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Soziale Verteidigung ist eine Ergänzung

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Die soziale Verteidigung ist eine Strategie, deren primäres Ziel die soziale Ordnung und die vom Okkupanten unabhängige Gestaltung der Lebensbedingungen und nicht die Unversehrtheit des Territoriums ist. Sie will den Schaden eines Angriffs mindern und dem Okkupanten gewisse Kosten verursachen, die ihm entweder von einem Angriff abhalten oder nach erfolgtem Angriff die Okkupation verleiden sollen.

Es ist eine Strategie der Nicht-Kooperation und der Obstruktion. Näherhin sind als Methoden vorgesehen: allgemeine Protestaktionen und Demonstrationen: sit-ins; Boykott; Streik bis zum Generalstreik; zivile Usurpation, d. h. die Ergreifung von Rollen und Funktionen, die den Aufständischen eigentlich gar nicht zustehen; Sabotage; Meuterei von Polizei und Militär.

Als historische Beispiele solcher Verteidigung gelten u. a. Teile des indischen Unabhängigkeitskampfes, Widerstandshandlungen in Norwegen während des Zweiten Weltkrieges und der Widerstand in der CSSR gegen die sowjetische Okkupation von 1968.

Wie alles in der Welt hat auch das Konzept der sozialen Verteidigung seine Vor- und Nachteile. Als Vorteil kann das Demokratische dieses Konzepts angeführt werden, weil ja dieses Konzept zu seinem Wirksamwerden des Getragenseins vom Willen des Volkes bedarf. Diese Nähe zum Volkswillen ist in einer so entscheidenden und einschneidenden Angelegenheit, wie es der Krieg ist, von nicht zu unterschätzender Bedeutung.

Als weiterer Vorzug kann angeführt werden, daß diese Strategie auch von kleinen und neutralen Staaten angewendet werden kann, ja, daß in kleineren Staatsgebilden vielleicht die Voraussetzungen dafür besonders günstig sind.

Schließlich wird bei dieser Strategie ein geringerer Verlust menschlichen Lebenp zu erwarten sein, was angesichts der Wertbetonung des menschlichen Lebens, wie dies heute mit Recht geschieht, wiederum besonders hervorzuheben ist.

Freilich dürfen die Nachteile dieses Konzeptes nicht übersehen werden. Es fragt sich nämlich, wie lange bei überwiegenden Bevölkerungsteilen speziell der hochzivilisierten Gesellschaften der Widerstandsgeist ohne Hilfe von außen aufrecht bleiben kann.

Bei wie vielen der konsumverwöhnten Kinder der Wohlstandsgesellschaft ist jene Härte zu erwarten, die zu einer effektiven Strategie dieser Art von Verteidigung notwendig ist? Wie viele werden ihr Rückgrat bewahren und nicht doch früher oder später kollaborieren? Wie lange werden die Bürger einer vom Wertzerfall zerfressenen Welt zur Gemeinsamkeit der Wertbasis eines Widerstandes stehen?

Ferner gilt es zu bedenken, daß die Strategie der sozialen Verteidigung eine wichtige Stütze verliert, wenn das Motiv der Eroberung eben primär die Eroberung des Territoriums und die Vernichtung des dort existierenden Lebensraumes samt der Bevölkerung etwa zwecks Ausweitung des eigenen Lebensraumes ist.

Auch sei es (wird argumentiert) nicht denkunmöglich, daß der Aggressor eine ganz andere Wertskala besitze als die Träger der sozialen Verteidigung, so daß etwa brutales Niedermetzeln innerhalb einer solchen Wertskala kein besonderes Problem darstelle. Sodann dürfe man nicht vergessen, daß die Be-kehrbarkeit des Gegners doch auch nicht so leicht möglich sei. Schließlich dürfe nicht übersehen werden, daß die Schwäche und Waffenlosigkeit doch auch aggressionseinladend wirken könnte.

Alles in allem wird man daraus folgern dürfen, daß beim derzeitigen Stand des internationalen Systems die Strategie der sozialen Verteidigung eine wichtige, ja notwendige Ergänzung der militärischen und zivilen Verteidigung darstellt, daß sie aber nicht imstande ist, diese beiden anderen Verteidigungssysteme zu ersetzen.

Auf den neutralen Kleinstaat Österreich bezogen, heißt dies: Wegen der Verpflichtung im Neutralitätsgesetz vom 26. Oktober 1955, die Unabhängigkeit und die Neutralität mit allen zu Gebote stehenden Mitteln aufrechtzuerhalten und zu verteidigen, und wegen des Verbotes von Raketenwaffen und weittragender Artillerie sind speziell die anderen Verteidigungsformen, nämlich die zivile und die soziale, zu organisieren und aufzubauen.

Denn noch einmal muß betont werden, daß die zivile und soziale Verteidigung sicherlich den Eintrittspreis für einen potentiellen Aggressor erhöhen können.

Dabei ist es selbstverständlich, daß auch diese beiden anderen Verteidigungsformen, nämlich die zivile und die soziale, entsprechend organisiert sein müssen. Es ist nicht einzusehen, warum nur die militärische Verteidigung einen entsprechend hohen Organisationsgrad aufweisen soll.. .

Träger der sozialen Verteidigung ist, wie bereits erwähnt, das organisierte Volk. Als Detailorganisatoren wären besonders die Verbände und die Religionsgemeinschaften zu nennen. Sie verfügen über einen entsprechenden Organisationsapparat und teilweise auch Einfluß, über den als Transmissionsriemen auch die soziale Verteidigung laufen kann.

Was die Religionsgemeinschaften anlangt, so obliegt ihnen in besonderer Weise die sittliche Einstellung und Motivierung zu dieser Strategie - etwas, ohne das die soziale Verteidigung von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, weil Religion es in ganz besonderer Weise mit Sinnhaftigkeit und mit Gewissen zu tun hat und weil das Entscheidende der sozialen Verteidigung von den einzelnen und von den Gruppen getragen sein muß und nicht, wie im militärischen Organisationssystem, erzwingbar ist.

Der Verfasser ist katholischer Priester und Vorstand des Institutes für Ethik und So/ialwissen-schaft an der Universität Graz. Seine Darlegungen sind dem Beitrag ..Kleinstaat und Friedensstrategie'* in dem Sammelband ..Aspekte. Argumente. Alternativen” (Verlag Richter und Springer) entnommen.

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