveau stabilisiert: Auf vier Frauen im gebärfähigen Alter kommen derzeit drei Mädchen. Das bedeutet einen langfristigen Bevölkerungsrückgang um 25 Prozent von einer Generation zu nächsten.

Die jüngsten Prognosen machen deutlich, was dies für die Altersstruktur der österreichischen Bevölkerung bedeutet : Bei einem leichten Bevölkerungsrückgang (etwa sieben Prozent) wird sich die Zahl der über 60jährigen bis 2030 um 50 Prozent erhöhen: auf rund 2,3 Millionen. Statt derzeit 20 Prozent wird der Anteil der Menschen, die älter als 60 sein werden, dann 32 Prozent betragen. Fast jeder dritte Österreicher wird im Jahr 2030 im Pensionsalter, hingegen nur jeder siebente unter 15 sein!

Wie sich das auf das gesellschaftliche Klima auswirkt, kann schon heute im stark überalterten Wien studiert werden. In einigen zwischen Ring und Gürtel gelegenen Bezirken beläuft sich nämlich der Anteil der Ein-Personen-Haushal-te auf 40 Prozent. Diese sind meist von alleinstehenden alten Frauen -meist sind es Witwen - bewohnt. Das bedeutet Einsamkeit, relativ wenige Kontakte, die Gefahr zur Entwicklung von Eigenheiten. Diese Isolation ist eine relativ neue Entwicklung. Sie wurde begünstigt durch das Auseinanderbrechen der Mehrgenerationenfamilie, die es bis in unser Jahrhundert auch im städtischen Raum gab: 1910 wohnten noch in 80 Prozent der Wiener Haushalte Personen, die nicht unmittelbar zur Kernfamilie (Eltern und Kinder) gehörten. 1981 gab es nur mehr in fünf Prozent der Haushalte eine solche Konstellation. Gefördert wird diese Isolation auch dadurch, daß die Straßen kaum mehr Ort der Begegnung sind und der Greißler längst zugesperrt hat.

In diesen Wiener Bezirken tun sich - wie einschlägige Studien zeigen - Ehepaare mit kleinen Kindern besonders schwer. Viele beklagen das dort herrschende kinderfeindliche Klima. Ohne persönliches Naheverhältnis zwischen alten Menschen und Kindern kommt es oft zu nicht endenden Konfrontationen: im Nebeneinander der Wohnungen, im Park, im Stiegenhaus... Es gibt eben ganz unterschiedliche Vorstellungen von zumutbarem Lärm, von Ordnung, von Lebensrhythmus...

Mit zunehmendem Alter fällt es vielen Mitbürgern - vor allen den männlichen - immer schwefer, das Alltagsleben allein zu bewältigen (siehe Seite). Hier sorgen eine Reihe von mobilen Hilfen wie “Essen auf Rädern“ oder Heimhilfen verschiedenster Art (z.B. dasNÖ-Hilfs-werk, siehe FURCHE 33/1989) für Unterstützung.

Besondere Sorgen bereiten wie in unserer Gesellschaft üblich die materiellen Probleme: Wer wird die Pensionen zahlen, da die Zahl der Pensionisten und ihre Pensionszeit steigen? Schon derzeit müssen aus Steuermitteln rund 65 Milliarden Schilling für die Pensionen zugeschossen werden. Und die Tendenz ist stark steigend.

Immer brennender wird die Frage: Wie lange hält der Generationenvertrag, also jene stillschweigende Vereinbarung, daß die Menschen im erwerbsfähigen Alter durch ihre Steuern und Abgaben für die Zahlungen an die Pensionisten aufkommen? Immerhin wird sich die Relation zwischen Erwerbstätigen und Pensionisten von derzeit sechs zu zwei auf fünf zu drei im Jahr 2030 verschieben. Und das bedeutet: stark wachsende Belastung für jeden einzelnen Berufstätigen.

Die Bevölkerungsentwicklung wird in Österreich jedoch nicht einheitlich sein: Zunahme der Bevölkerung im Westen, Rückgang im Osten - mit Ausnahme von Wien, wo mit starker Zuwanderung von Personen im erwerbsfähigen (und daher gebärfähigen) Alter gerechnet wird. Dadurch wird die derzeit durch Überalterung gekennzeichnete Situation der Hauptstadt wenigstens stabilisiert.

Stark rückläufig sein wird jedoch die Bevölkerung im Burgenland (-25 Prozent) und in der Steiermark (-20 Prozent). Dazu tragen sowohl niedrige Fruchtbarkeit als auch das Abwandern der Bevölkerung bei. Dem wird voraussichtlich aber ein relativ starkes Bevölkerungswachstum in Vorarlberg, Tirol und Salzburg gegenüberstehen.

Das bedeutet für den Osten eine starke Überalterung: Im Burgenland und in der Steiermark ist damit zu rechnen, daß im Jahr 2030 der Anteil der über 60jährigen mit 43 und 39 Prozent Rekordwerte erreichen wird.

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