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Solidarität

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Wenn das Fasten keine bloße Selbstquälerei sein soll, sondern seinen Wert daher bezieht, wodurch es motiviert ist, dann ist ein Fasten um anderer willen sicher von besonders schätzenswerter Qualität. Denn gerade Essen und Trinken erinnern uns daran, daß eben nicht alle Menschen hinreichend zu essen und zu trinken haben.

Man bleibt an der Oberfläche, wenn man nur fragt: Wie viele werden nicht verhungern, wenn ich einmal faste? Tiefer führt schon die Frage:Mit wie gutem Gewissen kann ich essen, während andere verhungern?

Man wird vielleicht einwenden, daß es doch eher ein Symbol wäre, wenn etwa am Familienfasttag christliche Familien bescheidener essen, um das Ersparte notleidenden Menschen zugute kommen zu lassen. Und man mag dem Einwand zustimmen und sagen: Ja, es ist ein Symbol — ein redliches und gutgemeintes Symbol, wenn es nicht bloß einmal im Jahr als Alibi für ein unruhiges Gewissen geschieht.

Doch es kann ein wirksames Symbol werden — Theologen würden das wohl sakramental nennen —, wenn es Ausdruck dafür ist, daß wir auch so leben wollen: auf Gerechtigkeit bedacht, umweltbewußt, sparsam und zum Teilen bereit, wenn es um die Güter der Erde geht, unseren gemeinsamen Besitz.

Wenn man das Fasten als etwas bedenkt, das uns wesentlich werden läßt, indem wir Überflüssiges weglassen, das uns bewußter umgehen läßt mit den Gütern der Erde, das uns solidarisch leben läßt, indem wir lernen zu teilen, dann bemerken wir, daß Fasten mehr meint, als irgendeine überlebte folklori- stische Überlieferung, deren Zweck und Sinn in Vergessenheit geraten ist. In Vergessenheit geraten ist tatsächlich das Bewußtsein um die Kultur eines sinnvollen Verzichts.

Ob man am Freitag eine Wurstsemmel essen darf — worüber sich Moraltheologen früherer Zeit sehr ereifern konnten —, ist für unser Christsein wohl belanglos. Doch ob wir gelernt haben, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden, ob wir mit der Erde und ihren Gütern bewußt umgehen und ob wir teilen können — das ist für unser Christsein entscheidend.

Fasten ist kein schwächlicher Rückzug von der Welt, sondern genau das Gegenteil: Es ist aktives und bewußtes Umgehen mit der Welt, ist politisches Handeln und Eingreifen in einen Mechanismus, der den Menschen gefährdet. Wer fastet, liebt die Welt und das Leben, ist kein Vielfraß, sondern ein sparsamer Genießer.

18. Teil einer Serie über Zeichen und Symbole im Jahreskreis der Kirche.

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