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Sintflut und Regenbogen

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„Es geht nicht um Theorie, sondern um Solidarität mit den leidenden Menschen"

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„Es geht nicht um Theorie, sondern um Solidarität mit den leidenden Menschen"

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Diese Schritte in Richtung auf Dialog und Gespräch, sowohl in einzelnen Ländern als auch zwi­schen den Ländern, sind für die Kirchen eine dringende Aufforde­rung, an diesem Prozeß teilzuneh­men." (60) „Wir bekräftigen mit Nachdruck die Bedeutung gewalt­freier politischer Mittel. Sie sind der angemessene Weg, Veränderun­gen in Europa zu erreichen. In unseren Ländern oder auf unserem Kontinent gibt es keine Situation, die einen Einsatz von Gewalt ver­langen oder rechtfertigen würde." (61)

So heißt es im Schlußdokument der Europäischen Ökumenischen Versammlung „Frieden in Gerech­tigkeit", die vom 15. bis zum 21. Mai 1989 in Basel stattfand. Durch die Ereignisse der letzten Wochen bekamen diese Aussagen einen Realitätsbezug, der im Mai 1989 nur „erträumt" werden konnte/

Die erstmalige Begegnung von Christen und Kirchen aus allen Teilen Europas, vom Ural bis zum Atlantik, von Island bis Kreta, ver­mittelte in Basel Erfahrungen, die wegweisend sind für das geschicht­liche Bemühen, das eine Haus Eu­ropa erfahrbar und bewohnbar zu machen.

Wenn der litauische Delegierte von seinen Mitchristen in Basel nicht länger unter UdSSR einge­reiht wurde, in einer Arbeitsgrup­pe die spirituellen Aussagen einer jungen, theologisch gebildeten, rumänisch-orthodoxen Nonne ei­nen eingehenden Besinnungspro­zeß bei den 40 Teilnehmern aus 17 verschiedenen Ländern auslösten, die Referate des russisch-orthodo­xen Metropoliten Kyrill und der evangelischen Theologin Annema­rie Schönherr nachhaltigen Wider­hall bis heute finden, dann werden hier geistige Kräfte erkennbar, auf die es heute und morgen zu hoffen gilt.

Realistisch heißt es schon im Baseler Dokument: „Diese Zeit der Hoffnung und der Erwartungen ist nicht ohne neue Gefahren. In dem neugeschaffenen Freiraum tauchen alte Probleme wieder auf... Es ist ein schmerzhafter Prozeß." (62) „Wir müssen lernen, mit vielen Menschen auf einem kleinen Kon­tinent zusammenzuleben." (67)

Das „Wagnis" Basel ist zweifels­ohne zum „Pfingstereignis" Basel geworden, auch dann, wenn „fata­le" Stimmen bemüht sind, es als Katastrophe und Glaubensbedro­hung darzustellen. Es war ein spiri­tueller Vorgang der Begegnung, des Gebetes und des gemeinsamen Hörens auf Gottes Wort.

Die geschichtlichen Ereignisse in Europa fordern zum Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und Bewah­rung der Schöpfung als Weg zum Überleben und als Ermöglichung einer Neuordnung Europas im Geiste des Evangeliums heraus. Jedes Land, jeder Christ, jeder Mensch hat dabei seine unveräu­ßerliche Verantwortung. Das En­gagement der Christen sollte dabei von der Einsicht der Schuld, der notwendigen Umkehr und der Ver­pflichtung zum Glaubenszeugnis in Wort und Tat getragen sein.

Die Kirchen in Österreich waren und sind bemüht, diese Verantwor­tung gemeinsam wahrzunehmen. Eine Gemeinsame Arbeitsgruppe Österreichische Bischofskonferenz/ Ökumenischer Rat der Kirchen in Österreich zu „Gerechtigkeit, Frie­den und Bewahrung der Schöp­fung", im Juni 1988 gegründet, arbeitet auch nach Basel intensiv weiter. Sie ist bemüht, zu informie­ren, zu koordinieren und zu inspi­rieren. Alle Engagierten sind sich dabei bewußt, daß es einen langen Atem, viel Ausdauer und Inspira­tion braucht, um die Botschaft des „Schalom" weiterzutragen.

Ein wichtiger Impuls für dieses Bemühen, weit über die Grenzen hinaus, war die Österreichische Pastoraltagung vom 27. bis zum 29. Dezember 1989 in Wien-Lainz, die erstmals ökumenisch vorbereitet und gestaltet wurde zur Thematik: „Christliche Gemeinden für Ge­rechtigkeit, Frieden und Bewah­rung der Schöpfung".

