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So wie die Schweiz ..

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Die Diskussion, wer wann die Idee der Neutralität Österreichs ins Spiel gebracht hat, wird wohl nie enden. Sicher scheint, daß dies nicht erst 1955 der Fall war. Ein Beweis dafür mag ein 1945 von Heinrich Raab, einem jüngeren Bruder von Julius Raab, verfaßtes Memorandum sein, das die FURCHE hier auszugsweise veröffentlicht. Mit 35jähriger „ Verspätung". Denn Raabs Wunsch wäre es, so der Zeitgeschichtler Gerald Stourzh, 1945 gewesen, die Denkschrift in der FURCHE zu veröffentlichen. Nur wurde sie damals nicht an die Redaktion weiter geleitet.

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Die Diskussion, wer wann die Idee der Neutralität Österreichs ins Spiel gebracht hat, wird wohl nie enden. Sicher scheint, daß dies nicht erst 1955 der Fall war. Ein Beweis dafür mag ein 1945 von Heinrich Raab, einem jüngeren Bruder von Julius Raab, verfaßtes Memorandum sein, das die FURCHE hier auszugsweise veröffentlicht. Mit 35jähriger „ Verspätung". Denn Raabs Wunsch wäre es, so der Zeitgeschichtler Gerald Stourzh, 1945 gewesen, die Denkschrift in der FURCHE zu veröffentlichen. Nur wurde sie damals nicht an die Redaktion weiter geleitet.

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Österreich, unser liebes Vaterland, ist nach schweren Erschütterungen und Katastrophen wieder zu eigenem Leben erwacht...

Vor allem die Großmächte Rußland, Frankreich, England und die Vereinigten Staaten haben ein vitales Interesse daran, daß dieses Österreich wirklich neutral ist und nicht wieder von der wahlverwandten Sphäre Deutschlands angezogen wird.

So wie die Schweiz an einem neuralgischen Punkt Europas als Brücke zwischen drei alten Kulturnationen liegt, so ist aucV Österreich im Herzen Europas nur als ehrlicher Makler zwischen Ost und West denkbar.

Es liegt daher im Interesse aller Mächte und vor allem in dem der friedliebenden österreichischen Bevölkerung, die nichts will als ruhig arbeiten und allen Nachbarn Freund und Helfer sein, daß sie, ähnlich wie die Eidgenossenschaft, ihrer Aufgabe als eine Mittlerin der Völker und ihrer Kulturen nachgehen kann, ohne darin gestört zu werden.

Dies kann sie nur, wenn sie wie die Schweiz vor 130 Jahren als ein integraler, allen äußeren Einflüssen entzogener Staat erklärt wird. Österreich hat seit 1918 allen Großmacht- und Hegemonieansprüchen im Donauraum für immer entsagt. Wie ähnlich ist daher die heutige Lage Österreichs mit der damaligen der Schweiz...

Wie schön wäre es, wenn nach zwei furchtbaren Weltkriegen, die Europa in den Abgrund stürzten, nun dank der Großzügigkeit und dem Weitblick der maßgeblichen Staatsmänner und dem Friedenswillen der Völker sich ein dauernder Friede erringen ließe. Doch kann der Frieden nur gewonnen werden, wenn Österreich auf den Isolierschemel gestellt wird gleich der Schweiz.

Der Wille des österreichischen Volkes ist sicher vorhanden, nötigenfalls würde er durch eine Volksabstimmung zu beweisen sein. Vor allem wäre es die heute vorherrschende Großmacht im Donauraum, Sowjetrußland, der

Österreich vorzüglich seine Befreiung und sein Wiederentstehen verdankt, wenn es in einer Art Großmut hier einen Verzicht ausspräche und so wieder wie vor 130 Jahren eine segensreiche Friedensära der Weltgeschichte einleiten und kreieren würde.

Es würde sich dies segensreich für alle Völker Europas auswirken und dauernde freundschaftliche Beziehungen ermöglichen, besonders da Österreich doch stets auf die Garantie und den Schutz Rußlands angewiesen sein wird.

Der Österreicher wird sich gerne dem Studium der russischen Sprache, Literatur und Kultur hingeben, um die reichbegabte Seele des größten slawischen Volkes noch mehr verstehen und lieben zu lernen. Auch eine stärkere wirtschaftliche Verflechtung bei gegenseitigem Nehmen und Geben wäre die Folge.

Der Österreicher aber muß es lernen, um gegen jede deutschsprachige Irri-denta gefeit zu sein, in sich selbst sicher zu ruhen und auf die eigene Art selig zu werden. Hier sei ihm der fest in seinem eigenen Wesen ruhende Schweizer ein Vorbild.

Jedes Schießen über die Grenze zum gleichsprachigen deutschen Volke wird unterbleiben, wenn der Österreicher ein gesundes, eigenes, kulturelles und wirtschaftliches Leben entwickeln kann. Wie ungebrochen hat die an Bevölkerung und Gebiet kleinere Schweiz dem

Haderschen Sturme und allen Erschütterungen der zwei Weltkriege standgehalten!

Sie glich einer wetterfesten Gebirgs-föhre, die zäh im eigenen Boden gründet. Immer wieder fand sie in allen Fragen eine echt helvetische Lösung. Man vertraut „auf Gott und die gelenkte eigene Kraft" (Schiller). Auf ihrer integralen Neutralität ruhte sie wie auf ihrem Gotthardgranit.

Diese müßten auch die österreichischen Staatsmänner als ihr wichtigstes außenpolitisches Ziel zu erreichen suchen. Das müßte auch das Mißtrauen unter den Großmächten verringern. Die Schweiz aber und Österreich könnten sich dadurch noch vielmehr als bisher näherrücken.

Ost- und Westalpenland könnten gleichsam wie zwei Kammern eines europäischen Herzschildes werden, in dem Frieden und Freiheit ihre Heimstätte hätten. Und wie es der Schweiz gelungen ist, einen Ausgleich zwischen romanischem und germanischem Wesen herbeizuführen, so will auch Österreich eine dauernde Brücke zu allen Völkern des Donauraumes schlagen und darüber hinaus nach Osten und Westen.

Es wird so seinen bescheidenen Teil beitragen können, daß der ewige Friede allmählich Wirklichkeit werde.

Zitiert aus: NEUE FAKTEN ZU STAATSVERTRAG UND NEUTRALITÄT. Hrsg. Alois Mock, Ludwig Steiner, Andreas Khol. 344S, öS

85,-

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