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Sinkender Stern

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Kurz nach dem Zehn-Jahre- Jubiläum präsentiert die Volksmeinung der Ära Thatcher eine unwillkommene Rechnung: Im Rennen um die Gunst des Publikums hat Labour die Tories überholt.

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Kurz nach dem Zehn-Jahre- Jubiläum präsentiert die Volksmeinung der Ära Thatcher eine unwillkommene Rechnung: Im Rennen um die Gunst des Publikums hat Labour die Tories überholt.

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Ein Bündel selbstverschuldeter oder von außen eingehandelter Probleme wächst der britischen Regierungspartei über den Kopf.

Die Zeiten, da die “Blauen“ in Whitehall ohne wirksame Opposition ungehindert schalten und walten konnten, scheinen vorläufig einmal vorb ei. In der Kampagne der Wahlen zum Europaparlament macht Labour zur allgemeinen Überraschung einen geschlosseneren Eindruck als die Tories.

Mit einemmal ist die noch vor kurzem europafeindliche Labour- partei zum guten, ja enthusiasti- schenEuropäer geworden. Die Lady dagegen hat ihre Abneigung gegen den “sozialistischen Superstaat in Brüssel“, gegen jede angebliche oder wirkliche Einbuße an Souveränität durch Vorschriften aus dem EG- Hauptquartier auf die Spitze getrieben.

Nicht von ungefähr hat Labour- führer Neil Kinnock Frieden mit Brüssel geschlossen. Die Sozialpolitik des Präsidenten der europäischen Kommission, Jacques Delors, mit verbrieften gewerkschaftlichen und Arbeiter-Rechten hat es ihm angetan. Die Regierungschefin riecht den Braten und warnt vor einer “Rückkehr des Sozia lismxis dxirch die Hintertür“. Jenen Erfolg, auf den sie so stolz ist: nämlich dem Sozialismxis auf der Insel den Garaus gemacht zu haben, läßt sich die “Eiserne“ nicht wieder nehmen. Für viele in der eigenen Partei schüttet die Führerin das Kind mit dem Bade axis.

Allen voran Ex-Pre- mier Edward Heath läßt seinen alten Groll gegen Margaret Thatcher (“gönnerhaft, selbstdienlich und scheinheilig"), die ihn Mitte der siebziger Jahre ziemlich rücksichtslos auf die Seite gedrängt hat, wieder freien Lauf. Ausschließlich wirtschaftliche Einigung Europas ohne politisches Zusammenrücken und größere Harmonisierung ist dem nebenberuflichen Dirigenten nicht genug.

Die Lady kann den Sturm des Vorgängers mit der linken Hand abtun, aber nicht verhindern, daß die Wähler dxirch die offene Spaltung der Partei abgestoßen werden.

Die Forderung von Heath, Großbritannien sollte sich dem europäischen Währungssystem (EMS) anschließen, stößt bei der Premierministerm auf taube Ohren. Außenmi-

nister Geoffrey Howe und Schatzkanzler Nigel Lawson sind mehr oder weniger ausdrücklich für einen Beitritt und riskieren damit, auf die Abschußliste zu kommen. Die Zeit sei noch nicht reif, sagt die Regierungschefin wie in den letzten fünf Jahren und meint damit Beitritt anno Schnee.

Dabei könnte sich Thatcher von den acht Vollmitgliedern der Währungsschlange ein Beispiel nehmen. Keines hat auch nur annähernd eine Inflation von acht Prozent wie Britannien, einen Diskontsatz von 14 Prozent und ein ungeheures Außenhandelsdefizit von 410 Milliarden Schilling. Es droht noch schlimmer zu werden (siehe Seite 4). Wenn sich die Geldentwertungnichtbezähmen läßt und das Pfund weiter an Härte verliert, bleibt dem Finanzminister keine andere Wahl, als mit den Zinsen himmelwärts zu gehen xmd den Export weiter abzuwürgen. Zudem ist ein altes, scheinbar längst gebändigtes Gespenst wieder mit aller Macht zurückgekehrt: Eine Welle von Streiks überschwemmt das Land.

Zu allem Überdruß hat die blutige Nieder- schlagxmg der Studentenunruhen in. Peking dxirch die chinesische Führung London eine schwere Krise über die Zukunft der Kronkolonie Hongkong gebracht. Dabei schien der Vertrag von 1985, der Hongkong einen Sonderstatxis im chinesischen Reich garantiert und demokratische Rechte vorsieht, felsenfest gegen Übergriffe axis Peking abzusichern.

Daß die Premierministerin den verschreckten Hongkongem ein “Sicherheitsnetz“ bietet xind das Einreiseverbot für britische Bürger “auf xmabhängigem Territorixim“ abschwächt (siehe FURCHE 21/ 1989, Seite 3), ist ziemlich xinwahr- scheinlich. 3,3 Millionen Bewohner der Kronkolonie warten jedoch sehnlichst darauf.

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