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Souverän provokant
Im Dezemberheft 1963 der von Friedrich Torberg herausgegebenen Monatsschrift „Forum“ habe ich „Frost“, den Romanerstling Thomas Bernhards, besprochen und resümierte, „der geliebte Lebensüberdruß hierzulande ist uralt und schier unsterblich; er braucht keine fatalen Anlässe und ist sich selbst genug.“ (Die drei Gedichtbände Bernhards aus den fünfziger Jahren sind bis heute so gut wie unbeachtet geblie-
ben.) Seither sind 25 Jahre vergangen, Bernhard ist berühmt geworden, von meiner damaligen Charakteristik habe ich aber nichts zurückzunehmen.’
1971 beurteilte ich in der FURCHE seine Erzählung „Gehen“ eher negativ, bezeichnete den Verfasser als „Mini-Schopenhauer“ und zog mir so seinen unversöhnlichen Haß zu. Damit befand ich mich freilich in annehmbarer Gesellschaft, denn von Zwischenbemerkungen wie „ich habe Graz immer gehaßt“ oder „ich habe Hunde immer gehaßt“ und so weiter wimmelte es in seinen späteren Werken.
Es ist unwahrscheinlich, daß das depressive Element, welches in den Versen, der frühesten Prosa bereits, und dann auch in den Theaterstücken tonangebend war, genügt hätte, um den Dichter zu einer Standardfigur der europäischen Gegenwartsliteratur zu machen. Vor rund 30 Jahren wurde literatursoziologisch festgestellt, daß auch die beste Diktion allein heutzutage nicht mehr zum großen Erfolg führt: entscheidend sei, daß sie auch provokant wirkt.
Das hatte man, nicht lange nach Krieg, vor allem im Umkreis der Gruppe 47 erfaßt. Heinrich Böll, Hans Magnus Enzensberger, Günter Grass, Peter Weiss und andere attackierten die Bundesrepublik, hielten ihr eine unbe- wältigte Vergangenheit vor und errangen hohes Ansehen, indem sie das Zweifelhafte am Ansehen des Wirtschaftswunder-Landes betonten. Es handelte sich eher um eine geschickt gehandhabte Attitüde.
Der bei uns viel mißbrauchte Begriff Tradition hat auf einem Gebiet absolute Gültigkeit: Schon immer waren wir unschlagbar im sogenannten „Raunzen“.
Der unbezweifelbar echte Welt schmerz paarte sich bei Bernhard allmählich und paradoxerweise mit kaum glaublicher Geschäftstüchtigkeit. Er wurde zum sieghaften Berufspessimisten, angeregt und ungewollt bestätigt vom albernen Optimismus der im heimischen Gefilde peinlich grassierenden Berufspatrioten.
Sie unterschätzten sein Können — das mußte zu seiner Überschätzung führen. Ein nichts als wehleidiges Echo lieferte seiner Schimpfkanonade- immer von neuem brauchbare Munition. Gedankenlos sagte man ihm nach, was er selbst von sich sagte: er sei „der größte Ubertreibungskünst- ler“. Nur - Übertreibung ist eigentlich kein literarisches Wertmaß. Seit ihn die eine Seite verteufelte, hat ihn die andere ange- himmelt.
Sicher ist, sein ganzes Schreiben war ein Monolog der Verzweiflung. So mußte Bernhards Prosa bedeutender ausfallen als die — infolgedessen — monoton wirkende Produktion für die Bühne. Auch beim Romanschrei ben achtete er darauf, Ärgernis zu erregen, beschimpfte fast alle, bezeichnete Goethe als „Scharlatan“ und die Schreibweise Thomas Manns als „Beamtenliteratur“.
Merkwürdig wäre und übersehen wird, daß Siegfried Lenz solche Zeit- und Vaterlandskritik viel überzeugender und ohne aggressive Mätzchen zustandebrachte, in „Deutschstunde“ (1968), „Heimatmuseum“ (1978) oder „Exerzierplatz“ (1985) —, das die Grundidee des skandalumwitterten „Heldenplatz“ rhetorisch vorwegnimmt, freilich mit souveräner Ruhe.
Souverän beunruhigend blieb Thomas Bernhard auch noch beim Wortlaut seines Testaments; bewundernswert. Doch ist Beunruhigung bloß ein aktuelles Phänomen; sie legt sich ziemlich bald, wenn sich ein neuer Anlaß ergeben hat. Dann erst — also in weiterer Zukunft - wird sich zeigen müssen, was das Bleibende an diesem gewiß eigenartigen Schriftsteller war.
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