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Skeleton Island

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Um die Mitte des Monats Juni 1971 brachten die Zeitunger» die folgende Notiz:

„Schatzinsel freigegeben. — Jahrelang war sie nur mit besonderer Bewilligung für Schatzsucher zugänglich gewesen. Nunmehr wird Ende Juni Oak Island, die legendäre Schatzinsel vor der kanadischen Atlantikprovinz Neu-Schottland, für Touristen freigegeben. Bisher waren 1,5 Millionen Dollar investiert worden, um den angeblich auf der Insel vergrabenen Piratenschatz des legendären Kapitäns Kidd zu bergen. Sogar US-Präsident Roosevelt hatte sich im Jahre 1909 an einer solchen Aktion beteiligt. Sämtliche Unternehmungen dieser Art waren aber ohne Erfolg geblieben.“

Dieser Captain William Kidd, ein schottischer Pfarrerssohn, nach andern aber ein Mensch unbekannter, ja obskurer Herkunft, war um 1645 geboren worden. In New York lebte seine Familie. Auch besaß er ebendort ein Haus, Grundstücke und mehrere Schiffe, mit denen er erfolgreich Handel trieb. Damals waren die Gouverneure Neu-Eng-lands ein Colonel Fletscher und, nach ihm, ein Graf Bellomont. Diese Leute waren schlecht bezahlt, weswegen sie sich, je nach Gelegenheit, mit den Piraten, die auf allen sieben Meeren ihr Wesen trieben, teils assoziierten, teils gegen sie auftraten. Es kam nur darauf an, was ihnen gerade einträglicher schien.

Jedenfalls erhielt Kidd im Jahre 1696 zwei von König William III. persönlich unterfertigte Kaperbriefe, deren einer ihn zum Fang der französischen Freibeuter vor der nord- und mittelamerikanischen Küste, der andere zur Jagd auf die Schiffe der Piraten Tew, Every und Genossen im Roten Meer ermächtigte. Auch war ihm der Gouverneur Bellomont behilflich, die Galione „Adventure“, ein Kauffahrteischiff von nahezu 300 BRT und mit 34 Kanonen, auszurüsten •und 155 ausgesuchte Seeleute anzuheuern. Aber 70 davon wurden ihm im April 1696 von einem britischen Kriegsschiff von Bord geholt, so daß er seine Stände im Juli desselben Jahres in New York, allerdings mit weit weniger guten Leuten, neu auffüllen mußte. Dergleichen Wegholen guter Leute und deren Ersatz durch sohlechtere stand damals auf der Tagesordnung und währte bis weit ins 19. Jahrhundert hinein; und nicht nur im Falle Kidds, sondern auch in anderen Fällen mag dies die Ursache gewesen sein, daß die Kapitäne mit ihren verwässerten Besatzungen auf falsche, ja verbrecherische Kurse gerieten.

Dies sollte auch bei Kidd der Fall sein. Er jagte die Piraten, die er zur Strecke bringen sollte, ein ganzes Jahr lang vergebens, bis seine Leute, die sich reiche Beute erhofft hatten, zu meutern begannen. Einen der Wortführer der Meuterer, den Ge-schütznieister Moore, erschlug Kidd zwar noch in heller Wut mit einem eisernen Eimer, was später der zumindest vorgegebene Grund für Kidds Hinrichtung werden sollte. Doch mußte er den Meuterern mehr oder weniger nachgeben und, statt Piraten zu jagen, selber Piraterie zu treiben beginnen. Von Madagaskar aus kaperte er im Jahre 1697 fünf Schiffe, doch heißt es, die Zahl der von ihm gekaperten Schiffe und siegreichen Seegefechte sei eigentlich eine weit größere gewesen. Zumindest behauptet dies der Steuermann der „Septer“, offenbar eines britischen Kriegsschiffes, in seinen Aufzeichnungen, und der Wert der Beute, die auf St. Mary geteilt wurde, betrug für Kidd allein 45.000 Livres Sterling.

Inzwischen jedoch war die „Adventure“ so weit seetüchtig geworden, daß Kidd mit seinen Leuten an Bord eines der von ihm erbeuteten Schiffe, der „Quedagh“, zu gehen genötigt war.

