6809646-1972_26_13.jpg
Digital In Arbeit

Sizilien war seine große Liebe

19451960198020002020

Jede Berührung mit der geistigen Gestalt Friedrichs IL, jede Begegnung mit Zeugnissen seines Lebens wirkt elektrisierend, faszinierend, die Mediziner würden vielleicht sagen „tonisch“, das Lebensgefühl steigernd. So mag es auch der uns bisher unbekannten englischen Autorin Georgina M a s s o n ergangen sein. Ihr Buch erinnert ein wenig an die „Memoires d'Hadrien“ der Prinzessin de Crayencourt, die unter dem Namen Yourcenar ihr Werk „Ich zähmte die Wölfin“ erscheinen ließ.

19451960198020002020

Jede Berührung mit der geistigen Gestalt Friedrichs IL, jede Begegnung mit Zeugnissen seines Lebens wirkt elektrisierend, faszinierend, die Mediziner würden vielleicht sagen „tonisch“, das Lebensgefühl steigernd. So mag es auch der uns bisher unbekannten englischen Autorin Georgina M a s s o n ergangen sein. Ihr Buch erinnert ein wenig an die „Memoires d'Hadrien“ der Prinzessin de Crayencourt, die unter dem Namen Yourcenar ihr Werk „Ich zähmte die Wölfin“ erscheinen ließ.

Werbung
Werbung
Werbung

Wie sie hat Georgina Masson die einschlägige Literatur genau studiert und sich auch mit der Kulturgeschichte des 13. Jahrhunderts eingehend beschäftigt. Es ist also an Fakten alles da, was man in einer Monographie des Staufers erwartet: seine Jugendjahre, seine Machtentfaltung, seine Streitigkeiten mit Rom, seine Reformen, die Neuordnung Siziliens, die Konstitution von Melfi, die nur dem Codex Justinia-nus vergleichbar ist, seine Bannung und sein unter schwierigsten Verhältnissen unternommener Kreuzzug. Vor allem aber hat es der Autorin (die keineswegs einen historischen Roman schreiben wollte) die menschliche Person des Staufers angetan, und diese schildert sie, immer auf Dokumente gestützt, mit weiblicher Einfühlung.

Der Sohn Heinrichs VI. wuchs in Palermo auf, faktisch ein Gefangener des Papstes, aber eigentlich ohne Aufsicht. 1208, mit 14 Jahren, wurde er volljährig, neun Monate später war er mit der zehn Jahre älteren Konstanze von Aragon, der Witwe des Königs von Ungarn, vermählt, mit der er begreiflicherweise nicht viel anzufangen wußte. Er, der sich in den Straßen Palermos unter allerlei Volk herumgetrieben hatte, lernte jetzt feinere Sitten kennen. Sie war die erste von drei Frauen, die er heiratete, ohne sie vorher gesehen zu haben. Von anderen, die-nur zum Teil namentlich bekannt sind, hatte er mindestens neun uneheliche Kinder.

Gewandt in allen ritterlichen Spielen, war Friedrich von einem unbändigen Wissensdrang besessen. Dieser veranlaßte ihn, Verbindung mit den größten Gelehrten seiner Zeit zu suchen, besonders mit arabischen. Überhaupt faszinierte ihn alles, was aus dieser Sphäre kam, was ihm den Ruf eines Heiden und Antichristen einbrachte. Dazu trug auch das tägliche Bad bei, das er zu nehmen pflegte, und die vielen schönen jungen Frauen, die sich stets in seinem Gefolge befanden und die man kurzweg als einen Harem bezeichnen könnte.

Der kaiserliche Troß auf Reisen — das hat in Deutschland wie ein Bild aus Tausendundeiner Nacht gewirkt: An der Spitze leichte sarazenische Reiter, in ihrer Mitte, lautlos, die schnellen Kamele, Geschenke der Sultane von Babylon und Ägypten, sie trugen die Sänften mit den verschleierten Damen, die von mächtigen Negern bewacht wurden. Dann im Abstand der Hof, der „Stupor mundi“ inmitten, eine sportliche Figur, nur mittelgroß, mit rotblondem Haar und graublauen Augen, die manchmal auch grün schillern konnten, wie die einer Schlange. Friedrich war nämlich ungeduldig und jähzornig, das erklärt manche seiner Grausamkeiten. Daß jemand die göttliche Majestät des Kaisers mißachten oder ihm gar nach dem Leben trachten könnte, vermochte er nicht zu begreifen — sondern nur hart zu bestrafen.

