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SOLIDARITÄT ALS ARBEITSPRINZIP

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FURCHE: Was ist das Institut für Sozialdienste und welche Aufgaben nimmt es in Vorarlberg wahr?

MANFRED DÖRLER: Das Institut für Sozialdienste ist ein privater Verein, der von derzeit 45 Mitgliedern getragen wird. Die Mitglieder setzen sich aus Personen aller Bevöl-kerungs- und Berufsschichten zusammen. Der Verein, und damit das Institut, ist parteipolitisch unabhängig und auch konfessionell nicht gebunden. Wir wendep uns an Menschen, die in ihren Lebensfragen und psychosozialen Konflikten professionelle Hilfe brauchen oder suchen. Im Laufe der Zeit hat das Institut eine Reihe von Beratungs- und Betreuungsaufgaben übernommen, die dezentral im ganzen Bundesland Vorarlberg angeboten werden. Es sind dies: Beratungsstellen für Erziehungsfragen, Ehe-, Familien- und Erwachsenenberatung, berufliche und soziale Rehabilitation, sozialpädagogische Wohngemeinschaften, Schuldenberatung, soziale Wohnformen. Familiendienste und Sachwalterschaft.

FURCHE: Gibt es in den anderen Bundesländern vergleichbare Einrichtungen?

DÖRLER: Nein. Das Institut für Sozialdienste ist eine Einrichtung, die es in dieser Form und in diesem Angebot nur in Vorarlberg gibt. In allen übrigen österreichischen Bundesländern werden die erbrachten Dienstleistungen entweder vom Staat, also von Bund, Land oder Magistraten beziehungsweise Bezirkshauptmannschaften erbracht. Das in der Vorarlberger Landesverfassung ausdrücklich angeführte Subsidiaritäts-prinzip wurde hier in der Erbringung von sozialen Dienstleistungen als Grundlage für ein Angebot außerhalb des Staates erfüllt.

FURCHE: Wie erfolgt die Zusammenarbeit zwischen Ihrem Institut und den Auftraggebern ?

DÖRLER: Die angebotenen Dienstleistungen erfordern natürlich eine enge Zusammenarbeit mit den entsprechenden Kostenträgern wie Gemeinden, Landesregierung oder auch dem Bund. Die aus dem Beratungs- und Betreuungsangebot entstehenden Kosten werden auch - im Gegensatz zu anderen vergleichbaren österreichischen Einrichtungen - mit den einzelnen Kostenträgem Land und Gemeinden verrechnet. Es entspricht dies wiederum der Subsidiarität und dem Eigenverständnis des Institutes. Dazu ist allerdings eine genaue und ausführliche Kostenrechnung notwendig, wie überhaupt die Gebarung und die Führung nach rein privatwirtschaftlichen Grundsätzen - allerdings gemeinnützig - erfolgt.

FURCHE: Einer Ihrer Schwerpunkte ist die individuelle Beratungs tätigkeit. Können Sie anhand eines konkreten Beispieles erläutern, wie ein Klient zu einer Beratung kommt und mit welchen finanziellen Systemen bei Ihnen gearbeitet wird?

DÖRLER: Wie zuvor erwähnt, kalkulieren wir die erbrachten Dienstleistungen je Arbeitsstunde für die verschiedenen Berufe wie Sozialarbeiter, Psychologen, Psychotherapeuten, Juristen, Arzte. Die Klienten haben die Möglichkeit, sich direkt an das Institut mit dem Wunsch nach Beratung und Betreuung zu wenden. Die Kosten dafür übernehmen die einzelnen Kostenträger wie Land und Gemeinden beziehungsweise in verschiedenen Bereichen auch der Bund, wobei die Verrechnung mit den Kostenträgem anonym, das heißt ohne Nennung der einzelnen Klientennamen, erfolgt. In Bereichen der längerfristigen Beratungen/Psychotherapien ist auch eine Eigenbeteiligung der Klienten in Relation zu deren finanziellen Möglichkeiten vorgesehen.

FURCHE: Immer wieder hört man von sozial engagierten Menschen, daß das Institut in Vorarlberg eine sehr fortschrittliche Einrichtung sei. Wo liegt nach Ihrer Einschätzung das „Geheimnis" dieses Images?