Damals erfolgte aus London die Begnadigung aller Piraten, nur nicht Kidds und Everys. Kidd vor allem war als Pirat schon so berühmt geworden, ja dieser sein Ruhm ist so groß geblieben, daß er bis in unsere Tage hereinreicht, während zum Beispiel der viel erfolgreichere Piratenkapitän Roberts, der an die vierhundert Schiffe gekapert haben soll, längst vergessen ist. Ruhm ist eben oft genug nur von Übel, insbesondere wenn Verbrechen mit im Spiele sind, und nur - der Erfolg ist alles. Kidd, jedenfalls, kehrte in die amerikanischen Gewässer zurück, verließ die „Quedagh“ irgendwo in der Karibischen See, brachte seine Beute in Sicherheit, nahm wieder Kontakt mit Bellomont auf und wagte sich auf einer Schaluppe zurück nach New York.

Wo es aber gewesen war, daß Kidd seine Beute untergebracht hatte, ist bis heute ein Rätsel geblieben. Mit Hilfe eines Zolleinnehmers der Insel Antigua hat er jedenfalls 14.000 Pfund Sterling verborgen. Diese wurden auch wieder zustande gebracht. Auch heißt es, er habe mit Hilfe des Leuchturmwächters von Gardiners Island, welches östlich von Long Island liegt, wenn nicht gar Gardiners selbst, eine Menge Kostbarkeiten verborgen. Wo aber war der Rest von Kidds Beuteanteil, 30.000 Pfund also, hingeraten?

Man weiß es nicht. Kidd selbst, jedenfalls, wurde von Bellomont nach Boston gelockt und sofort in Ketten gelegt, um nach England verfrachtet zu werden. Dortselbst henkte man ihn allerdings erst zwei Jahre später, nämlich am 13. Mai 1701, nicht ohne daß er, noch unterm Galgen, von seinen verborgenen Schätzen gesprochen hätte. Aber das hatte er wohl nur getan, um sich damit, ähnlich wie etwa auch die Dubarry mit ihrem vergrabenen Schmuck, das Leben zu erkaufen. Doch half es ihm nichts. Man henkte ihn dennoch.

Was ihm aber seine Richter nicht geglaubt hatten, glaubte ihm die Nachwelt, und man suchte nach seinen Schätzen überall, vom Äquator bis nach Neufundland, fand sie jedoch nirgends, und je weniger man sie fand, desto mehr rankte sich eine Unzahl von Sagen um ihn und seine Reichtümer, ja schließlich einigte sich, wie schon gesagt, die allgemeine Meinung dahingehend, daß sie in Oak Island lägen. Man nannte diese Insel auch Skeleton Island, mutmaßlich wegen der vielen Skelette, auf die man, angeblich, während der Schatzsuche gestoßen war. Es hieß, daß es die Skelette der Piraten gewesen seien, die ihrem Kapitän beim Vergraben der Schätze geholfen hätten und die dann, zum Dank dafür, von ihm getötet worden seien, damit ihrer keiner den genauen Ort verraten könne, an dem die Schätze lägen.

Die Insel wurde für Touristen gesperrt, nur legitimierte Schatzsucher durften weiterforschen, aber auch die fanden nichts, und am Ende gab man die Insel wieder frei. Sofort wurde ein großes staatliches Hotel errichtet, Hunderte und Tausende von Menschen lösten einander, als Besucher der Insel, ab, und alle Welt suchte auf die dilettantischeste Weise nach Kidds Schätzen.

Das Hotel war mit einem großen Ball eröffnet worden. Dabei hielt der Direktor eine Rede, in der er die Schicksale Kidds zum besten gab, und wünschte den Schatzsuchern viel Glück. Aber wenngleich eine Menge Buden errichtet wurden, in denen man aufs zierlichste verchromte Grabwerkzeuge feilbot, derer sich kein schätzesucfaender Millionär hätte zu schämen brauchen, fand man den Schatz nicht.

Auch eine Familie van Deventer, die, wenn zwar nicht eben reich, fest daran glaubte, schon mit der Mayflower nach Amerika gekommen zu sein und weniger ihrer geringen Mittel als ihrer großen Vornehmheit wegen so tat, als sei sie auf die Schatzsuche nicht angewiesen, war in Skeleton Island aufgetaucht, aber wohl nur um ihre zwei Töchter an reiche Leute zu verheiraten; und es war das Pech der van Deventers, daß der emsthafteste Verehrer der älteren der zwei Töchter, ein gewisser Glasscock, noch viel weniger Geld hatte als die Deventers. Jedenfalls ward er, zwar nicht von seiner Angebeteten, wohl aber von den Eltern derselben reichlich rüde abgewiesen. Denn arm waren ja auch sie selbst.

