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Slowakisches Rom

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Hätte Tymau einen Aussichts- berg wie etwa den Salzburger Mönchsberg, der Blick über die Stadt müßte überwältigend sein. Schon von der Ferne sieht man zahllose Türmchen und Spitzen, die in die dunstige Luft stoßen. Die goldenen Spitzen, Helme und Kup- peln, heute mit grüner Patina über- zogen, müssen wohl einst ihre glit- zernde Pracht in alle Himmelsrich- tungen gestrahlt haben.

BeimBetreten der Stadt wird man als erstes mit der gut erhaltenen Struktur einer mittelalterlichen Stadt konfrontiert: Im Westen und Osten der Stadt sind die Bastionen, Stadtmauern mit den Schießschar- ten und den Festungsgräben aus dem 14. Jahrhundert fast vollstän- dig erhalten geblieben. Nähert man sich von den Bastionen her dem Stadtzentrum, macht man gleich- zeitig auch einen Gang durch die Baugeschichte der Stadt.

Die Renovierungen sind noch spärlich, darum umso auffallender. Der wunderschöne Hauptplatz mit seinem mittelalterlichen Stadtturm und dem Empirebau des Stadtthea- ters wird durch einen häßlichen grauen Allzweckbau aus der Nach- kriegszeit (Narodni dorn) geradezu entweiht. Um Ensembleschutz und Altstadterhaltung kümmert man sich freilich erst seit jüngster Zeit.

Schreitet man über den Platz weiter ostwärts kommt man zum größten und schönsten Barockkir- chenbau der Slowakei: der frühba- rocken Jesuitenkirche aus dem Jahre 1637. Erbaut wurde die Kir- che als Universitätskirche. Sie war der erste Barockkirchenbau der Slowakei und wurde nach dem römischen Vorbild „II Gesu" er- richtet. Die Jesuitenkirche ist noch immer eine der größten Kirchen der Slowakei überhaupt. Bemerkens- wert ist die Innenausgestaltung durch italienische Künstler. Schon seit dem 15. Jahrhundert waren in Tyrnau italienische Künstler und Baumeister tätig.

Die Stadtbefestigungen wurden beispielsweise in den Jahren 1553 bis 1555 vom italienischen Fe- stungsbaumeister Pietro Ferrabos- co entworfen. In der Universitäts- kirche war rund 80 Jahre später der Stukkateur Giovanni Rosa tätig, dessen Handschrift das gesamte Kircheninnere trägt.

Unweit davon erhebt sich die ursprünglich gotische St. Nikolaus- Kirche aus dem Jahre 1389, mit Umbauten aus dem 15., 17. und 18. Jahrhundert.

Im erzbischöflichen Palais ist Leben eingezogen, nachdem der Bischofssitz Trnava wieder besetzt wurde. Ich erhaschte einen Blick auf Erzbischof Jan Sokol, als er im Garten des Palais an einer Rose riechend auf Besuch wartete.

Neben dem erzbischöflichen Pa- lais erstreckt sich eine Häuserzeile wie aus einem Historienfilm. Da- durch, daß es keine Baulücken gibt und Private kein Geld für Renovie- rungen ausgeben konnten, der Staat offenbar nur in einem bescheide- nen Gießkannenprinzip die notwen- digsten Renovierungen tätigte, ist der Zustand der wunderschönen alten Häuser zumeist bekla- genswert.

Auf dem Wege zur Universität, die wiederum eine theologische Fa- kultät erhält, fie- len mir Schmiere- reien an etlichen Häusern auf: „Pozor tzigan". Die Erklärung erhielt ich erst zu Hause. Durch eine Amnestie von Staatspräsident Vaclav Havel im Dezember kamen auch viele inhaf- tierte Zigeuner frei, die seither ohne Arbeit und Geld ihr Leben fristen. (Pozor tzi- gan heißt: Ach- tung Zigeuner!)

Das jetzige Stadtbild von Tyrnau ist zum größten Teil in der Zeit vom 16. bis zum 18. Jahrhun- dert entstanden, einer Zeit, in der der Erzbischof von Gran (Esztergom) wegen der Türkengefahr nach Tyrnau über- siedelt war. Erzbischof Peter Päz- mäny gründete im Jahre 1554 die Universität, die bereits achtzig Jahre später vier Fakultäten besaß.

Die Stadt wurde in diesen Jahr- hunderten zu einem bedeutenden Handels- und Handwerkszentrum. Viele Renaissance-: und barocke Bürgerhäuser weisen noch auf die- se für Tyrnau goldene Zeit hin. Der Bau von zahlreichen Kirchen und Klöstern, die der Stadt ihren schmückenden Namen gaben, fiel ebenfalls in diese Zeit: neben den Genannten, Kirche und Kloster der Trinitarier (1710), Kirche und Klo- ster der Klarissen (17. Jahrhundert), Kirche und Kloster der Franziska- ner (1633 barockisiert), das Ursuli- nenkloster mit Kirche (1724), die ursprünglich gotische Spitalskir- che St. Helena (umgebaut im 18. Jahrhundert).

Irgendwann muß man eine Stadt auch wieder verlassen. Wir ver- tauschten die ehrwürdigen Mauern der alten Bischofsstadt mit der lieblichen Umgebung und beweg- ten uns durch Weinberge (Modra) den Kleinen Karpaten zu. Ich woll- te noch unbedingt einem in der Literatur des 19. Jahrhunderts viel gerühmten Schloß, nämlich „Cer- veny Kamen", der berühmten Bi- berburg der Fuggers und Pallfys einen Besuch abstatten. Es kam allerdings anders! Ein wahrer (weiblicher) Zerberus verweigerte uns den Eintritt. Aus Gesten erfuh- ren wir, daß die wunderschöne Anlage aus dem 16. Jahrhundert bereits seit Jahren renoviert und erst demnächst zugänglich gemacht würde.

Eine Fahrt durch die Kleinen Karpaten mit einer Einkehr in der sehenswerten Zoch-Hütte (Zocho- vä-Chata) entschädigte uns für die Enttäuschung.

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