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So viele „Bekannte“ unter anderen Vorzeichen

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Hoch auf dem gelben Wagen, ...“ - ein blauäugiger Naturbursch gibt den Ton an, über 50 Stimmen aus verschiedenen Nationen setzen ein -die ausgelassene Stimmung des Abends steigert sich zu einer völkerverbindenden Heiterkeit. Schilderung eines Alpenvereins-, Jungschar- oder Turnvereinstreffens? Falsch geraten! Dieses fröhliche Singen stellte das spontane, zwanglose Rahmenprogramm eines Internationalen Hochschulferienkurses für Germanisten in Weimar (DDR) dar.

Kaum zwölf Fahrstunden von Graz - ein deutschsprachiges Volk, von dem uns politische Grenzen trennen und mit dem uns außer der Sprache auch noch eine über lange Strecken gemeinsame Geschichte verbindet. Es bedarf

wohl keines besonderen Bewußtseins- oder Reflexionsgrades, um die Eindrücke in diesem Land, die Begegnungen mit den Bewohnern dieses Staates, der uns wie sonst keiner nah und fern zugleich steht, besonders sensibel aufzunehmen.

Kommt man aus der Steiermark, so fällt es einem nicht schwer, sich in den geschichts-trächtigen thüringischen Kleinstädten, der Gartenstadt Erfurt, der Domstadt Naumburg, der Universitätsstadt Jena oder der Goethestadt Weimar, zurechtzufinden: Vorbildhaft restaurierte Altstädte, mit Fußgängerzonen und Straßencafes, herrlichen Parks und von einer Sehenswürdigkeit zur anderen pilgernden Touristen (dort sind es russische).

Dennoch: Zu romantischen Träumereien kommt man in diesen baulichen Bilderbuchstädten kaum. Die ständige Begegnung mit Sowjetsoldaten und Militärfahrzeugen läßt einen nicht vergessen, daß man sich in einem besetzten Land befindet. So ist es auch kaum verwunderlich, daß selbst an lauen Sommerabenden die Orte kurz nach Arbeitsschluß wie ausgestorben sind: mitLiebes-paaren, „Hippies“ oder Betrunkenen dürfte die DDR-Polizei wohl kaum Probleme haben.

Dafür erfreut man sich tagsüber an der Tatsache, daß das Straßenbild nicht von Schoßhunden, sondern von spielenden Kindern beherrscht wird. Etwas überrascht hat mich - obwohl mir als Österreicherin derartiges nicht ganz fremd ist - der Personenkult, der in Weimar um Goethe getrieben wird: Wie läßt sich die museale Verehrung eines wohl unzweifelhaft bourgeoisen Dichters mit der herrschenden Ideologie vereinen?

Aber nicht nur diese Art von Kultur war es, die mir Weimar so schnell vertraut sein ließ - ich hab so viele „Bekannte“ getroffen, Bekannte, die nur hinter einem anderen Vorzeichen standen:

Da war etwa der Leiter des Kurses, mitreißend in seiner Dynamik, ein ebenso charmanter, wie intelligenter Enddreißiger, Dozent an der Universität Jena und wohl kaum mehr zu bremsen in seiner Topkarriere. Er vertritt nicht nur sein Fach, sondern auch seine Partei rhetorisch gewandt und überzeugend.

Ein guter Genosse. Ob es ihm schwerfiele, die Diktion ein wenig zu verändern, um sich bei uns in eine der Parteien zu integrieren? Egal, welche Couleur, er stände zweifellos auch hier bald in der vordersten Reihe, und als Gast des Interhotels „Elephant“ dürfte ihm auch die Unterbringung im Grazer „Steirerhof keine Umstellungsschwierigkeiten bereiten.

Die oberste Sprosse in der Hierarchie des rund 30 Personen star-

ken Betreuertrupps für die etwa 100 Kursteilnehmer, war also von einem Mann besetzt, der mit seinem Auftreten und Gehabe jederzeit auch bei uns eine Spitzenposition einnehmen könnte.

Beängstigender als den schillernden „Führer“ empfand ich den „Mittelbau“, Hochschullehrer im Alter zwischen 40 und 60, die für uns ausgewählt wurden. Wie viele dieser treuen SED-Parteigänger hätten vor 1945 einen Orden bekommen?

Das Ehepaar vielleicht, mit seinen 5 Kindern und dem vorbildlichen Familienleben, das aufkommende Fragen mit Sport, gemeinsamem Singen und Spielen zu ersticken versucht, das keine Schwächen kennt und immer fröhlich ist? Emanzipationsprobleme gibt es - nach den Aus-

sagen des Mannes - bei ihnen keine: Seine Frau ist „Nachtigall und Lerche in einer Person“ - sie geht um Mitternacht schlafen und steht um fünf Uhr auf, um Beruf und Hausarbeit zu bewältigen.

Daß Frauen in der DDR auch in der Wissenschaft etwas zu sagen haben, sollte der Vortrag einer Professorin beweisen: Eine strenge, asexuelle Frau, mit sauber-ungeschminktem Gesicht, stahlblauen Augen und kurzem grauen Haar - die personifizierte Bestätigung sämtlicher Vorurteile gegenüber emanzipierten Frauen -, spricht über die Verbindung zwischen Herder und dem Marxismus. Ihr Referat erweckt in mir unliebsame Erinnerungen an meine Deutschlehrerin, die die expressionistischen Dichter in jüdische und nichtjüdische Autoren unterteilte ...

Als Anwärter für das „Eiserne Kreuz“ wäre auch noch der Sekretär der „Liga für Völkerfreundschaft“ zu. nennen: Er pries die Freundschaft mit der Sowjetunion mit so leidenschaftlichen Worten, daß er damit selbst seinen eigenen Leuten ein (verhaltenes) Schmunzeln entlockte.

„Kein Diktator kann befehlen, wo ein Wille, ihm zu gehorchen, nicht vorhanden ist“, schreibt der sozialkritische amerikanische Schriftsteller Traven - es fragt sich, wie es möglich ist, daß sich unter denselben Deutschen, die noch vor 34 Jahren „Heil Hitler“ schrien, ein Kommunismus breitmachen konnte, der selbst Gäste aus Ungarn, der Tschechoslowakei oder Polen erschaudern läßt.

Vielleicht sind dieser fanatischen Generation aber dennoch -wenn von ihr auch unbeabsichtigte - Verdienste zuzuschreiben: Ihren Kindern ist die Kost zu stark; sie akzeptieren nicht wortlos, sind unzufrieden, denken nach und sind offen für Auseinandersetzungen.

Nun wäre es aber völlig falsch, anzunehmen, daß diese kritischen jungen Leute - wenn die Grenzen offen wären - uns freudig in die Arme liefen. Sie suchen zwar nach Alternativen, aber der Westen stellt diese für sie genausowenig dar, wie der kritische Westbürger das Heil im Osten sieht. Westdeutsche Besucher, die im (manchmal geliehenen) Mercedes angereist kommen und Jeans, Strumpfhosen und Schokolade verteilen, ernten bei ihnen höchstens ein mitleidiges Lächeln.

Sie haben andere Probleme -oder ein anderes Problembewußtsein? Was uns das Geplänkel über Mode, Autos oder Essen, ist ihnen - zumindest den jungen Leuten, die ich in der DDR getroffen habe - ein Gespräch, eine Auseinandersetzung, oder ein Buch - ob sie sich mit dieser Einstellung in Graz zurechtfänden?

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