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Sozialisten finden keinen Weg zu „ihrem Bad Godesberg“

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Italien ist das einzige Land Westeuropas und der lateinischen Welt mit einer schwergewichtigen und bestens organisierten kommunistischen Partei und einer verhältnismäßig kleinen und wenig schlagkräftigen sozialistischen Partei. Seit den fünfziger Jahren ist die KPI mehr und mehr zum Sammelbek-ken der italienischen Linkskräfte, überhaupt der „Intelligentsia“ geworden. PSI (Partito Socialista Italiano) sah sich von der KPI zusehends ins Eck gedrängt, bis der sozialistische Stimmenanteü mit 9,6 Prozent bei den letzten Parlamentswahlen vor zwei Jahren weniger als ein Drittel des kommunistischen Löwenanteüs am italienischen Elektorat ausmachte.

Wird das anders werden? Im Blick auf die Ergebnisse der Gemeinde- und Provinzwahlen vom 14. Mai könnte man es fast annehmen. Die Sozialisten vermochten wiederum rund die Hälfte der kommunistischen Stimmen zu erringen und feierten den Ausgang dieser Partialwahlen - jeder zehnte war an der Urne - im Zentralkomitee als großen Erfolg.

Bei der Wahlanalyse im KPI-Haupt-quartier beschönigte Enrico Berlin-guer den kommunistischen Stimmenrückgang von 33,3 auf 26,4 Prozent keineswegs, gab dann aber zu bedenken, daß die Niederlage der KPI von Mitte Mai mehr scheinbar als wirklich sei. Vor zwei Jahren - bei den großen Wahlen - angelten die Kommunisten

viele sozialistische Stimmen, alle jene, die überzeugt waren, daß die KPI der Democrazia Cristiana den Rang als erste italienische Partei ablaufen könnte.

Das „bessere“ Abschneiden des PSI in den Partialwahlen vor zwei Wochen stellt im Grunde keinen Erfolg der Sozialisten und keinen Mißerfolg der Kommunisten dar. Dieses Wahlergebnis ist vielmehr der Tatsache zuzuschreiben, daß viele Sympathisanten des PSI nicht länger auf den „sorpas-so“ hoffen, also glauben, daß eine Linkspartei in absehbarer Zeit der Democrazia Cristiana den „besten Platz an der Sonne der Macht“ ablaufen könne.

Anfang der zwanziger Jahre, kurz vor Mussolinis Marsch auf Rom, war es ein Carlo Rosselli, der lange vor den deutschen Sozialdemokraten die Überlegenheit der freien Marktwirtschaft in Sachen Produktivität und Wirtschaftswachstum erkannt und eindringlich vor den Verstaatlichungen und Verplanungen im Rahmen der kommunistischen Wirtschaftspolitik gewarnt hatte. Bei den unbeugsamen Marxisten stieß Rosselli jedoch auf taube Ohren. Ob dem jetzigen PSI-Ge-neralsekretär Bettino Craxi ein besseres Los beschieden sein wird, muß bezweifelt werden.

Mit Craxis Unterstützung hat sich nämlich das sozialistische Zentralkomitee wenigstens auf lange Sicht für die Linksalternative zur Ablösung der

christdemokratischen Vorherrschaft ausgesprochen. Ein paar hundert Meter davon entfernt setzte sich jedoch Berlinguer an der „Straße der dunklen Geschäfte“ abermals gegen eine solche Volksfront und für den historischen Kompromiß mit der christdemokratischen Gegenseite ein.

Während Craxi im Fall Moro stets eine Türspalte weit für Verhandlungen mit den Roten Brigaden offenhielt, bezogen die Kommunisten gegenüber diesen verblendeten „Möchtegernrevolutionären“ und ihren Ansprüchen auf Freilassung der Angeklagten im Turiner Prozeß stets eine rigoros ablehnende Haltung. Im Referendumskampf um Beibehaltung oder Abschaffung des Gesetzes zum verbesserten Schutz der öffentlichen Sicherheit empfahl PSI seinen Wählern die Entscheidung nach freiem Gewissen. Im Blick auf Moros tragisches Ende verpflichtete hingegen Berlinguer die Kommunisten zur Unterstützung der 1975 verschärften „Maßnahmen im Kampf gegen den Terrorismus“.

Es ist keine große Übertreibung, wenn man festhält: In Rom sind gewisse Leute Bad Godesberg - also der Zuwendung der Sozialdemokraten zum freien Westen, zu seiner Wirtschaftsordnung, zur Verteidigung der demokratischen Institutionen - etwas nähergerückt. Zu diesen Leuten gehören aber weniger die italienischen Sozialisten, sondern vielmehr die italie-

nischen Kommunisten. Dies ist die besondere Problematik der italienischen Politik und zuletzt ein Grund für die Krise des PSI, dieser sozialistischen Partei, die es mit ihrer Zick-Zack-Poli-tik, den vielen Fehlentscheiden und Kurzschlußhandlungen nicht verstanden hat, das eigentliche Sammelbecken der italienischen Linkskräfte zu werden und den Wählern eine glaubwürdige demokratische Alternative zur christdemokratischen Vorherrschaft anzubieten.

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