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Digital In Arbeit

„Sozialeinnovation“

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Konsumentenwünsche und Anregungen der Mitarbeiter sind eine wichtige Quelle für Anregungen beider Entwicklung neuer Produkte. Dieser Bericht über eine Veranstaltungin Hernstein sollte Bedenken von Unternehmern zerstreuen.

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Konsumentenwünsche und Anregungen der Mitarbeiter sind eine wichtige Quelle für Anregungen beider Entwicklung neuer Produkte. Dieser Bericht über eine Veranstaltungin Hernstein sollte Bedenken von Unternehmern zerstreuen.

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60 bis 80 Prozent aller erfolgreichen Neueinführungen von Produkten (Innovationen) werden, wie weltweit in einer Reihe von Untersuchungen nachgewiesen wurde, von der Konsumentenseite her angeregt. Nur 20 bis 40 Prozent dagegen gehen von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen aus.

Die Erklärung dafür ist einleuchtend: Produkte, die nach den Wünschen und Bedürfnissen der Verbraucher konzipiert sind, füllen bestehende Bedarfsund Marktlücken,

Die marktwirtschaftliche Bedeutung dieser Konsumentenbedürfnisse ist also nicht von der Hand zu weisen. Von Innovationsforschern werden die Verbraucherwünsche geradezu als Schlüsselfaktor für die Entwicklung neuer Produkte und die Innovationsplanung gewertet. Dennoch verhält sich die Industrie und da im besonderen das Management der Unternehmen dieser Frage gegenüber sehr zurückhaltend.

Empirische Untersuchungen des Battelle-Instituts in Frankfurt, das sich zusammen mit 20 Staaten, darunter auch Österreich, am sogenannten NAIB-Projekt (Need Assessment and Information, Behavior) zur Methodik der Bedarfserhebung von Konsumentenbedürfnissen beteiligt, stellen den Betrieben kein gerade überragendes Zeugnis aus:

Weniger als 20 % der Firmen betrieben überhaupt systematisch und bewußt Bedarfserfassung Tür Innovationen. Diese wenigen Firmen allerdings gehen zumeist recht originelle Wege, um die Wünsche und Ansprüche ihrer potentiellen Kunden ausfindig zu machen.

Ganz allgemein läßt sich feststellen, daß die vorhandenen Kontakte zu den Kunden und Endverbrauchern viel zu wenig ausgenützt werden. Relativ aufwendig und zeitintensiv ist die Möglichkeit, daß der Hersteller selbst die Situation seiner Konsumentenzielgruppe erlebt, beispielsweise den spezifischen Arbeitsablauf eines Arbeiters in einem Hüttenwerk mitmacht.

Besonders schwierig ist auch die Erfassung zukünftiger Verbraucherbedürfnisse, wofür die komplizierteren Methoden der Szenario-Technik nötig sind. „Faustregel“ für den Einsatz des systematischen need assessment in einem Betrieb ist ein auf die spezielle Situation des Unternehmens abgestelltes Konzept, das regelt, wie die an den verschiedensten Stellen des Betriebes vorhandenen Informationen an die „richtige“ Stelle der Produktentwicklung weiterzuleiten ist.

Wissenschaftlergruppen vor allem aus Deutschland, Norwegen und Italien bemühen sich, der Industrie Konzepte zur Innovationsplanung zu liefern und dafür theoretische Grundlagen zu schaffen.

Über alle Methodenfragen hinaus sind sie sich in einem Punkt einig: Mit den Folgeerscheinungen eines ungehemmt ablaufenden technologischen „Fortschritts“ konfrontiert, fordern sie von Industrie und Wirtschaft ein radikales Umdenken. Die Entwicklung neuer Produkte sollte sich künftig weniger an technisch-wissenschaftlichen Aspekten als an sozialen Bedürfnissen orientieren.

„Eine verbraucherorientierte Produktentwicklung ist der Schlüssel für unser Überleben in der Zukunft“, appellierte Univ. Prof. Knut Holt von der Technischen Universität Trondheim, Norwegen, anläßlich eines Seminars über „sozial relevante Produkte“ an Industriemanager und Planungsverantwortliche.

