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Sofia hat eine neue Oberschicht

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Mehr als alle Versprechungen, die der neue Parteichef Petar Mladenov, nun auch Staatsoberhaupt Bulgariens, gemacht haben mag, überzeugt seine Haltung gegenüber der Intelligenz des Landes. Drei Tage nach dem Sturz TodorSchivkovs wurde jener große Kulturkongreß abgesagt, mit dem der Langzeit-Diktator einen von langer Hand vorbereiteten Versuch machen wollte, die Künstler und Intellektuellen fester an die Kandare zu nehmen. Einen Tag später bereits hatte Petar Mladenov etwa fünfzig Intellektuelle, darunter auch aus der Partei verstoßene Oppositionelle, zu sich in die Parteizentrale gebeten und ließ sich viereinhalb Stunden ihre Sorgen und Anklagen vortragen.

Das Leben von Gelehrten, Künstlern und Schriftstellern in totalitären Staaten verläuft zwischen Privilegien und Drangsalierungen, Zuckerbrot und Peitsche. Beides ist ein Beweis dafür, daß die Machthaber sie und ihren Einfluß ernst nehmen. Und daß sie im Volk hohes Ansehen genießen.Das gilt besonders für ein relativ „junges“, überwiegend bäuerlich geprägtes Volk wie die Bulgaren, wo die Intelligenzschicht zwar noch schmal sein mag, aber auch wenig Einbußen erlitten hat durch Emigrationswellen, wie sie zum Beispiel Ungarn, Tue CSSR und die DDR mehrmals heimsuchten. Es liegt - wie überall - auch am Charakter des einzelnen, ob er mehr das Zuckerbrot genießt oder die Peitsche riskiert.

Bei flüchtiger Durchsicht der Lebensläufe wird man wenige Persönlichkeiten von Rang finden, die sich in den letzten 45 Jahren von jeder Berührung mit der herrschenden Schicht fernhalten konnten. Viele waren auch in jungen Jahren ehrlich begeistert von den Aussichten auf sozialen und humanitären Fortschritt. „In einem totalitären 'Regime ist es nicht verwunderlich, wenn alle geschwiegen haben“, sagte der Schriftsteller Dimiter Metodiev.

Die Intellektuellen waren in dieser „fortschrittlichen“ Gesellschaft ständig Repressionen ausgesetzt. Die Dichterin Blaga Dimitrova hat nach ihrem Besuch bei Mladenov in der Parteizeitung eine Stellungnahme dazu abgegeben. Sie erinnerte an Bespitzelung, Verhaftungen, Unterbrechungen der Telefonverbindung, Verfolgungen und Drohungen. Und fuhr fort:

„Endlich beginnt die lang erwartete Veränderung. Der neue Gene-, ralsekretär hat eine neue Haltung gezeigt gegenüber jenen, die bis gestern als Vaterlandsverräter beschimpft wurden... Dieses Treffen ist zweifellos ein Beweis für die wesentlichen Veränderungen im geistigen Klima unseres Landes... Jetzt muß jeder Verantwortung übernehmen.“

Schon bisher hatten sich die Künstler verantwortlich gefühlt. Es ist bezeichnend, daß ein Maler zum Wortführer der Bewegung „Öko-Glasnost“ wurde. Svetlin Russev ist allerdings nicht irgendein Maler. Er war Vorsitzender des Verbandes bildender Künstler, genoß also die Achtung seiner Kollegen, die ihn gewählt haben. Ebenso hoch wurde er offenbar von Peter Ludwig eingeschätzt, der nach Wien und Budapest auch Sofia mit einem Museum aus seinen Sammlungen „beglücken“ wollte. Als Direktor forderte er Russev. Das war allerdings nicht möglich, als dieser wegen seiner Umweltaktivitäten aller Amter verlustig gegangen war.

Gerade in den oberen Parteischichten hat sich ein neuer Feudalismus entwickelt, der dem alten sehr ähnlich sieht. Man muß nur daran erinnern, daß Schivkovs Tochter Ludmilla bis zu ihrem unerwarteten Tod die Kultur des Landes lenkte (und Anerkennung in breiten Schichten gewann), daß aber auch Schivkovs Sohn vom Vater in eine hohe Position gedrückt wurde, ohne Fähigkeiten oder Ambitionen zu haben. Und nun als einer der ersten nach ihm das Zentralkomitee verlassen mußte. „Es kann keinen Sozialismus geben, wenn es so viele Privilegien gibt“, sagte der Historiker Nikolai'Gent-schev.

Die Zensur gegen Dramatiker wurde mitunter so ausgeübt, daß man die Stücke zwar nicht verbot, aber im Nationaltheater spielen ließ („Da wurden dann bei der Inszenierung die Zähne gezogen“). Außerdem war das Publikum hier anders als in den wagemutigeren Theatern. Filme wurden oft nicht zur Aufführung freigegeben, selbst wenn man bei internationalen Festivals damit Preise geholt hatte. Der bekannte Filmregisseur und wortgewaltige Oppositionelle Angel Wagenstein schätzt, daß dreißig bis vierzig Filme unter Verschluß sind: „Die müssen jetzt schleunigst ins Fernsehen“.

Zensur kann man auch mit der Papierzuteilung üben. „Es gibt genug Papier“, sagt Blaga Dimitrova, „man druckt nur zuviel Unnützes“. Wagenstein schätzte das Abendgespräch beim Parteichef hoch ein: „Nützlicher als drei Kongresse. Zum ersten Mal seit 1944 gab es Frieden zwischen dem Parteiapparat und den Intellektuellen.“

Blaga Dimitrova, zwischen Gesprächen, Interviews, dem Verfassen von Resolutionen und Protesten, seufzt mit leiser Ironie: „Was waren das noch für Zeiten, als wir in Ruhe schreiben konnten und niemand rief an!“ Aber das Volk will jetzt die Stimme seiner geistigen Oberschicht hören. Und sei es aus dem krächzenden Radio beim Würstelstand, aus dem sonst nur kreischende Musik kommt, das aber heute eine schweigende Menschentraube um sich versammelt.

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