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So handeln, als käme es auf uns an

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Ruth Klüger überlebte Theresien-stadt und Auschwitz. Zufall und Literatur waren ihre „Überlebens-Mittel". Für ihre Biographie „weiter leben - Eine Jugend" (Wallstein Verlag) wurde ihr vergangene Woche der „Rauriser Literaturpreis" für den besten De-bütroman des Jahres 1993 verliehen. Den Rauriser „Förderpreis" erhielt die Badgasteiner Studentin Daniela Ellmauer für ihre Erzählung „Der Aufschub". Die Schweizer Adolf Muschg und Urs Widmer gehörten zu den ausländischen literarischen Größen, Robert Schneider (Autor des gefeierten Romans „Schlafes Bruder") und Franz Innerhofer zu den österreichischen.

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Ruth Klüger überlebte Theresien-stadt und Auschwitz. Zufall und Literatur waren ihre „Überlebens-Mittel". Für ihre Biographie „weiter leben - Eine Jugend" (Wallstein Verlag) wurde ihr vergangene Woche der „Rauriser Literaturpreis" für den besten De-bütroman des Jahres 1993 verliehen. Den Rauriser „Förderpreis" erhielt die Badgasteiner Studentin Daniela Ellmauer für ihre Erzählung „Der Aufschub". Die Schweizer Adolf Muschg und Urs Widmer gehörten zu den ausländischen literarischen Größen, Robert Schneider (Autor des gefeierten Romans „Schlafes Bruder") und Franz Innerhofer zu den österreichischen.

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Aufrüttelnd, befremdend, erschütternd an „weiter leben - Eine Jugend" ist die Objektivität, mit der die Preisträgerin Ruth Klüger imstande ist, von den Menschen zu erzählen, die ihre Kindheit und ihre Jugend zerstörten und die unheilbare Wunden in ihr Fühlen und Denken geschlagen haben: Sie versagt sich das Schwelgen in Grauen und Leid.

Ihre Objektivität, ihr Versuch, verstehen zu wollen statt (was in ihrem Fall wohl verständlich wäre) zu verurteilen, werden der heute als Germanistin in Los Angeles lebenden Autorin aber auch angekreidet: So sei sie mit der Aussage, daß eine Kindheit in Theresienstadt kindgerechter gewesen sein konnte, als eine Kindheit im judenfeindlichen Wien, auf größtes Unverständnis gestoßen.

Doch gerade in der objektiven Betrachtungsweise liegt eine der Stärken von „weiter leben": Ruth Klüger geht immer entlang der Schmerzgrenze, überschreitet sie mit der Darstellung erlebten Leides aber nie, sodaß es dem Leser nie unerträglich, ja peinlich wird weiterzulesen. Die Autorin ergibt sich in ihrem Werk nicht der „Faszination des Grauens und des

Obszönen": „Ich wollte die .Hölle' relativieren, um sie verständlich zu machen", erklärte Ruth Klüger in Rauris bei einem Gespräch mit Adolf Muschg, Urs Widmer und Brita Stein wendtner, der Leiterin der Literaturtage. „Der Tod, die Nazis, die Lager... sind obszön; will man sie verarbeiten muß man Distanz schaffen. Sonst besteht die Gefahr, daß das Grauen .interessant' wird." Adolf Muschg über das Erstlingswerk der Preisträgerin:, .Ruth Klügers Buch ist gegen das Faszino-sum (der Nazi-Greuel) geschrieben."

Ruth Klüger hat nicht das Ergebnis einer bewältigten Vergangenheit vorgelegt. Vielmehr hat sie gezeigt, wie es ihr gelungen ist, mit dieser Vergangenheit weiterzuleben. Ihr Ringen um eine Antwort auf die unbeantwortba-re Frage „Warum das ajles", wird auch nach „weiter leben" nicht zu Ende sein. Ruth Klüger macht es sich selbst nicht leicht - und sie will es auch ihren Lesern nicht leicht machen: „Sagt nicht... ihr hättet ja schon die Fotografien mit den Leichenhaufen ausgestanden und euer Pensum an Mitschuld und Mitleid absolviert. Werdet streitsüchtig und sucht die Auseinandersetzung." Mit diesem Buch gibt Ruth Klüger sich selbst die Antwort auf ihre Frage: „Wie kann ich euch vom Aufatmen abhalten?"