Die Europäische Ökumenische Versammlung in Basel wurde ge­meinsam von der Konferenz Euro­päischer Kirchen (KEK), der 120 christliche Kirchen angehören, und dem Rat der Europäischen Bischofs­konferenzen (CCEE), dem alle römisch-katholischen Bischofskon­ferenzen in Europa angehören, vorbereitet und veranstaltet. Durch wiederholte Begegnungen der Ver­antwortlichen von KEK und CCEE seit 1978 war eine Vertrauensbasis entstanden, die Basel möglich machte, und durch die dort gemach­ten positiven Erfahrungen verstärkt wurde. Bereits im Februar, also noch vor Seoul, wird eine Arbeits­gruppe von KEK und CCEE in Nordirland die weitere Zusammen­arbeit beraten. Vorschläge hierfür liegen schon auf dem Tisch.

Viele hatten gehofft, daß die po­sitiven Erfahrungen von Basel zur gleichen paritätischen Beteiligung der römisch-katholischen Kirche in Seoul führen wird. Diese Hoffnung wurde enttäuscht. Rom wird bei der Weltversammlung über Gerech­tigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, zu der der Ökumeni­sche Rat der Kirchen (ORK) in Genf vom 6. bis zum 12. März 1990 nach Seoul, Korea, einlädt, „nur" durch 20 Beobachter vertreten sein.

1972 wurde als Ergebnis einer ausführlichen Studie die Feststel­lung getroffen, in nächster Zukunft werde die römisch-katholische Kirche keinen Beitritt beim ORK beantragen. Die Gründe, die dazu führten, sind noch gültig und schei­nen auch hinter dieser Entschei­dung zu stehen. 1974 sagte Kardi­nal Johannes Willebrands, daß dies für manche ein Grund der „Enttäu­schung" sei. Auch daran hat sich nichts geändert!

Diese Realität darf aber nicht die andere Wirklichkeit verdecken, daß Vertreter der römisch-katholischen Kirche offiziell der Vorbereitungs­gruppe für die Weltversammlung in Seoul angehören und daß auch die römisch-katholische Kirche eingeladen werden wird, sich die Ergebnisse von Seoul zu eigen zu machen.

Die römisch-katholische Kirche hat sich also dem geistlichen Vor­gang von Seoul nicht entzogen, so sehr die Frage bleibt, ob die unge­lösten ekklesiologischen Problem­kreise zwischen den Mitgliedskir­chen des ORK und der römisch­katholischen Kirche keine weiter­reichende Beteiligung und kein stärkeres Einbringen des römisch­katholischen Charismas ermöglicht hätten.

Die Gemeinsame Arbeitsgruppe in Österreich hat sich eingehend mit dem ersten Entwurf für Seoul befaßt und eine kritische Stellung­nahme nach Genf geschickt. Zu Weihnachten ist nun der zweite Entwurf des Dokuments mit Ap-pendices erschienen. Aufbau und Sprache sind viel klarer und diffe­renzierter geworden. Die in diesem Text enthaltenen Aussagen können helfen, beim Rezeptionsprozeß von Basel den weltweiten Blick nicht zu verlieren.

„Zwischen Sintflut und Regen­bogen " Bundesschlüsse für Gerech­tigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung lautet der Titel des Entwurfs. Auf einige Kernaussa­gen sei hier abschließend hinge­wiesen.

Der rote Faden, der das ganze Dokument durchzieht, ist die Rede vom „Bundesschluß" (6). Als „Volk des Bundes" haben die Christen „immer wieder neu nach ihrer Ver­antwortung für die Welt zu fragen" (36). D,ie Realitäten werden klar und ungeschminkt beschrieben, Stimmen der Betroffenen sind ein­gefügt. Es geht nicht nur um theo­retische Fragen, sondern um die Solidarität mit den leidenden Menschen.

„Darum laßt uns für immer alle falsche Frömmigkeit hinter uns lassen, die nur in die Gleichgültig­keit führt. Laßt uns im Namen des einen Herrn und Hirten der Ge­schichte von unserem menschlichen Streben nach schrankenloser Herr­schaft und von der Verweigerung verantwortlichen Dienstes ablas­sen. Laßt uns unseren Bund mit dem Einen erneuern, der uns ver­kündet hat, ,alle Völker der Erde sind mein'." (6)

Oberin Christine Gleixner, Kongregation der Frauen von Bethanien, ist Ökumene-Referentin der Erzdiözese Wien.

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