Während der kurzen Zeitspannen, welche miteinander zu verbringen den jungen Leuten Oliver und Patricia vergönnt war, hielten sie sich an den Händen und schmachteten eins das andere an; und der alte Deventer, der, wenngleich Republikaner, verurteilt war, solche Dinge wegen der „verdammten demokratischen Gesinnung“, derer man sich jetzt befleißigte, zu dulden, erklärte das für blanke Unanständigkeiten, die man, zu seiner Zeit, nur im geheimen getrieben habe. Derselben Ansicht schien aber auch seine Frau zu sein, die, indem sie ihn zeitweise einspannte, auf das Liebespaar aufzupassen, die Gelegenheit wahrnahm, ihn ebenso heimlich zu betrügen; und die jüngere der Schwestern, Domina, eine streng gehaltene Sechzehnjährige, hätte am liebsten bei beiden Gelegenheiten zugesehen.

Wenn Oliver jedoch auf die Nähe der Geliebten verzichten mußte, lag er in einem Strecksessel am Strande und las Kriminalgeschichten, wobei ihm auch die ersten dieser Art, die geschrieben worden waren, in die Hände kamen. Sie stammten von Edgar Allan Poe, den Oliver nicht mochte, weil er ihn in der Schule, als den Urheber des ganzen Genres, zu studieren, ja als größten amerikanischen Dichter geradezu auswendig zu lernen gehabt hatte. Doch blätterte er nun „The Mistery of Mary Roget“ und „The Purloined Letter“ aus purem Vergnügen, sie nicht mehr lesen zu müssen, wieder an, fand aber dabei zu seinem Erstaunen, daß sie ihm gar nicht mehr so widerwärtig waren, wie er sie in Erinnerung gehabt hatte; und so las er denn auch den „Doppelmord in der Rue Morgue“ und den „Goldkäfer“, den „Gold Bug“, nochmals und stellte bei der letzteren Erzählung fest, daß diese Geschichte ebenso von Kapitän Kidd handelte wie die Sagen, welche sich um Oak Island spannen. Nur hatte Poe den Schatz nicht hier auf der Skeleton-Insel vor Nova Scotia, sondern auf Suliivan's Island vor Charleston in South Carolina vergraben lassen, und der Held der bezüglichen Erzählung, ein Herr Legrand aus New Orleans, hatte ihn — so behauptete wenigstens der Autor — sogar gefunden.

Das wunderte den jungen Mann, soweit er sich, die ganze Zeit — leider bloß in Gedanken — mit den Augen, dem Busen und den Beinen Patricias beschäftigt, überhaupt zu wundem vermochte. Jedenfalls hatte er noch nie gehört, daß von Kidds Reichtümern statt hier oben in Oak Island dort unten bei Charleston die Rede gewesen wäre; und es war nicht anzunehmen, daß Poe schon um 1840, etwa bloß wegen des Fremdenverkehrs, eine Gegend interessant zu machen versucht hätte, die in Wirklichkeit das Langweiligste vom Langweiligen war. Ja schließlich blätterte Oliver nochmals bis zur Geheimschrift zurück, in welcher, wenngleich reiohlich verklausuliert, der genaue Ort angegeben sein sollte, wo Kidds Beute vergraben war.

Das bezügliche Dokument wollte Legrand allerdings nicht auf Sulli-vans Insel selbst, sondern nahebei an der Küste des Festlands gefunden haben, wo er auch die Reste einer wohl schon vor sehr langer Zeit gestrandeten Schaluppe zu erkennen glaubte; und das Pergament ragte nur mit einer Ecke aus dem Sande.

