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Soziale Tat ohne soziale Vernunft
Die „Arbeitsgemeinschaftfür Arbeits- und Betriebspasto-ral" fordert 10.000 Schilling Mindestlohn. Nicht brutto, wie der ÖGB , sondern netto. Eine löbliche Forderung. Aber wem wird geholfen?
Die „Arbeitsgemeinschaftfür Arbeits- und Betriebspasto-ral" fordert 10.000 Schilling Mindestlohn. Nicht brutto, wie der ÖGB , sondern netto. Eine löbliche Forderung. Aber wem wird geholfen?
Allen bisherigen Erfahrungen nach war vorauszusehen, daß der Aufruf der österreichischen Bischöfe zur sozialen Tat auch zu Engagements führen wird, die nur sehr unzureichend auch von der sozialen Vernunft getragen sind. Der „Arbeitsgemeinschaft für Arbeitsund Betriebspastoral" (AGAB), deren gesamtösterreichische Studien- und Delegiertentagung vor kurzem in St. Pölten stattgefunden hat, ist dies nun tatsächlich passiert. Ihr gehören mit der Katholischen Arbeiterjugend, der Katholischen Arbeitnehmerbewegung, der Betriebsseelsorge, dem Betriebsseminar, der Katholischen Sozialakademie sowie der überdiözesa-nen Arbeitsgemeinschaft für Gastarbeiterseelsorge immerhin Organisationen und Einrichtungen an,, deren Zielsetzungen an sich sehr ernst zu nehmen sind.
Nach einer Meldung der Kath-press - die vorsorglich auf ihre Richtigkeit überprüft worden ist -hat sich die AGAB bei diesem Anlaß nicht nur die Forderung des Österreichischen Gewerkschaftsbundes nach einem Mindesteinkommen von monatlich 10.000 Schilling als „vordringlich" zu eigen gemacht, sondern diese gleich auf 10.000 Schillingnetto erhöht!
Gegenüber der Gewerkschaftsforderung beißt das, daß sie verlangt, durch einen Generalkollek-tivverträg (der aufgrund der gesetzlichen Allgemeinverbindlichkeit für alle davon betroffenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gilt) ein Einkommen vorzuschreiben, das nach Abzug der Einkommensteuer und der gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge den Betrag von zirka 10.000 Schilling nicht unterschreitet, sodaß damit tatsächlich ein Mindesteinkommen von rund 13.000 Schilling brutto eingefordert wird!
Schon gegen die Forderung nach einem generellen Mindestlohn von 10.000 Schilling brutto hat Universitätsprofessor Alexander Van der Bellen vom Wirtschaftswissenschaftlichen Institut der Universität Wien, der auch in den Internatskursen der Katholischen Sozialakademie Österreichs vorträgt, eingewendet, daß die Gewerkschaften meist jene Personen nicht mehr vertreten, die aufgrund der Einführung von Mindestlöhnen arbeitslos würden.
Er meinte: Ein Mindestlohn „kann auch zu erhöhter Arbeitslosigkeit führen". Das gelte vor allem für den „sekundären Arbeitsmarkt", der durch niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen, hohe Fluktuation der Beschäftigung, geringe Aufstiegschancen und niedrige Qualifikationserfordernisse gekennzeichnet sei. Eine drastische Erhöhung der Kollektivvertragslöhne hätte hier auch eine sinkende Nachfrage nach Arbeitskräften zur Folge.
Die Bekämpfung der Armut sei daher „Sache des Staates". Will der Staat einen Mindestlebensstandard sichern, braucht es nach Ansicht von Van der Bellen sozialpolitischer Maßnahmen, vor allem direkter Transferzahlungen (zum Beispiel Kinderbeihilfe).
Eine „aggressiveMindestlohnpolitik" gerade auf dem „sekundären Arbeitsmarkt" sei eine „zweischneidige Sache". Zwar beschleunige sie einen Strukturwandel in Richtung auf Branchen mit hoher Wertschöpfung, gleichzeitig aber würde es gerade für jene, denen ein Mindestlohn zugute käme, immer schwieriger, überhaupt eine Arbeit zu finden. Im Burgenland etwa würde nach einem Beispiel des Wirtschaftswissenschaftlers ein Mindestlohn die Arbeitnehmer vor einem "Lohndumping" durch Zuwanderer aus dem Osten schüt-zen. Andererseits würde dadurch der Anreiz für Betriebe wachsen, die Produktion sofort in den Osten zu verlagern.
Dem Lob des Mindestlohns als Instrument, den Lebensstandard der am wenigsten Verdienenden zu heben, setzt Van der Bellen entge-gen, "daß gerade einige der Ärmsten erst recht unter die Räder kommen werden: Es ist nicht immer besser, keinen Job zu haben, als einen schlecht bezahlten". (Kathpress vom 25. Juli 1990).
Umso mehr gelten diese realisti-schen Sorgen für einen generellen Mindestlohn von 13.000 Schilling brutto. Die Zahl der vom ÖGB-Vorschlag Betroffenen wird auf zirka 250.000 Arbeitnehmer ge-schätzt, die unter Umständen vom AGAB mit einem Arbeitsverbot Belegten würde sich auf rund eine halbe Million erhöhen!
Wie unüberlegt diese Forderung ist, zeigen die Konsequenzen, die daraus für eine generelle Familien-besteuerung gezogen werden müß-ten: wird dem kinderlosen Einkom-mensteuerpflichtigen ein steuerfreies Einkommen von 10.000 Schilling gewährt, so müßte dem, der für Gattin und Kinder unterhaltspflichtig ist, nach der anerkannten Gewichtung (Gattin 8.000 Schilling, je Kind 6.000 Schilling) ein steuerfreier Betrag von 24.000 Schilling (ein Kind), 30.000 Schilling (zwei Kinder) und so weiter zugestanden werden, wenn man vermeiden will, daß die Familien steuerlich nicht viel schlechter gestellt werden als diejenigen, die keine Familienlasten zu tragen haben.
Auf den Sozialhirtenbrief können sich die Verfechter des verpflichtenden Mindesteinkommens dabei nicht berufen. Die Bischöfe vertreten gerade hier einen sehr sachbezogenen Standpunkt: Von der Lohnfrage "hängt nicht nur das Los der Lohnempfänger ab. Sie hat einen entscheidenden Einfluß auf die Unternehmen und auf die Gesamtwirtschaft" (Art. 38). Was würde auch die Sozialpartner zu einer generellen Ausgrenzung der weniger Leistungsfähigen aus der Gesamtwirtschaft berechtigen, und wie wäre das mit dem Recht und mit der Pflicht zur Arbeit vereinbar, für welche sich die Bischöfe auch einsetzen (Art. 28)?
Und zur Familie betonen die Bischöfe in ihrem Sozialhirtenbrief, daß die Gesellschaft verpflichtet ist, alles zu tun, um nicht die Familie, vor allem die kinderreiche, wirt-schaftlich, das heißt auch nicht steuerlich, zu diskriminieren (Art. 71).
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