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Singende Maschinen

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Ein besonders interessantes und instruktives Konzert wurde im Großen Musikvereinssaal vom österreichischen Rundfunk für die Musikalische Jugend wiederholt (die beiden wichtigsten Stücke hatte man kurz vorher schon beim Steirischen Herbst in Graz erstaufgeführt). Hier in Wien war das Programm noch durch „Trois Poemes d'Henri Mi-chaux“ von Witold Lutoslawski ergänzt. Das vor zehn Jahren geschriebene und damals sehr modische Stück für 20stimmigen Chor und Orchester zeigt heute bereits Altersfalten. Der große Apparat, der zu seiner Steuerung zweier Dirigenten bedarf, der Anspruch an den Hörer und die Kompliziertheit der Technik stehen in keinem rechten Verhältnis zum Endergebnis. Aber schließlich: 22 Minuten lang kann man sich mit Interesse auch so etwas anhören...

Sein neuestes Orchesterwerk „Clocks and Clouds“ hat György Ligen für das „Grazer Musikprotokoll“' geschrieben und dem Andenken des früh verstorbenen Dr. Harald Kaufmann, eines hervorragenden Musiko-logen und Musikkritikers gewidmet. — Zwar spinnt in diesem knapp eine Viertelstunde dauernden Stück für Frauenchor und Orchester Ligeti seinen Faden weiter, aber er gibt ihm doch neue Farben und Tönungen. „Uhren und Wolken“ stehen im Titel symbolisch für terminierte Fak-

ten und Unwägbares, für mehr oder weniger präzise Gestalten und diffuse Klanggebilde. Man folgt gespannt den feinen Übergängen — und erfreut sich vor allem an der subtilen, etwas schwermütigen Schönheit dieses gelungenen Werkes. *

Man kann sich kaum einen größeren Gegensatz zu dieser Art Musik vorstellen als jene, die Max Brand, Jahrgang 1896, zu seiner Oper „Maschinist Hopkins“ schrieb. Der in Lemberg geborene Komponist war Schüler von Franz Schreker und Alois Häba; mit Schönberg zu dessen Kreis manche ihn zählen, hat er wenig zu tun. Brand emigrierte 1940 nach Amerika, wo er heute noch lebt. Die Oper „Maschinist Hopkins“ hat er auf einen eigenen Text in den Jahren 1927 bis 1928 geschrieben. Sie wurde an mehr als 40 Bühnen aufgeführt und gehört in eine ganze Reihe von Werken, die in jenem Jahrzehnt entstanden sind und in denen sich Futurismus, Sozialismus, Verherrlichung der Maschinenwelt und der Arbeit (weniger des Arbeiters) auf sehr merkwürdige, zeithistorisch außerordentlich interessante Weise vermengen. Wir erinnern nur an Honeggers „Pacific 231“, Prokofieffs „Pas d'acier“, Mos-solows „Eisengießerei“, „Jonny spielt auf“ von Kfenek, Hindemiths „Neues vom Tage“ und schließlich an die

„Dreigroschenoper“ — man sieht: sehr verschiedenartige Versuche, die Oper zu erneuern. Sehr gut verträgt sich mit dieser Idolatrie der Arbeitsund der Unterwelt ein herzhafter Schuß Sentimentalität. Bei Brand ist es ein blutiges Drama, das sich zwischen dem Vorarbeiter Jim, seinem Kollegen Bill, dem Maschinisten Hopkins und der Lulu-ähnlichen Neil abspielt (sie geht durch die Hände aller drei und endet in einem Bordell).

Aber diese menschlichen Konflikte sind nicht die Hauptsache. Sie dienen gewissermaßen nur dazu, die Maschinen in Gang zu bringen und sogar — singen zu lassen („Gefangne Kraft, versklavter Geist, zu Form erstarrt, im Eisen hart, muß raffen, raffen“ usw.). Die Musik, die Brand zu den Maschinenszenen schrieb, ist erstaunlich: keineswegs nur naturalistische Geräuschmalerei, sondern, wie die Bilder des Kubismus, streng geformt und eindrucksvoll. — Wenn die Personen der Handlung ihren Gefühlen Ausdruck geben, dann geschieht es eher in der Art Puccinis oder Schrekers, also in der Sprache der Spätromantik.

Man muß den Veranstaltern für diese Ausgrabung wirklich sehr dankbar sein, denn wir bekamen ein

umfangreiches Fragment mit einer Gesamtdauer von etwa einer Stunde vorgesetzt, so daß man sich nun endlich einmal ein Bild von einem Werk machen konnte, das die meisten nur dem Titel nach kennen. Eigentlich ist es erstaunlich, daß nicht wenigstens in den östlichen Staaten diese Maschinenoper ständig irgendwo auf dem Programm steht. In einer guten Inszenierung und hervorragend ausgestattet, könnte man sie auch anspruchsvolleren deutschsprachigen Bühnen empfehlen.

Während Chor und Orchester des ORF bei der Interpretation der Werke Lutoslawskis und Ligetis Subtilität und Intonationsreinheit bewundern ließen, ist bei der Wiedergabe der Musik von Brands Maschinenoper Präzision und Durchschlagskraft zu rühmen. Daß der Dirigent Friedrich Cerha beide „Sparten“ beherrscht, weist ihn als immer breiter einsetzbaren Musiker aus. Ernst Gutstein und William Ingle sangen die männlichen Rollen, in der überaus schwierigen Partie der Neil zeichnete sich Edita Gru-berova mit ihrem hellen, starken, aber niemals schrillen Sopran aus. Viel Beifall für alle Beteiligten.

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