Eine Schaluppe ist ein großes sloop-getakeltes Boot auf Kauffahrteischiffen, das größte der mitgeführten Boote, das mittschiffs auf Deck gestellt wird und oft auch selber armiert ist. Wären die von Legrand wahrgenommenen • Schiffstrümmer jedoch die der Schaluppe gewesen, mit der sich Kidd von der „Quedagh“ abgesetzt hatte, so hätten sie, damals schon, hundertvierzig bis hundertfünfzig Jahre alt sein müssen, was für reichlich unwahrscheinlich gelten konnte. Vermutlich also handelte es sioh dabei um ein ganz anderes Boot. Daß aber auf dem Pergament, welches Legrand an sich genommen hatte, eine Geheimschrift stand, hatte Legrand erst entdeckt, als er, daheim, mit dem Blatte dem Kaminfeuer zu nahe gekommen und als die Geheimschrift durch die Erwärmung hervorgekommen war. Anders wäre sie, weil unsichtbar, unentdeckt geblieben.

Der Text der Geheimschrift lautete, entziffert:

„A good glass in the bishop's hostet in the devil's seat forty one degrees and thirteen minutes north-east and by north main branch se-venth link east side shoot from the left eye of the death's head a bee line from the tree through the shot fifty feet out.“

Das ist, übersetzt:

„Ein gutes , Fernglas in des

Bischofs Haus in des Teufels Sitz einundvierzig Grad dreizehn Minuten nordnordöstlich Hauptast siebenter Nebenast an der Ostseite ein Lot durch das linke Auge des Totenkopfes vom Baum über die Stelle, auf die das Lot gefallen ist, fünfzig Fuß weit hinaus.“

Diese an sich unverständlichen Angaben kamen dem jungen Menschen auf einmal merkwürdig bekannt vor. Zuerst meinte er, sich ihrer noch aus der Schule zu erinnern, wo er auch den „Goldkäfer“ schon gelesen haben mochte. Dann aber wurde er sich des Umstandes bewußt, daß „The Bishops Hotel“ und „The Devils Seat“ gewisse geographisch determinierte Punkte auf Oak Island selbst waren.

Er war sprachlos und vergaß über seinem Staunen, wenngleich bloß vorübergehend, sogar die körperlichen Reize seiner Geliebten. Wenn Poe, in seiner Erzählung, diese beiden in Wirklichkeit auf Oak Island befindlichen Punkte nach dem Festlande nächst Sullivan's Island verpflanzt hatte, so waren sie von ihm nicht, wie man bisher gemeint hatte, frei erfunden, sondern dem Dichter faktisch bekannt gewesen. Wozu aber hatte er sie in die Nähe von Charleston verpflanzt? Offenbar weil es ihn, einerseits, reizte, Bericht von dem Schatz zu geben, den er tatsächlich auf Oak Island vermutete, aber anderseits weil er dennoch nicht verraten wollte, an welchem Punkte der Insel der Schatz lag. Vielleicht wollte er ihn, später, selbst noch suchen. Denn gefunden hatte Poe den Schatz, auch wenn er nicht bloß davon gehört, sondern ihn auch schon gesucht hatte, wohl kaum. Allein, wieso hatte er ihn nicht finden können? Offenbar aus dem gleichen Grunde, aus dem auch die Reste der Schaluppe, bei denen er das Pergament entdeckt hatte, nicht mehr die von Captain Kidds Boot sein konnten. Die eineinhalb Jahrhunderte, die seit dem Vergraben des Schatzes bis zum Jahre 1840 verflossen waren, hatten genügt, nicht nur Kidds Schaluppe, sondern auch die Wegmarken, die zum Sohatz führen sollten, zu zerstören: den Baum, einen Tulpenbaum, unter dem der Schatz lag, den Hauptast an der Ostseite des Tulpenbaumes und den Totenschädel, der auf den siebenten Nebenast genagelt war.

War das alles schon zu Poes Zeit nicht mehr vorhanden gewesen, urni wieviel weniger würde nun noch eine Spur davon zu finden sein! Aber von Oliver hatte, über seinem Grübeln, die Vorstellung mehr und mehr Besitz ergriffen, daß ihn der Schatz zu einem reichen Manne machen werde, daß er dann Patricia heiraten könne und daß er Kidds Reichtümer daher unbedingt finden ~ müsse. Denn vorhanden waren jedenfalls noch „the bishops hostel“ und „the devils seat“. Ersteres war eine Anhäufung von Felstrümmern, etwa zwei Meilen vom wirklichen, das heißt jetzt erst errichteten Hotel entfernt, und letzterer ein steinerner Sitz auf dem oder vielmehr im Felsen.

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