Von den 38 Jahren seiner Herr-' Schaft verbrachte Friedrich nur neun in Deutschland, die übrigen in Italien, vornehmlich in Sizilien, das er als seine eigentliche Heimat betrachtete und bei dessen Schilderung er in die bilderreiche Sprache des Orients verfiel: ,,Weitab von den bergenden Häfen Siziliens, auf den kaiserlichen Meeren hin und her segelnd, fühlen wir uns als Pilger und Wanderer der Heimat fern.“ Aus dieser Insel wollte er ein Paradies für alle machen, und mit der dämonischen Energie seines Wesens widmete er sich dieser Arbeit. Fünf Jahre lang, von 1220 bis 1225, war dies seine Hauptbeschäftigung, obwohl er ein Weltreich zu verwalten hatte. •

Viele Züge im Wesen Friedrichs II. muten eher romanisch oder orientalisch als deutsch an, so auch seine raffiniert verfeinerte Lebensweise, sein Wohnen, sein Essen, der Luxus der ihn umgab. Der Hof von Palermo war eine esoterische Welt, zu der nur die berühmtesten Gelehrten und die brillantesten Köpfe Zutritt hatten. Es wehte hier eine dünne geistige Luft, in der die Wissenschaften und die Künste, aber auch der Witz gediehen. Ihn schätzte Friedrich im kleinen Kreis, wo sogar auch einmal die göttliche Person des Kaisers seine Zielscheibe sein durfte. Hingegen war er absolut unfähig — oder auch nicht willens — sich in einem größeren Kreis oder gar vor der Menge beliebt zu machen. Obwohl vor der göttlichen Majestät theoretisch alle gleich waren, fehlte ihm die Fähigkeit, auf den „kleinen Mann“ einzugehen. Sein Charme, der groß gewesen sein muß und der sich auch seinen arabischen Partnern gegenüber bewährte, konnte sich nur im Umgang mit Gleichgesinnten und Gebildeten entfalten.

Friedrich war ein scharfer Beobachter, nicht nur der Menschen, sondern auch der Natur, und was er mit äußerster Genauigkeit wahrnahm, verstand er ebenso wiederzugeben. Das erinnert an die klinische Akribie arabischer Ärzte. Hiervon ist sein reich illustriertes Buch „De arte venandi cum avibus“ ein bleibendes Zeugnis. Es ist der Falkenzähmung und der Falkenjagd gewidmet. Hier wie in vielen anderen seiner Untersuchungen zeigt sich Friedrichs Ordnungssinn und sein Erkenntnisdrang. Und dann die „Sizilianischen Fragen“ von 1240. Sie wurden zu Lebzeiten Friedrichs viel beredet, und man hat sie ihm sowohl von deutscher wie von römischer Seite vor allem deshalb übel genommen, weil sie vornehmlich an Gelehrte aus Ägypten, Syrien, dem Irak und aus dem Jemen, an den Sultan von Marokko sowie an den ein wenig zweifelhaften Michael Scotus gerichtet waren: Wie die Erde über dem Abgrund und der Abgrund über der Erde steht? Wie weit ein Himmel vom andern entfernt ist und was hinter den Himmeln liegt, wenn es mehrere gibt? In welchem befindet sich Gott und in welcher Gesellschaft? Was tun die Engel und Heiligen immerfort vor Gott? Und kennt eine Seele die andere im nächsten Leben?

Ja, das alles möchten wir auch gerne wissen. Und Fra Salimbene, der freilich eine notorische Klatschbase war, berichtet uns auch von recht merkwürdigen, mit kindischer Grausamkeit angestellten Experimenten, die Friedrich mit Menschen vornahm, um hinter gewisse Ge-

DIE LÖWIN VON SAN MARCO. Roman von Gaby von Schön-than. Verlag Hofjmann und Campe. 416 Seiten. DM 24.—.

Die Schauplätze dieses Romans sind das Venedig des beginnenden 18. Jahrhunderts und das Paris zur Zeit des Regenten Philipp von Orleans. Hier vollzieht sich das Schicksal des Liebespaares, einer venezianischen Aristokratin und einem der berühmtesten Ärzte jener Zeit. Sie scheinen füreinander bestimmt und werden doch immer wieder getrennt. heimnisse der Physis zukommen. Auch darin zeigen sich der unzähmbare Wissensdrang und die dämonische Natur des Kaisers.

DAS STAUNEN DER WELT. Friedrich II. von Hohenstaufen. Von Georgina Masson. Rainer-Wunderlich—Hermann Leins, Tübingen. 388 S. 14.80 DM.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung