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Sozialen Fortschritt auf Arme konzentrieren

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Sozialpolitik ist in Österreich eine „heilige Kuh". Sie wird im Revier der ASVG-Spezialisten gemästet und - sind die Kassen der öffentlichen Hand auch noch so leer-niemand darf in dieses Revier dringen, die Effizienz dieser mechanischen Sozialpolitik in Frage stellen.

Das Hauptproblem dieser Sozialpolitik besteht darin, daß ihre Leistungen nicht nach dem tatsächlichen Einkommen des jeweiligen Empfängers, sondern nach bestimmten sozialen Kategorien bemessen werden. Man hilft nicht etwa dem Armen, sondern den Alten, den Kranken, den Studenten, weniger auch den kinderreichen Familien.

Sicherlich gibt es unter diesen Empfängergruppen viele tatsächlich Bedürftige, doch ein immer größer werdender Teil der Adressaten sozialpolitischer Leistungen leidet keineswegs an Armut. Sozialpolitik wird konsumiert, weil man sie über die Steuern finanziert, nicht aber, weil man sie in jedem Fall braucht. Das jeglichen Kosten-Nutzen-Uberle-gungen fremde Gießkannen-System dieser Sozialpolitik ist deshalb kostspielig und wenig effizient.

Auf dem letzten ÖVP-Bundespar-teitag vertrat Reform-Obmann Alois Mock die Idee des sogenannten „Basiswohlstandes". Damit verbindet sich die Absicht, daß sich der soziale Fortschritt auf die wirklich Armen in unserer Gesellschaft konzentrieren soll. Dieser Basiswohlstand soll den tatsächlichen Armen garantiert und das Leistungsprinzip zugleich stärker betont werden.

Dieses Konzept ist nicht so neu wie es gut ist Der US-Nobelpreisträger Milton Friedman und die beiden US-Ökonomen Peacock und Wise-man propagierten schon vor mehr als einem Jahrzehnt die Idee der „negativen Einkommensteuer", wonach ein „garantiertes Mindesteinkommen" an die Stelle diverser aus Gießkannen verschütteten Sozialleistungen treten soll.

Bei der Theorie der „negativen Einkommensteuer" wird zunächst an Hand der Jahreseinkünfte und der Familiengröße eine Armutsschwelle definiert, und die darunter liegenden Familien erhalten eine Unterstützungszahlung in Höhe der Differenz zum Schwellenbetrag. Es handelt sich also um ein von der Gemeinschaft finanziertes Mindesteinkommen oder um ein verallgemeinertes System der Familienbeihilfe, bei der sich die Unterstützung nach dem Einkommen des Haushaltes bemißt.

Die Höhe der Armutsschwelle wird auf (sozial-)politischer Ebene bestimmt und im Rahmen der wirtschaftlichen Möglichkeiten jährlich angehoben. In einem dynamischen sozialpolitischen Konzept würde die Armutsschwelle rascher steigen als das jährliche Wachstum des Sozialprodukts.

Gegen dieses Konzept wird von der orthodoxen Sozialpolitik eingebracht, daß eine derartige direkte Subvention doch nur den Alkoholkonsum der Armen erhöhen und ihnen keine neuen Wohnungen, keine bessere medizinische Versorgung oder ihren Kindern keine bessere Schulbildung verschaffen würde. Dieser Einwand stellt nicht nur die Mündigkeit und Selbständigkeit der Bürger in Frage, er unterstellt auch, daß Politiker und Beamte immer wissen, was für die Österreicher vernünftig und gut sei.

Zudem ist äußerst zweifelhaft, ob tatsächlich alles, was umsonst ist, zwangsläufig die Armen begünstigt. Überdies läßt sich das System des Basiswohlstands mit bestimmten zweckgebundenen „Gutscheinen" (für die Ausbildung, für die medizinische Versorgung usw.) koppeln. Diese Gutscheine (es könnten auch zweckgebundene „Kredite" für die Ausbildung sein) könnten im Bedarfsfall an die Stelle der direkten Subventionen treten.

Es läßt sich heute empirisch leicht nachweisen, daß ein erheblicher Teil der staatlichen Transferzahlungen an Haushalte geleistet werden, deren finanzielle Situation dadurch praktisch unverändert bleibt; denn das, wie sie auf der einen Hand empfangen, müssen sie mit der anderen wiederum bezahlten. Die bürokratischen Kosten dieser „Umverteilung" werden auf etwa 20 Prozent der umverteilten Gelder geschätzt. Ein Teil der vorgeblich „kostenlosen" Sozialleistungen bewirkt zudem „antisoziale" Effekte: etwa im Gesundheitssystem, sicherlich auch im sozial gedachten Mietrecht.

So führt die Subventionierung von „Sozial"-Wohnungen nur zu einer Verlagerung der Wohnungsknappheit. Wer es sich leisten kann, in einer relativ teuren Wohnung zu wohnen, versucht doch, an eine von der Allgemeinheit geförderte Wohnung zu kommen. Auf diese Weise entsteht das nachgerade klassische Phänomen der Warteschlangen, bei der letztlich der profitiert, der am geschicktesten operieren kann und die besten „Beziehungen" hat - und dies sind in der Regel nicht die Ärmsten.

Das Konzept des „Basiswohlstands" müßte demnach verbunden werden mit einem Abbau des Angebots an staatlichen (Sozial-)Leistun-gen zum „Nulltarif. Gleichzeitig könnte man jeder Familie je nach Einkommenshöhe bestimmte Aus-bildungs-, Gesundheits- oder Wohnungskredite bereitstellen, mit denen sich bestimmte Leistungen auf dem Markt kaufen ließen. Auf diese Weise würde den armen Familien genau ihren Bedürfnissen entsprechend geholfen, ohne zugleich die Preis- und Verteilungsmechanismen zu verzerren.

Dieses System würde zu einem Wettbewerb unter den Anbietern öffentlicher Güter und dadurch wieder zu einer größeren Vielfalt und Qualität der angebotenen Leistungen führen (und die Kosten auf Dauer wohl auch reduzieren). Schließlich erscheint dieses System als eine der ganz wenigen Möglichkeiten, die allgemeine Krise der öffentlichen Finanzen bei einer gleichzeitigen Förderung des Angebots qualitativer Sozialleistungen zu überwinden.

Der Staat, seine Parteien und seine Regierung müßten sich freilich zuvor dazu entschließen, daß es viel zu kostspielig ist, Institutionen an Stelle der von ihnen angebotenen Leistungen zu finanzieren.

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