Im Rahmen dieses Seminars, das gemeinsam vom Hernstein-Institut für Unternehmensführung und dem Interdisziplinären Forschungszentrum

Technik, Naturwissenschaft, Gesellschaft (ifz) auf Schloß Hernstein veranstaltet wurde, hatten Vertreter der heimischen Wirtschaft und Industrie Gelegenheit, mit namhaften Wissenschaftlern über Fragen des need assessment und sozial relevanter Produkte zu diskutieren.

Unternehmer und Produktmanager artikulierten besonders ihre Unsicherheit über den Begriff der „sozialen Relevanz“. Ziemlich einhellig werden damit Unrentabilität und zu hohe Produktionskosten gleichgesetzt. Einmütig zeigte man sich in Hernstein auch über das Hauptargument gegen sozial orientierte Produkte: „Es rechnet sich nicht.“

So erging man sich, einmal mehr, in theoretisierenden Diskussionen und Definitionsversuchen, um sorgsam naheliegende Praxisbereiche (und dringend notwendige auf den Verbraucher zugeschnittene Produktgruppen) auszusparen.

Dabei könnte wohl jeder Durchschnittsverbraucher eine ganze Liste mit Vorschlägen für kinder- und umweltfreundliche Konsumgüter und Geräte, die beispielsweise auch für Behinderte und alte Leute geeignet wären, zusammenstellen.

Bei der abschließenden Gruppendarstellung des Begriffs „sozial relevante Produkte“ kristallisierten sich schließlich als Hauptkriterien die Miteinbeziehung sozialer und ökologischer Aspekte schon während der langfristigen Planung heraus, andererseits das optimale Verhältnis von sozialem Nutzen und Kosten sowie die Berücksichtigung möglicher Folgen und Auswirkungen.

Die Forderungen der Vertreter aus Industrie und Wirtschaft: In der Öffentlichkeit müßte mehr Bewußtsein und Verständnis für diese Fragen geschaffen, werden, damit die Unternehmen nicht Artikel produzierten, „die der Konsument dann gar nicht honoriert.“

Das Bewußtsein des Verbrauchers nämlich, so ein Teilnehmer, sei noch nicht vorhanden, „daß wir für sozial relevante Produkte auf einen Teil des materiellen Wohlstands verzichten müssen.“

Aus seiner eigenen praktischen Erfahrung leitete Mike Colleys vom englischen Konzern Lucas Aerospace einen Kriterienkatalog ab: Danach sollte ein sozial relevantes Produkt

• energie- und materialsparend zu erzeugen,

• recyclingfähig sein,

• im Hinblick auf den Menschen als Konsumenten und Erzeuger konzipiert werden und

• mit unserem tradierten Wissen herstellbar und benützbar sein.

Der englische Luftfahrkonzern Lucas Aerospace, der aus 17 Einzelbetrieben besteht und als Tochterunternehmen des britischen Elektrokonzerns Lucas Industries gegründet wurde, stellte hauptsächlich Ausrüstungen für die britische Flugzeugindustrie her.

Als es Ende der sechziger Jahre durch Kürzungen im Rüstungsbudget Großbritanniens zu erheblichen Beschäftigungsschwierigkeiten kam, erstellte die Belegschaft ein Programm mit 150 Vorschlägen für sozial nützliche Produkte (z.B. tragbare Dialysemaschinen, mit Erdgas betriebene Wärmepumpen, Diesel/Elektro-Hy- bridmotoren, Straßen-Schienen-Bus).

Diese Aktion bewies, daß es für Innovationen nicht sündteurer hochtechnisierter Labors bedarf, sondern daß die Erfahrungen und das Wissen der Arbeitnehmer ein - bisher kaum genütztes - Kreativitätspotential sind.

Diese Erkenntnis und das Beispiel, wie die Entscheidung über Produkt- und Innovationsplanung in einem Unternehmen demokratisiert werden kann, finden häufig auf der Unternehmerseite wenig Gegenliebe.

Will man also, entgegen dem heutigen Ruf nach dem „Supermanager“ und der Expertenelite, die dem einzelnen immer mehr Entscheidungen und Verantwortung abnehmen, Kreativität aktivieren und nützen, ist es, so die Schlußfolgerung der Wissenschaftler, notwendig, Veränderungen in der Organisation und sozialen Struktur im Betrieb durchzuführen. Voraussetzung für die Produktinnovation wird somit eine „soziale Innovation“ sein.

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