6998573-1987_17_07.jpg
Digital In Arbeit

„Sitzt du auf den Ohren?“

Werbung
Werbung
Werbung

Von Eltern bagatellisiert, von Ärzten übersehen, von Lehrern ignoriert, für die Betroffenen oft ein Leidensweg: Kindliche Hörstörungen kommen „noch immer zu spät in fachärztliche Hand, obwohl sie in vielen Fällen leicht behebbar wären“ , klagt der Oberarzt an der Ersten Hals-, Nasen- und Ohrenklinik der Universität Wien, Bruno Welleschik.

Sehr oft werden schwerhörige Kinder zu Spätentwicklern, als dumm, unaufmerksam („Sitzt du denn auf den Ohren?“ ) oder sprachfaul abgestempelt, bevor man sie endlich zum Arzt bringt. „Ein deutlicher Prozentsatz der betroffenen Kinder kommt wegen Sprachstörungen zu uns, als deren Ursache sich dann eine Schwerhörigkeit herausstellt.“

Am chronischen Mittelohrkatarrh (Seromukotympanon) leiden rund vier Prozent aller Kinder. Er wird, weil meist schmerzlos, oft jahrelang übersehen. Dabei ist das Mittelohr nicht mit Luft, sondern mit einem schleimig-zähen Sekret gefüllt, was eine gering- bis mittelgradige Schwerhörigkeit hervorruft.

Uber die Ursachen ist man sich nicht völlig im klaren. „Vermutlich“ , so Welleschik, „spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Zum Beispiel könnten virale Infekte der oberen Luftwege die Belüftung des Mittelohres über die Eustachische Röhre verhindern. .Schnupfenkinder* sind also besonders gefährdet. Die Belüftung kann aber auch durch besonders große Rachenmandeln (volkstümlich .Polypen* oder .Wucherungen* genannt) behindert sein.“ Zur Behandlung des „Leimohres“ , wie die Amerikaner den chronischen Mittelohrkatarrh treffend nennen, setzt man an verschiedenen Punkten an.

Bei kleineren Kindern genügt manchmal die operative Entfernung der Rachenmandeln. Mit abschwellenden Nasentropfen erzielt man eventuell Erfolge, wenn der Sekretbildung eine Erkältung oder eine Mittelohrentzündung vorangegangen ist — diese Erkrankungen können kurzfristig dieselben Auswirkungen zeigen, nach zwei bis drei Wochen sollte das Ohr aber völlig gesund sein.

„In der überwiegenden Zahl der Fälle bringt jedoch nur ein kleiner operativer Eingriff unter dem Mikroskop und in Vollnarkose Hilfe. Durch einen winzigen Schnitt im Trommelfell wird das Sekret abgesaugt und damit eine schlagartige Besserung des Hörvermögens erreicht.“ Im Normalfall heilt das Trommelfell innerhalb weniger Tage ausgezeichnet zu—bei vielen Kindern beginnt aber damit „das Spiel von neuem“ . Um dies zu verhindern, wird der Schnitt durch ein winziges Kunststoffröhrchen offengehalten, um eine Dauer-Belüftung zu erreichen. Das ist völlig schmerzlos, und der Körper stößt nach ein bis zwei Jahren das Röhrchen von selbst ab. Eine leichte Behinderung ergibt sich nur beim Baden, weil der Gehörgang gegen das Eindringen von Wasser geschützt werden muß.

Die einfache „Röhrchentherapie“ beim chronischen Mittelohrkatarrh verhilft aber vielen Kin dern zum intakten Hören. Und ein gesundes Hörvermögen ist gerade für Kinder äußerst wichtig, hat es doch ungeheure Bedeutung für den Erwerb und den Gebrauch der Sprache. Anders als beim Erwachsenen, der bereits über einen kompletten Sprachschatz verfügt und Nichtver- standenes sinngemäß ergänzt, muß das Kind jeden einzelnen Laut hören, um Wörter und Sätze verstehen, nachsprechen und schreiben zu können. Bereits geringfügige Hörstörungen können verheerende Folgen haben und die sprachliche, schulische und intellektuelle Entwicklung gefährden.

„Jede nicht behandelte kindliche Hörstörung ist ein nicht wieder gutzumachendes Versäumnis“ , appelliert Dozent Welleschik an die Eltern, jeden Sprachfehler ihres Kindes ernst zu nehmen.

Dank moderner Therapien und hochentwickelter Medizintechnik können heute viele angeborene oder erworbene Gehörschäden wirkungsvoll behandelt werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung