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Sohn läßt sich von Mutter scheiden

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Kürzlich erregte ein Gerichtsurteil in den USA Aufsehen. Ein 12jähriger Bub wurde von seiner Mutter gerichtlich „geschieden" und selbstgewählten Pflegeeltern zugesprochen. Der Sache nach nichts Ungewöhnliches. Auch bei uns wird das Erziehungsrecht bei grober Vernachlässigung den Eltern entzogen. Den Antrag aber stellt die Fürsorge. Dort jedoch war der minderjährige Sohn selbst der Kläger und hat gegen seine Mutter Recht bekommen. Ein Kind führt Klage gegen seine Mutter, nicht aus Trotz wegen unerfüllter Kinderwünsche, sondern wegen verweigerter Obhut, Sorge, bergender Liebe. Dieser Justizfall wird zum Symptom.

Kindern wird heute materiell viel geboten: teures Spielzeug, modische Kleider, reichlich Taschengeld. Geht es dabei nicht auch ums Prestige? Oder gar um Ersatz für andere „Gaben", auf die das Kind ein Anrecht hätte, wie Zeit, Interesse, Zuneigung?

Das Wort vom Wunschkind wurde modern. Hat es wirklich mehr Liebe zu erwarten, oder muß es eher das Wunschdenken der Mutter erfüllen?

Frauenministerin Dohnal fordert ein „flächendeckendes Netz ganztägiger Kinderbetreuungseinrichtungen". Die Katholische Frauenbewegung stimmt zu und meint, das sei wichtig für das Kind, „für dessen Sozialisation bereits im Vorschulalter außerfamiliäre Beziehungen und Erfah-

rungen unumgänglich" seien.

Sind die Beziehungen in der Familie nicht noch wichtiger? Oder hält man sie für selbstverständlich? Das sind sie leider nicht. Die Versuchung wächst, das Kind „ganztägig" vom Kindergartenalter bis zum Schulabschluß „abzugeben", um selber mehr vom Leben zu haben.

Der Streit um das Namensrecht der Ehepartner ist entflammt. Mit der Aufgabe des Namens könnte man seine Identität verlieren, fürchtet man. Wessen Namen „darf aber nun das Kind trägen?

In manchen Schulklassen sind bis zu 50 Prozent der Kinder aus geschiedenen Ehen. Jugendliche einer Firmgruppe sagten auf die Frage, was ihnen am meisten Angst macht: „Die Eltern könnten auseinandergehen." Ehescheidung tut immer weh. Am härtesten aber trifft sie das Kind.

Was einem Kind in jungen Jahren an Liebe vorenthalten wird, ist kaum mehr gut zu machen. Verheerende Folgen zeigen es: Verhaltensstörung, Aggressionen aller Art, Sprachlosigkeit zwischen den Generationen, Unfähigkeit, später selbst zu lieben. Und religiös gesehen: Wer nie Vertrauen erfahren hat und nicht geliebt wurde, kann sich auch Gott kaum anvertrauen und sich nicht von ihm lieben lassen.

Der 12jährige Amerikaner hat nicht nur seine Mutter angeklagt, sondern eine Gesellschaft, die Kinder nicht mehr ernst nimmt.

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