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Sowjetgas nach Westen
Die Idee der Raffinerie Lannach in der Steiermark ist seil Monaten tot. Inzwischen befinden sich neue Ideen einer Produktenpipeline von Wien-Schwechat zum oberösterreichischen Industrieballungsraum im Stadium der Geburt. Daneben abei schreiten die Vorbereitungsarbeiten für den Bau der Trans-
Die Idee der Raffinerie Lannach in der Steiermark ist seil Monaten tot. Inzwischen befinden sich neue Ideen einer Produktenpipeline von Wien-Schwechat zum oberösterreichischen Industrieballungsraum im Stadium der Geburt. Daneben abei schreiten die Vorbereitungsarbeiten für den Bau der Trans-
Austria-Gasleitung voran.
Schon im Mai des vorigen Jahres beschloß bekanntlich der Aufsichtsrat der Erdölraffineriegesellschaft (ERG), an der die in Österreich tätigen internationalen Mineralölgesellschaften mit 74 und die staatliche ÖMV mit 26 Prozent beteiligt sind, einstimmig, die Raffinerie Lannach in der derzeit geplanten Form nicht zu bauen. Die 2,2 Millionen Tonnen, die von den Lannacher Crackanlagen pro Jahr raffiniert werden sollten, werden weiter nach Schwechat fließen, wo man fieberhaft an der Kapazitätsausweitung bis zu 11 Millionen Jahrestonnen arbeitet und sogar eine 14 Millionenkapazität ins Auge faßt.
Nach dem für die Kainachtalbewohner befreienden Beschluß, die projektierte Raffinerie aufs Eis zu legen, hat sich der zuständige Aufsichtsrat der ERG noch nicht dazu entschlossen, für die Liquidation grünes Licht zu geben.
Inzwischen aber empfahl der ERG-Aufsichtsrat der Geschäftsleitung, ihr ”einzig verwertbares Vermögen abzustoßen: den mühevoll erschlossenen Grund und Boden des Kainachtals. Die Gesellschafter der ERG mußten vor Jahren für den Grundstücksankauf tief in die Taschen greifen. Nach den scharfen Attacken der Naturschützer und auf Grund des Anwechsens , der Baukosten zu horrenden Höhen müssen nun die Gesellschafter für die Baugründe Käufer ^finden. Der Verlust wird in die Millionen gehen.
Die internationalen Mineralöl-Unternehmen greifen inzwischen zum Rotstift, um ihre Investitionen in die ERG auch in ihren Bilanzen abzuwerten. Denn noch hat der italienische Erdölkonzern ENI das Jawort zum Finale nicht gegeben. Um so mehr, als auch die Verhandlungen um das russische Erdgas noch nicht ins Endstadium vorgedrungen ist. Freilich glaubt man, den vermutlich für das Frühjahr 1973 festgesetzten Beginn der Arbeiten vorverlegen zu können. Auf jeden Fall soll die 3,5-Milliarden-Schil-ling-Anlage der Trans-Austrian-Gas-Pipeline 1974 den Betrieb aufnehmen. Dann wird Österreich zur wichtigsten Energiebrücke zwischen Ost und West geworden sein. Pro Jahr werden 10 Milliarden Kubikmeter sowjetischen Gases vom Ostblock nach Österreich fließen. Diese Energie ist zum Großteil für unseren südlichen Nachbarn Italien bestimmt. Doch auch Österreich — das heißt: die staatliche ÖMV — möchte an dieser Pipeline und ihren Vorteilen partizipieren. Ihr Wunsch wäre es, daß jährlich 2 bis 3 Milliarden Kubikmeter Gas für österreichische Industrieunternehmen und Haushalte zwischen Neusiedlersee und Wörthersee abgezweigt werden sollten.
In die Diskussionen um Lannach und die Trans-Austrian-Gas-Pipeline mischt sich das laute Gezeter der Donauschiffahrt, die den Bau einer weiteren Pipeline, der Produktenpipeline von Wien-Schwechat in den Raum Linz, befürchtet. Hier aber spielen nicht nur Kostenfragen und das Problem der im Argen liegenden österreichischen Donauschiffahrt eine gewichtige Rolle, sondern auch das in der Luft hängende österreichische Arrangement mit der EWG. Es ist offensichtlich so, daß die in Österreich tätigen internationalen Mineralölkonzerne auch eine Produktenpipeline von Ingolstadt in den Raum Linz mit ins Kalkül ziehen. Wohl fürchtet man in den westlichen Bundesländern die hoffnungslose Sltuation Österreichs gegenüber der deutschen Konkurrenz. Dem stehen aber Überlegungen der multinationalen Erdölkonzerne entgegen. Was die ÖMV anstrebt, ist die Aufstellung eines fertigen Projektes; es fragt sich, ob dies im staatlichen Alleingang oder im gemeinsamen internationalen Reigen vor sich gehen wird.
Daß jedoch bei einem immer geringer werdenden Anteil der heimischen Erdölförderung am gesamt-österreichischen Bedarf der internationale Energiekontext nicht außer acht gelassen werden darf, ist heute selbst der ÖMV zur Selbstverständlichkeit geworden. Sie bestitzt (unter anderem) Bohrkonzessionen in Tunesien und Persien. Denn auch Österreich wird immer mehr vom importierten flüssigen Gold abhängig. Lag der prozentuelle Anteil des Erdöls an der Gesamtenergieversorgung Österreichs im Jahr 1965 bei 35 Prozent, so war er 1970 schon auf 42 Prozent gestiegen und dürfte 1975 bereits 51 Prozent erreichen.
Die neuesten Prognosen hinsichtlich der Weltreserven sehen zudem nicht so ungünstig aus wie jene für Österreich. Voriges Jahr sprach man noch von 83 Milliarden Tonnen sicherer Erdölreserven. Ende 1971 waren es dann schon 85,21 Milliarden. In Europa ließen die Funde in der Nordsee nämlich die bestätigten Vorräte Großbritanniens, Dänemarks und Norwegens rapide ansteigen. Österreichs Reserven hingegen blieben fast unverändert. Sie betragen, bei einer vorjährigen Förderung von 2,4 Millionen Tonnen, etwa 27 Millionen Tonnen.
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