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So bekam Wien Farbe

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Noch vor einigen Jahren fuhren Schüler, Studenten, „Hackenstade“ und sonstige „Freiberufler“ nach London, Paris oder zumindest München, wenn sie etwas Neues bzw. Aufbauendes erleben wollten: „In Wien is eh nix los!“ Das stimmte auch — von einer Jugendszene war nichts zu bemerken, sie konnte sich einfach nicht entwickeln. In dieser Stadt legt man gern den Nachwuchs auf Eis — lieber, als ihm eine Chance zu geben (am Beispiel Politik: Nachwuchspolitiker unter 40 sind selten, unter 30 Einzelfälle). Daß Ältere Jüngeren nicht weiterhelfen, mag daran liegen, daß man nach unten „abblockt“, um selbst Karriere zu machen.

Weiters: Bürokratie und

Verwaltung sowie (Ver)- ordnungshüter, Vergnü gungssteuer und überstrenge Veranstaltungsvorschriften nahmen fast allen die Lust, kulturelle Privatinitiativen zu setzen. So verschwanden Kabarett, Kleinkunst und Musikveranstaltungen aus Gaststätten und Lokalen. Wen wundert’s, daß weltweit die 60er Jahre fröhliche Urständ’ feierten, ihren Niederschlag in Musik, Architektur, Design, Kultur und Lebensgefühl fanden Wien aber weiterhin mit Backhendl, Heurigem, Lipizzaner, Oper und „Schönbrunner Gak- kerlgelb“ assoziiert wurde. Und die Artmanns, Rühms und Hundertwassers Ausnahmeerscheinungen blieben.

Natürlich mußte das Faß überlaufen! Viele tausend Teens, Twens, aber auch „Oldies der ersten Stunde“, hatten einen Nachholbedarf an eigenen Kulturvorstellungen: 1976 wurde die Arena in St. Marx einen ganzen Sommer lang besetzt, und Hunderttausende demonstrierten ihr Verlangen nach Partizipation am Kulturleben dieser Stadt. Aber das reichte nicht, um der Stadtverwaltung begreiflich zu machen, daß die Zeiten sich geändert hatten, daß es neben dem herkömmlichen Kulturbetrieb einen Alternativkulturbereich sowie ein erwachendes Selbstgefühl des Groß stadtmenschen gibt.

Eine politische Änderung in Wien leitete dann den Wechsel in der Kulturpolitik ein: Erhard Bu- sek und seine Aktion „pro Wien“ erfanden das Wiener Stadtfest, die Grätzelfeste, den Bio-Markt in der Phorushalle. Busek trat zu einer kulturpolitischen Großoffensive gegen die erstarrte Kulturverwaltung an. Das machte Schule, plötzlich überboten einander Gemeinde, Vereine, Parteien in ihrem Verständnis für „Breitenkultur“.

Man stellte in unterschiedlichen Programmen einheitlich fest: Kultur ist für alle da!

Damit waren Voraussetzungen geschaffen — die Aktionen folgten. Der Verein Wiener Stadtfeste schuf in Wien-Hernals ein neues Kulturmodell, das allen Bevölke- rungs- und Geschmacksrichtungen zugänglich ist. Ein ehemaliges Vorstadtetablissement in der Hernalser Hauptstraße 55 wurde mit Unterstützung von Erhard Busek renoviert und zu einem modernen Kulturbetrieb umgebaut. Die Eröffnung dieses „Neuen Wiener Metropol“ erfolgte am 16. Jänner 1981 mit dem Wunsch: „Das Metropol soll ein Haus für alle werden. Jeder ist willkommen!“

Niemand hätte geglaubt, daß zwei Jahre später der zweihunderttausendste Besucher gezählt werden würde. Jung und alt treffen sich hier vorurteilslos, Rockereignisse und Bandwettbewerbe finden genauso statt wie Vorträge, Chansonabende und Lesungen mit bekannten Schauspielern.

Das Metropol ist insofern für das neue Wiener Kulturleben richtungweisend, als es ein Haus der Versöhnung ist. Hier wird nicht Parteipolitik gemacht, im Gegenteil, über die Parteigrenzen hinaus werden die Leute ermutigt, selbst aktiv zu werden. Als Künstler, als Besucher, als Kulturmacher. Und derzeit schießen in Wien die verschiedensten Kulturprojekte wie die Schwammerl aus dem Boden. Es gibt offene Werkstätten, Ansätze zu selbstverwalteten Jugendzentren, neue gemeinsame Wohnmo- delle.

Die Wiener Festwochen haben ihren alternativen Bereich bekommen, das „Festival der

Clowns“ lockt die Großstadtmenschen in eine ganze Zeltstadt auf der Jesuitenwiese. Viele neue Veranstaltungslokale beleben die Stadt, Wien ist aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Diese Aufbruchsstimmung spürt man am stärksten, wenn man bei einem abendlichen Lokälbummel sieht, wie viele ambitionierte Leute mit neuen Ideen neue Gastronomiebetriebe eröffnen. Und die In-Lokale sind alle gerammelt voll!

Die Stadt hat Farbe bekommen! Allerdings werden erst die nächsten Jahre und Jahrzehnte zeigen, ob diese positive Entwicklung anhält und die ehemalige „Stadt der grauen Gesichter“ auch bunt bleiben wird. Denn eines ist klar: Ewig werden die Subventionsfüllhörner nicht ausgeschüttet werden können, und übrigbleiben werden sicher nur Veranstaltungshäuser und Initiativen, die sich zumindest teilweise selbst finanzieren. Derzeit gehört Wien sicherlich zu den interessantesten Städten Europas — zu den Städten, die sich neu entdecken!

Der Autor ist verantwortlich für „Metropol“, „Clownfest“ und „Wiener Stadtfest“. Er definiert sich selbst als „Kulturaktionist“.

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