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„Sozialdemokraten zementieren sich“

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FURCHE:,- Wohin : geht der schwedische'Weg?

BÖHMAN:'Schweden ist länger' von Sozialdemokraten regiert worden als irgendein anderes Land Europas. Jüngste Meinungsumfragen lassen erkennen, daß eine Wahl zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine klare nichtsozialistische Mehrheit ergeben würde. Das neue sozialistische Parteiprogramm skizziert eine. Zukunftspolitik, welche die Idee eines „demokratischen Sozialismus“ realisieren soll: Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft primär nicht durch direkte Verstaatlichung der Produktionsmittel — die hiermit gemachten Erfahrungen waren selbst für die Sozialisten abschreckend —, sondern durch weitreichende zentrale Planung der gesamten Wirtschaft und schrittweise Übertragung von Macht an ein engmaschiges Netz kryptosozialistischer Organisationen, das von den Gewerkschaften über Jugendverbände bis zu Konsumgenossenschaften und parteieigenen Werbeagenturen reicht. Durch Abstützung auf diese sogenannten Volksbewegungen wollen die Sozialdemokraten ihre Stellung zementieren, und zwar so fest, daß es keine Möglichkeiten mehr geben soll, mit demokratischen Mitteln ihren effektiven Machtbesitz zu schwächen — mögen sie auch in Parlamentswahlen unterliegen.

Der Schwedische Gewerkschaftsbund hat kürzlich ein Modell für Arbeitsnehmerfonds veröffentlicht, basierend auf jährlichen Zwangsabführungen eines bestimmten Gewinnteils größerer Betriebe in Form von jungen Aktien. Diese Fonds sollen im Kollektiveigentum der Gewerkschaften stehen und von diesen verwaltet werden, was den Gewerkschaften nach zehn oder 20 Jahren die Mehrheitskontrolle der ganzen schwedischen Wirtschaft verschaffen würde. Sollte dieses Modell verwirklicht werden, so treten wir in eine Gesellschaft ein, die gänzlich von den großen, mit der sozialdemokratischen Partei Hand in Hand arbeitenden

Zentralorganjsationen beherrscht wird.

FURCHE: öldübensie, als Vorsitzender der gemäßigten Sammlungspartei, daß es eine Alternative gibt?

BOHMAN: Wir in Europa bewegen uns in Richtung auf ser-vice-intensive postindustrielle Gesellschaften, die es notwendig machen, dem einzelnen ein höheres Maß an persönlicher Verantwortlichkeit zuzuschieben. Der einzelne wünscht eine Ausweitung seines Spielraumes, unter gegebenen Alternativen Selbst die

Wahl treffen zu dürfen. Er wünsoht ferner einen besseren Schutz seiner Integrität. Wie man diesen Forderungen in einer zunehmend zentralisierten, technokratischen und bürokratischen Gesellschaft gerecht werden kann — das wird das Hauptproblem der nächsten Jahrzehnte sein. Die Gegenposition — der Kollektivismus — weiß keine Antwort auf die Forderung nach besserer Lebensumwelt, auf die neuen Forderungen nach einem nicht quan-titäts-, sondern qualitätsbezoge-nen Wohlstand. Schon von ihrem Dogma her sind Sozialisten außerstande, Worte wie Wahlfreiheit, Privatsphäre oder Elternrecht zu begreifen. Ein Beweis für die Richtigkeit dieser Sicht waren die schwedischen Parlamentswahlen 1973. Wo — wie in den neuen Vorort-bezirken der Großstädte — die Sozialdemokraten wirklich Gelegenheit gehabt haben, eine Musterwelt entsprechend ihren Ideen und Idealen von Wohn- und Steuerpolitik zu schaffen, dort hat sich die Wählerschaft von ihnen abgewandt, und zwar in einem Umfang, den niemand für möglich gehalten hätte. Die Konservativen erzielten im Raum Groß-Stockholm einen Zuwachs von nicht weniger als 40 Prozent. Unsere Konzeption vom „Neuen Individualismus“ ist auf die Situation des Durchschnittsbürgers im Wohlfahrtstaat zugeschnitten, der — von der Wiege bis zum Grabe in Sozialsicherheit verpackt — jetzt nach mehr individueller Freiheit und mehr Verantwortungsübernahme verlangt.

FURCHE: Wie ist das derzeitige Verhältnis zwischen Regierung und Opposition?

BOHMAN: Wir Schweden sind eine Nation der Kompromisse, und daher in den großen Fragen einig. Von den drei bürgerlichen Oppositionsparteien steht meine Fraktion, die Gemäßigte Sammlungspartei, am stärksten in Gegnerschaft zu den regierenden Sozialdemokraten. Die drei bürgerlichen Parteien, Zentrums-, Sammlungs- und Liberale Partei haben zusammen 175 Sitze im Parlament, genausoviel, wie Sozialisten und Kommunisten. Diese unmögliche Situation hat uns veranlaßt, Neuwahlen zu fordern. Die Liberalen haben jedoch leider Angst vor Neuwahlen, da sie fürchten, weniger als vier Prozent zu erreichen, und damit aus dem Parlament ausscheiden zu müssen. Falls die bürgerlichen Parteien 1976 zusammen die Mehrheit erreichen, werden sie eine Regierung bilden, wobei die Zentrumspartei den Regierungschef stellen würde.

Mit dem Vorsitzenden der Gemäßigten Sammlungspartei, Gösta Bohman, sprach FURCHE-Mitar-beiter Franz Schausberger.

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