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„Solidarnosc" als Idee lebt weiter

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FpRCHE: Herr Professor Bartoszewski, Sie sind kürzlich in Polen aus der Lagerhaft entlassen worden und halten sich nach einem Österreich-Besuch vorübergehend in Deutschland auf. Welche Aufgaben können Sie nach Ihrer Rückkehr in Polen weiterführen?

WLADYSLAW BARTOSZE WSKI: Ich bleibe - wie vorher — Gastprofessor für Zeitgeschichte Polens und Mitteleuropas in der Katholischen Universität in Lublin. Als Schriftsteller bin ich auch Redaktionsmitglied des katholischen Wochenblattes „Ty-godnik Powszechne" in Krakau.

FURCHE: Kann man mit einer baldigen Freilassung der Internierten rechnen?

BARTOSZEWSKI: Zwar sind schon viele Menschen wieder entlassen worden, aber mehrere Hunderte blieben bis heute in Haft. Unter ihnen sind sehr bekannte und verdiente Katholiken. Einer von ihnen ist mein Freund Tadeusz Mazowiecki, langjähriger Chefredakteur der katholischen Monatsschrift „Wiecz" in Warschau und Chefredakteur der Gewerkschaftszeitung „Solidar-nosc". Mazowiecki ist persönlich eng mit dem Papst verbunden. In Haft bleiben außerdem weiter namhafte Schriftsteller, Ubersetzer und Professoren. Die Internierungen sind also längst nicht Vergangenheit, sondern leider noch Wirklichkeit im jetzigen Leben. Ein zahlenmäßig hoher Anteil der Verhafteten und Verurteilten sind Frauen.

FURCHE: Welche Rolle kann die Kirche in dieser Lage spielen?

BARTOSZEWSKI: Die breite Masse der Katholiken in Polen fühlt sich ebenso wie die kirchliche Hierarchie sehr bedrückt. Die Kirche hat ihre Sorge in wiederholten öffentlichen Äußerungen, in Predigten, in Briefen und in Erklärungen der Bischofskonferenz unverhüllt formuliert. Sie hat auch nicht mit der Uberzeugung hinter den Berg gehalten, daß die Auflösung der Gewerkschaft ein Schritt war, der nicht ohne psychologische Konsequenzen bleiben kann.

FURCHE: Ist die Gewerkschaft ,JSolidarität" nach ihrem offiziellen Verbot am Ende?

BARTOSZEWSKI: Dieoffiziel-le Aktivität einer Organisation kann in jedem Staat nur bei Anerkennung des Staates laufen. Eine illegale Arbeit wiederum kann nicht Millionen Menschen umfassen. Außerdem ist es immer fraglich, ob und inwieweit sich strafbare Handlungen lohnen. Ich betrachte die Frage ebenso vom rein menschlichen Standpunkt wie vom nüchternen Verstand her.Das Ergebnis ist für mich, Zurückhaltung zu üben.

Andererseits bleibt doch — was schon der Papst eindeutig und klar gesagt hat und ebenso auch die polnischen Bischöfe—die Idee. Auch nach Auflösung der „SoHdarnosc" bleibt die geistige Richtung, bleibt unauslöschbar die Erfahrung der Menschen, die eineinhalb Jahre lang anders gelebt und gehofft haben. Und was weiter bleibt, ist die Verbundenheit der Arbeiterschaft mit Intellektuellen, mit Akademikern, mit Angestellten. Verschiedene soziale Schichten haben hier zusammengefunden, mit dem gemeinsamen Ziel, das Leben freier und würdiger zu gestalten.

FURCHE: Muß die freimütige Hilfestellung der katholischen Kirche für die verbotene Gewerkschaft nicht zum offenen Bruch mit dem Staat führen — mit der Konsequenz, daß auf kirchlicher Ebene, bis hin zu Lebensmittelverteilungen, nichts mehr geht?

BARTOSZEWSKI: Ich bin nicht der Meinung. Die Kirche hat die breite Strömung, die in den Gewerkschaften über neun Millionen Menschen vereinte, unterstützt, weil es eine natürliche Bewegung der Volksmassen war. Und die Kirche in Polen ist immer mit dem Volk gewesen. Sie hat immer alles, was in guter Absicht „von unten" gekommen ist, unterstützt.

Zum anderen bedeutet Kirche die einzige nicht kommunistische Institution, die in Polen aktionsfähig ist. Sie hat eigene Pflichten und eine eigene Mission. Die Kirche kann, wird und muß verschiedenes dulden. Sie kann warnen, belehren, Fürsorge tragen. Aber die Kirche wird bestimmt immer zum Gespräch bereit bleiben.

FURCHE: Wie beurteilen die polnischen Katholiken die Einstellung der Katholiken in Osterreich und Deutschland zu den Verhältnissen in Polen?

BARTOSZEWSKI: Ich muß Ihnen sagen, daß sehr differenzierte Meinungen gegenüber Ihren Regierungen einerseits und der Bevölkerung andererseits herrschen. Viele Menschen in Polen beurteilen sehr kritisch einzelne Äußerungen von Politikern in Österreich und in Deutschland. Ich möchte dabei keine Namen nennen.

Aber gleichzeitig schätzen die Leute bei uns die konkrete Hilfe äußerst hoch, die sehr viele Österreicher und Deutsche gegenüber dem polnischen Volk leisten. Die Lebensmittelpaketaktion, gleichzeitig viele andere Beweise des guten Willens wie verstärkte menschliche Kontakte sind für uns Zeugnis der christlichen Solidarität und Nächstenliebe. Zu der historischen Verbundenheit zwischen Österreich und Polen kommt jetzt diese große Aktivität der Deutschen. Man muß das vor dem Hintergrund sehen, daß doch die deutsch-polnischen Beziehungen geschichtlich stark belastet waren. Jetzt haben die deutschen katholischen und evangelischen Christen die polnische Meinung über das deutsche Volk wesentlich verändert.

FURCHE: Es ist bekannt, daß Sie ein persönlich sehr nahes Verhältnis zu Papst Johannes Paul II. haben. Welches sind Ihrer Kenntnis nach die Hauptsorgen des Papstes in der gegenwärtigen Krise Polens?

BARTOSZEWSKI: Seine Sorgen in der jetzigen Lage Polens kann man nicht von seinen Sorgen über die Menschheit ganz isolieren. Er ist ein Mensch von weitem Blick; er hat sich auf seinen vielen Reisen — nicht nur nach Polen — immer wieder mutig geäußert: auch in den Ländern der Dritten Welt, auch in den Ländern, in denen autoritäre oder halbautoritäre Systeme existieren. Auch dort hat er sich klar zu den Menschenrechten, zu den Rechten der Gewerkschaften und der Arbeiterschaft bekannt.

Aber es ist doch verständlich, daß der Mensch besonders empfindlich ist, wenn es die Lage in seiner Heimat betrifft. Ich bin überzeugt, daß die päpstlichen Erklärungen in der polnischen Gesellschaft eine äußerst große Rolle spielen. Jedes Wort von ihm wird gehört und angenommen.

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