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So vif wie Hühner

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Kennen Sie folgenden Tierversuch? Hühner werden in einem Käfig gehalten. Zwischen ihren Nistplätzen und der Futterstelle wird eine Glasscheibe eingezogen. Sie läßt nur am Rand Platz zum Durchkommen. Nachdem die Hühner einige Male gegen die Scheibe gelaufen sind, lernen sie den Umweg einzuschlagen, um zum Futter zu gelangen. Einige Zeit später wird die Glasscheibe entfernt. Die Hendln aber laufen den Umweg weiter — unnützerweise. Sie waren es so gewohnt.

Daran erinnern die Diskussionen in der Energiefrage, etwa die neu entfachte Debatte Hainburg ja oder nein. Warum? Wir haben gelernt, mit großem Aufwand (riesige Kraftwerke mit geringer Ausbeute, weit verzweigte Leitungsnetze mit hohen Verlusten) unseren Energiebedarf zu decken. Steigt die Nachfrage, erklingt der Ruf nach neuen Großprojekten: Zwentendorf, Hainburg, Dürn-rohr waren und sind Lieblingskinder unserer Stromverantwortlichen.

Bis zum Jahr 2000 werde der Stromverbrauch jährlich um 2,7 Prozent steigert, verkündete kürzlich die E-Wirtschaft in Baden. Verbund-Generaldirektor Walter Fremuth kann sich unter diesen Umständen ohne Atomkraft eine gesicherte Stromversorgung bestenfalls bis 1990 vorstellen.

Zwar hat sich unter den Verantwortlichen im Gefolge von Tschernobyl die Ansicht durchgesetzt, daß sich Österreich nicht auf das Abenteuer Kernenergie einlassen wird: „Ich stehe nicht an zu sagen, daß ich heute die Problematik der friedlichen Nutzung der Kernenergie in einem anderen Licht sehe als vor der Katastrophe“ (Fred Sinowatz); „Zwentendorf ist tot“ (Norbert Steger). Dieser Meinungswechsel ist — obwohl erzwungen — an sich erfreulich.

Nachdenklich aber stimmt, daß jetzt wieder auf den Bau des Kraftwerks Hainburg gesetzt

wird (Franz Vranitzky: Für ihn sei Hainburg nicht „tot“) und der Bau von kalorischen Kraftwerken gefordert wird (Kurt Heindl, SPÖ-Energieexperte, meint, man müsse „zusätzliche kalorische Kraftwerke errichten“.).

Das scheinen zwar logische Folgerungen aus dem Verzicht auf Kernkraft zu sein. Woher sollte auch der zusätzlich benötigte Strom kommen?

Diese Frage stellt sich eigentlich nur aus der Perspektive der

Hendln, die im gewohnten Trott den Umweg laufen — unnötigerweise. Schlagen wir doch den direkten Weg ein: Unsere größte Energiereserve ist das, was wir unnötigerweise verbrauchen. Sparen wir doch — zunächst ohne Einbuße an Komfort.

Rund 30 Prozent der Energie geht bei der Umwandlung von Primärenergie (Kohle, Erdöl, Gas) in Endenergie (Benzin, Heizöl, Strom) verloren. Und dann erst bei der Nutzung: „Der Weg der Endenergie durch Vergaser, Backöfen, Tauchsieder, Warmwasserboiler und Glühbirnen mutet wie eine moderne Version der Geschichte von den zehn kleinen Negerlein an“, schreiben Frank Haenschke und Gerd Schuster in einer Untersuchung der Energieproblematik. Diese Verluste betragen 56 Prozent!

Insgesamt nutzen wir also nur 30 Prozent der eingesetzten Energie. Und da zerbrechen wir uns den Kopf über den Ausbau der Energienutzung, wo doch die naheliegende Lösung die bessere Nutzung wäre. Da muß zwar das Argument „höhere Effizienz“ fortwährend herhalten, wenn es darum geht, die Entlassung von Arbeitern zu begründen. Bei der Energie aber leisten wir uns unvorstellbare Verschwendung: 70

Prozent Schwund sind doch kein Pappenstiel! Wo bleiben die Befürworter neuer Technologien, die ihren Geist in den Abbau dieses unsinnigen Umwegs investieren?

Er habe die Situation „falsch eingeschätzt“, erklärt Wiens Handelskammerpräsident Karl Ditt-rich, er sei nun für das Abwracken von Zwentendorf. Dieses Umdenken ehrt ihn. Nur, wer in Sachen Atomenergie umgedacht hat, sollte sich nicht schämen, auch bezüglich konventioneller Energieerzeugung auf Neues zu setzen. Das Waldsterben und die Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen bedrohen unsere Existenz ebenso wie die zunehmende Radioaktivität.

Die Parole muß daher heißen: Bessere Energienutzung statt Ausbau der ineffizienten Kapazitäten.

Konzepte dafür gibt es reichlich: Statt riesiger Wärmekraftwerke Blockheizkraftwerke, die nicht nur Strom erzeugen, sondern auch Wärme liefern (Verdopplung der Energienutzung); keine E-Heizungen (Effizienz von Nachtspeichern: 25 Prozent); Stromversorgung durch viele kleine Kraftwerke (weniger störanfällig, wodurch weniger Reservekapazität benötigt wird; 1983 betrug sie 50 Prozent); progressive statt degressiver Tarife (würde die Großverbraucher zum Sparen anhalten)...

Uber all das gibt es eine ausführliche Literatur, erfolgreiche Versuche, umfassende Berechnungen. Die Energiepolitik der österreichischen Regierung ist diesbezüglich aber fast alles schuldig geblieben. Norbert Stegers Ankündigung einer „neuen Ära der Energiepolitik“ (1984) erwies sich als Sprechblase. Soll Tschernobyl nicht nur-eine Katastrophe gewesen sein, muß Energiepolitik mehr werden als Verzicht auf Zwentendorf. Vielleicht schafft's die „übernächste“ Regierung.

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