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Soziale Demontage

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Im Juni 1985 beschloß der Wiener Landtag ein neues Sozialhilfegesetz. Die wichtigsten Änderungen in diesem Gesetz: Schlechterstellung von Ausländern und Konventionsflüchtlingen (obwohl letztere österreichischen Staatsbürgern grundsätzlich gleichgestellt sind) sowie Kürzung der Sozialhilfe um 50 Prozent (bisher 20 Prozent), wenn vom zuständigen Sozialreferat „Arbeitsunwilligkeit" festgestellt wird.

Da die Bundesregierung das Gesetz wegen seiner Bestimmungen über Flüchtlinge beein-sprucht hat, ist das Gesetz bis heute noch nicht in Kraft getreten. Es wird aber demnächst neuerlich im Wiener Landtag behandelt, sodaß in Kürze eine massive Verschlechterung der Lebenssituation der Betroffenen eintritt.

Die Sozialhilfe beträgt derzeit in Wien 3.259 Schilling pro Person und Monat, für zwei Personen, die in einem Haushalt leben 4.807 Schilling monatlich. Die Miete für eine. Wohnung wird bis zu 1.760 Schilling im Monat übernommen.

Von diesen Beträgen müssen nicht nur Lebenshaltungskosten bestritten werden, sondern auch Ausgaben für Strom, Gas oder Körperpflege. Für eventuelle Strom- und Gasnachzahlungen am Ende des Jahres müssen darüber hinaus von der Sozialhilfe Rücklagen abgezwackt werden.

Des öfteren erhalten Hilfesuchende jedoch längerfristig überhaupt keine finanzielle Unterstützung, zum Beispiel Haftentlassene, die ein höheres Entlassungsgeld als 1.000 Schilling bekommen und dieses unbedacht sofort verbraucht haben. Wie dieser Personenkreis dann sein Uberleben organisiert, ist klar.

Des weiteren wird seitens der Sozialreferate häufig versucht, fast unüberwindbare und gelegentlich auch willkürliche bürokratische Hürden für die Hilfesuchenden aufzubauen. Zwei Beispiele verdeutlichen dies.

Herr Johann K. bewohnt im 20. Wiener Gemeindebezirk allein eine Hauptmietwohnung. Im September 1985 wurde er aus der Haft entlassen. Er ist seit 1983 mit einer polnischen Staatsbürgerin verheiratet, die er jedoch kurz nach der Heirat aus den Augen verloren hat. Sein Antrag auf Sozialhilfe und Mietbeihilfe wurde zunächst abgelehnt.

Unterstützung wurde ihm erst nach Beibringung folgender Dokumente zugesagt: neuer Melde-

zettel (kostet 140 Schilling), da sein alter zerknüllt sei; Heiratsurkunde (mußte er sich erst besorgen und kostet ebenfalls Stempelgebühren); Nachweis der Unterhaltsklage gegenüber seiner Frau und Krankenkassenanfrage.

Auch eine Intervention beim Sozialreferat, Herrn K. eine Frist für die Beibringung dieser Dokumente zu gewähren, blieb erfolglos, sodaß Herr K. erst nach einem schwierigen Umweg über die Zentrale des magistratischen Sozialamtes zu seinem Geld kam.

Außer für Lebensbedarf und Miete besteht noch die Möglichkeit, weitere finanzielle Unterstützungen (zum Beispiel für die Anmietung einer Wohnung bei Obdachlosigkeit, für die Wohnungseinrichtung oder für Kleidung) vom Sozialreferat zu erhalten. Die Vergabe solcher Unterstützungen erfolgt in der Regel jedoch willkürlich.

So zahlt das Sozialreferat Kaution und Provision bis zu einer Höhe von 6.000 Schilling für Untermietwohnungen nur, wenn der Hilfesuchende Aussicht auf Arbeit hat (schriftliche Bestätigung erforderlich). Kann keine Arbeit nachgewiesen werden, dann sind diese Personen — wie auch die Bezieher von Arbeitslosengeld — nicht „würdig", unterstützt zu werden.

Im Juli 1985 wurde Herr Stefan I. aus der Haft entlassen. Herr I. ist in einem äußerst schlechten Gesundheitszustand (Lähmung nach einer schweren Vergiftung), und eine Wohnung, zumindest ein Untermietzimmer wäre für ihn lebensnotwendig. Das Sozialreferat lehnte den Antrag auf Provision und Kaution für eine Wohnung „aus persönlichen Gründen" ab, weil der Hilfesuchende schon öfter „gesessen ist" — und bald wieder sitzen werde.

Aus der Höhe der Unterstützung wird ersichtlich, daß es sich bei den Hilfesuchenden, die mit derart geringen finanziellen Mitteln auskommen müssen, kaum um „Schmarotzer" handeln kann. Außerdem sind in Wien die meisten Sozialhilfebezieher alleinstehende Mütter, alte Leute ohne Pensionsanspruch, physisch und psychisch Behinderte, Haftentlassene und diverse Randgruppen ohne Arbeitslosengeldanspruch.

Stellt das Sozialamt (meist recht willkürlich, da es hiefür keinerlei Kriterien gibt) fest, daß der Sozialhilfeempfänger arbeitsunwillig ist, so kann derzeit eine Kürzung der Sozialhilfe um 20 Prozent, nach dem neuen Gesetz um 50 Prozent erfolgen. Meldungen beim Arbeitsamt oder Feststellungen des Arbeitsamtes, daß der Hilfesuchende nicht vermittelbar ist, reichen oft nicht aus, um die Arbeitswilligkeit zu dokumentieren.

Dazu muß noch gesagt werden, daß es sich bei Sozialhilfeempfängern um einen Personenkreis mit schlechter Ausbildung, kurzen Dienstverhältnissen, sozialen Defiziten und schlechtem Gesundheitszustand handelt.

Die Proteste der Sozialarbeiter, die ein weiteres Absinken der Armutsgrenze durch das neue Wiener Sozialhilfegesetz befürchten, wurden bisher nicht zur Kenntnis genommen.

Die Autorin ist Mitarbeiterin des Vereins für Bewährungshilfe.

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