DÖRLER: Bereits in unserem Unternehmens-Leitbild haben wir folgende Grundsätze festgelegt: eigenständiges und mitverantwortliches Arbeiten, Entwicklungsbereitschaft von Mitarbeitern, Führungskräften und Organisation, Kooperations- und Konfliktbereitschaft, fachlicher Austausch und interdisziplinäre Akzeptanz, Solidarität als Arbeitsprinzip, Wertschätzung als Führungsprinzip, fortbildungsfreundliches Klima, verantwortlicher und effizienter Umgang mit Zeit und Geld, selbstkritische Reflexion unserer Arbeit

Unsere Mitarbeiter sind Fachkräfte in interdisziplinären Teams, deren Qualifikation sich auf fachspezifische Grundausbildung, Aus- und Weiterbildung, Supervision und Teamarbeit stützt. Es sind dies sicher die Hintergründe für die von Ihnen angeführte Fortschrittlichkeit unseres Unternehmens.

FURCHE: Das Institut für Sozialdienste hat also ein umfangreiches Betätigungsfeld, begonnen von Beratungsdiensten, beruflicher und sozialer Rehabilitation, Jugendberatung, Wohngemeinschaften, Sachwalterschaft, Schuldenberatung et cetera. Wie erfolgt bei Ihnen die Koordination unter diesen völlig unterschiedlichen Fachgebieten?

DÖRLER: Die einzelnen von Ihnen angeführten Angebotsbereiche sind innerhalb der Struktur in sieben selbständige Fachgruppen mit klaren organisatorischen und auch führungsmäßigen Kompetenzverteilungen gegliedert. Wir bekennen uns zu einer durchschaubaren Leistungsstruktur, die kreatives Arbeiten, Veränderung und Innovation ermöglicht. Die Ge-samtleitungsaufgabe wird durch einen derzeit aus drei Personen bestehenden Vorstand gewährleistet. Hier findet auch die Gesamtkoordination unter den einzelnen Fachgruppen statt. Gemeinsam für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den einzelnen Fachbereichen ist die Philosophie unseres Unternehmens und die Zielsetzung, die in dem bereits von mir schon erwähnten Leitbild zusammengefaßt ist.

FURCHE: Wieviele Mitarbeiter beschäftigen Sie und wie groß ist das Jahresbudget?

DÖRLER: Das Institut für Sozialdienste beschäftigt derzeit knapp 150 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, wobei gleich darauf hinzuweisen ist, daß mehr als zwei Drittel davon teilzeitbeschäftigt sind. Wir beschäftigen zu einem Großteil Frauen, die die Möglichkeit der Teilzeitbeschäftigung sehr schätzen.

Auf der anderen Seite können wir damit den Kundenwünschen nach Angeboten am Abend oder am Wochenende besser nachkommen. Über die hauptberuflichen Mitarbeiter hinaus arbeiten wir mit rund 30 selbständigen Fachleuten wie Psychotherapeuten, Psychologen, Ärzten oder Juristen zusammen. In verschiedenen Bereicheri setzen wir auch etwa 70 ehren- oder nebenberufliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein. Der Budgetvoranschlag für 1992 sieht Einund Ausgaben in Höhe von rund 84 Millionen Schilling vor.

FURCHE: Wenn Sie einen Wunsch als Geschäftsführer einer führenden Sozialeinrichtung im Bundesland Vorarlberg äußern könnten, wie würde dieser lauten ?

DÖRLER: Dies ist eine sehr schwierige Frage. Unsere gesellschaftliche Entwicklung, Enfsolida-risierungstendenzen, die soziale Umwelt, immer noch mehr Konsumdruck, das Habendenken. um nur einige zu nennen, bringen es mit sich, daß wir in verschiedenen Angebotsbereichen immer mehr in Anspruch genommen werden. Am auffallendsten ist dies im Bereich der seit nunmehr drei Jahren von uns angebotenen Schuldenberatung ersichtlich. Dabei müßte es - idealistisch gedacht - Ziel und Aufgabe einer Einrichtung wie dem Institut für Sozialdienste sein, sich durch seine Arbeit überflüssig zu machen. Das allerdings ist derzeit wirklich nur ein frommer Wunsch.

Mein größtes Anliegen ist es, wie wir unser gesellschaftliches Verhalten, unsere Lebensweise ändern könnten oder müßten, um psychische Probleme, Krisen und Notfälle, wie wir sie tagtäglich behandeln, zu verringern oder zurückzudrängen. Darüber hinaus macht uns eine zunehmende Wohnraumverknappung im Bereich sozial schwacher Schichten zu schaffen, die sich in unserer Arbeit problematisch niederschlägt.

Dabei denke ich an alleinerziehende Frauen mit Kindern, große Familien mit niedrigem Einkommen, aber auch zunehmend an die große Anzahl von Gastarbeiterfamilien, die wir hier im Land haben. Wenn es uns gelingt, die Neubauleistung von über 2.000 Wohnungen je Jahr auch diesen Gruppierungen zugänglich zu machen, so würde dies die Problematik mancher Personen in unserem Lande verringern.

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