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SOFTWARE AUS DEM „BÜRO DIDEROT

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„Eigentlich ist die Innsbrucker Szene erstaunlich dicht!" Das sagt einer, der es wissen muß: Ricci Bock, 26jähri-ger Punk und zusammen mit einem Kollegen das Herz von „büro dide-rot". In den kleinen, gut durchorganisierten Räumen in der Innsbrucker Innenstadt laufen die Fäden jener Initiativen zusammen, die von Außenstehenden als alternativ bezeichnet werden, die sich selbst jedoch eher als „Alternative zur Alternative" einstufen.

Die Alternative in Innsbruck, das sind die beiden großen „Treibhaus" und „Utopia", die sich von (Kultur-) Szene-Treffs im Laufe der Jahre zu mehr („Treibhaus") oder weniger („Utopia") gut funktionierenden Veranstaltungszentren gewandelt haben. Die Alternative zur Alternative kämpft - um es auf einen einfachen Nenner zu bringen, den es in Wahrheit nicht gibt - im „Haus am Häven", einem unbeheizbaren Barackenlager am westlichen Ende der Stadt (immer noch) ums Überleben. Der „Häven" und „büro diderot" bilden zusammen mit „Cunst und Co" (einem Grafik- und Siebdruckstudio, zuständig für Plakate, „Haven"-T-Shirts und ähnliches) eine organische Einheit.

Gegründet wurde „büro diderot" (benannt nach dem französischen Philosophen Denis Diderot) im Jahr 1987. Für 1992 erachteten die Stadt Innsbruck, das Land Tirol und der Bund das Büro als mit insgesamt 65.000 Schilling förderungswürdig. Bock arbeitet hauptberuflich aber unbezahlt im Büro, das er gern mit einer Insel vergleicht: „,büro diderot' ist überschaubar, kein gesellschaftliches Ereignis, aber ein Zentrum für Kultur und Kommunikation. Wir haben sozusagen die Software, denn in der Kultur geht es ja hauptsächlich um Ideen und Konzepte."

Diese Ideen und Konzepte werden beispielsweise von rund achtzehn einheimischen Bands an den Verein „büro diderot" herangetragen. „H. P. Zinker" etwa, die mittlerweile international renommierteste österreichische Formation, ist eines der ersten Flaschenkinder, die im Diderot'sehen Brutkasten großgezogen wurden.

„Geld ist natürlich ein Problem", räumt Bock ein. „Aber es geht auch um etwas anderes: es geht um Räumlichkeiten, in denen das, was da ist, wachsen kann, einen regionalen Bezug bekommt."

Es geht darum, schriftlich (durch Pressetexte, Plakate), visuell (etwa

durch die Produktion von

Videos) und akustisch (durch die Produktion und Vermittlung von Cassetten, Platten und Demo-Bändern) Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Und es geht darum, jungen Menschen Lebensraum zu geben, der gleichzeitig unabdingbar auch Raum für künstlerische Entfaltung ist.

Und Kulturarbeit heißt im „Häven" auch Sozialarbeit. „Natürlich gibt es dort die Drogensüchtigen und Alkoholkranken, Leute, die nicht arbeiten wollen oder können, Leute, die aggressiv reagieren", sagt Bock unumwunden. „Aber wir .züchten' sie nicht - das ist eben die soziale Realität,

mit der man umgehen muß."

Damit umzugehen bedeutet für die stark fluktuierende „Haven"-Beset-zung, „soziale Prinzipien zu verwirklichen, umfeldorientiert zu arbeiten". Und obwohl der „Häven" als Verein organisiert ist, gilt das Prinzip der „natürlichen Mitgliedschaft". Bock:

„Auch einem Freundeskreis kann man nicht einfach von heute auf morgen beitreten." Natürliche Mitglieder in der „Haven"-Gemeinschaft sind vorwiegend Musiker, die dort beispielsweise rund um die Uhr Proberäumlichkeiten finden, und bildende Künstler, die in den rund zwanzig Ateliers

arbeiten und leben können. Daneben werden auch immer wieder Konzerte veranstaltet.

Dieser Tage hätte der „Häven" nach einem Räumungsvergleich mit dem Grundbesitzer, der Innwest Erschließungsges. m. b. H., geräumt und in Folge geschleift werden sollen - ein vorläufiger Aufschub um ein halbes Jahr gewährt denen, die „aus Prinzip" seit Jahren nicht ins „Treibhaus" gehen, eine Gnadenfrist. Auf dem rund 3.000 Quadratmeter großen Gelände soll über kurz oder lang ein Park-and-ride-Parkplatz für Einpend-ler entstehen. Der „Häven" kämpft unter dem Motto

„Side by side with park-and-ride" und mit Hilfe von mehr als 4.000 Solidaritätserklärungen darum, wenigstens neben dem Parkplatz existieren zu können.

„Es ist", meint Bock mit einem kleinen Seitenhieb auf die älteren Institutionen „Treibhaus" und „Utopia", „so, daß die Eltern ein tolles Wohnzimmer mit allem drum und dran haben, und ihre Kinder doch nicht bei ihnen wohnen wollen.".

Wie lange es den „Häven" letztlich noch am Innrain geben wird, weiß niemand. Den verantwortlichen Kulturpolitikern der Stadt Innsbruck wurde jedenfalls bereits ein Konzept für einen sogenannten „alternativen Stadtsaal" vorgelegt, der Veranstaltungen jeglicher Art infrastrukturelle Möglichkeiten bieten sollte. In einem derartigen „Mietkulturzentrum" könnten von „Effi Biest", einer Gruppe von freischaffenden Künstlerinnen, über den „Cinematograph", Innsbrucks einzigem Programmkino, bis hin zu diversen Sozialinitiativen, die immer wieder mit kulturellen Veranstaltungen auf ihre Anliegen aufmerksam machen, alle unterkommen.

Eine noch ganz junge Institution, die allerdings diverse Funktionen eines alternativen Stadtsaals übernehmen könnte, ist das erst vor wenigen Monaten ins Leben gerufene „Kulturgast Haus Bierstindl", eine vom Land Tirol finanzierte Einrichtung, die von einem kleinen Trägerverein geführt, jedoch von zahlreichen sehr unterschiedlichen Initiativen - vom Tiroler Schützenbund bis zur „Initiative Minderheitenjahr" - bewohnt werden soll.

Ein möglicher Bewohner des „Kulturgast Hauses" ist beispielsweise auch die Initiative „37Komma8". Die Vereinigung von noch sehr jungen Menschen hat sich vorgenommen, und damit bereits beachtliche Erfolge erzielt, Literatur, bildende Kunst und Musik vernetzt zu präsentieren. Die einwöchige „Litera-Tour" im Herbst 1991 erntete Lob von allen Seiten und bewog die Innsbrucker Stadtpolitiker, „37Komma8" mit der Organisation der Literaturschiene des diesjährigen „Innsbrucker Sommers" zu betrauen.

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