Ob der Krieg ihn aus seinen Fängen lassen würde, war nicht sicher: Die Bemühungen des Außenministeriums, der Marktgemeinde

Rauris und des Wieser Verlages waren nötig, um dem Schriftsteller Dze-vad Karahasan die Reise nach Rauris zu ermöglichen: Dzevad Karahasan lebt in der bosnischen Hauptstadt Sarajewo. Er ist Chefredakteur der Zeitschrift für Literatur und Kritik ,Jzraz" (Deutsch: Ausdruck) und hat bisher Essays und Dramen publiziert. In Rauris stellte er seinen ersten Roman vor: „Der östliche Divan" ist ein „Sammelsurium von 1001 Geschichten". Dieser Roman wurde von Katrin Becker aus dem Serbokroatischen übersetzt, und ist „ein Zeichen von lebendiger Kulturvielfalt in einem Land, in dem zur Zeit Haß und Grausamkeit regieren". Karahasan, ein türkischer Moslem, setzt sich nicht mit den gegenwärtigen Greueln im ehemaligen Jugoslawien auseinander; vielmehr greift er zurück auf orientalische Erzähltraditionen und breitet „einen fliegenden literarischen Teppich" vor uns aus, „der den Leser in die islamische Lebensweise und Kultur, ob nach Medina, Bagdad oder nach Sarajewo schweben läßt".

„Kindheit" war eines der zentralen Themen bei den 23. Rauriser Literaturtagen. Doch während Ruth Klüger ihre Kindheit mitten im Grauen erlebte, saßen Urs Widmer und Adolf Muschg in der „auf die Idylle fixierten Schweiz", so Adolf Muschg, und lauschten gebannt dem Donner der fernen Kanonen oder bestaunten fasziniert die ersten Fallschirmspringer. Aber auch behütete und „sichere" Kindheiten gehen nicht spurlos vorbei: „Meine Eltern mußten sich ungeheuer anstrengen, mir jene Behütet-heit zu geben, die zu geben sie sich verpflichtet glaubten", erzählte Adolf Muschg im Gespräch zum Thema Kindheit: „Nur nicht das Leid vermehren, indem man es benennt", lautete die Devise in Muschgs Elternhaus. Daß aber auch das Totschweigen von Leid Leid vermehren kann, mußte bereits Wolfram von Eschenbachs „Parzival" erfahren: Muschg hat dieses „Menschheitsmärchen" seinem rechtzeitig erschienenen Roman „Der rote Ritter - Eine Geschichte von Parzival" zugrunde gelegt und, wie er selber sagt, „die Akzente neu gesetzt". Das Echo des Rauriser Publikums auf die Lesung aus dem fast 1.000 Seiten starken „Opus magnum" war begeistert.

„Nur eine Schiene in diesem Werk ist die Nacherzählung des wolframschen Parzival", erklärte Urs Widmer bei seiner Einleitung zu Muschgs Lesung: „Die zerfallende Ritterschaft zelebriert sich noch einmal selbst"; die Gralsritter, hoch und erhaben, aber auch bereits lächerlich in ihrer Erhabenheit, erkennen nicht, daß eine neue Welt (die der Städte, des Handels...) neben ihnen entsteht - so Widmer.

Zu liebevoll geht Muschg mit der Sprache um, zu bezaubernd (Der Rosengarten lag noch farblos...") und farbenreich erzählt der Dichter vom ritterlichen Kampf um die„Hohe Frau" und zu bewegend ist die Begegnung zwischen Herzeloyde und Gahmuret, als daß man nicht voller Spannung darauf wartete, wie es dem Kind ergehen wird, daß dieser Beziehung entstammen wird. Weiß man doch, daß ein Stück von Parzivals Schicksal in jedes Menschen Schicksal enthalten ist.

„... wir fahren am besten dabei, wenn wir handeln, als käme es auf uns an", sagt einer der Ritter zu Frau Herzeloyde. Und er wird wohl recht haben damit; auch wenn menschliches Handeln in jeder Entwicklungsphase andere Schwerpunkte haben wird...

Urs Widmers „Jeanmaire" wird von seinen Schweizer Lesern nicht besonders geliebt. Läßt er doch deutlich anklingen, daß der, aufgrund eines vagen Verdachtes wegen „Spionage zugunsten der Sowjetunion" zu 18 Jahren Zuchthaus verurteilte, Schweizer General Jean-Louis Jeanmaire nur ein Sündenbock, ein Opfer von Lügenpolitik und Machtanmaßung war. In Rauris kam eine szenische Version von Urs Widmers .Jeanmaire" zur Erstaufführung.

Den Abschluß der „23. Rauriser Literaturtage" bildete eine Lesung aus Anlaß des 100. Geburtstags von Georg Eberl. Der 1893 im Salzburger Pinz-gau geborene „Bauemknecht, Eisenbahnerund Schriftsteller" schriebdrei in der Tradition Peter Roseggers stehende Romane.

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