6812428-1972_42_03.jpg
Digital In Arbeit

Sozialpartner - oder Machtkonzentration

19451960198020002020

Die Sozialpartnerschaft gerät neuerdings in den Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung: die in der letzten Zeit wiederholt vorgetragenen Forderungen des Gewerkschaftsbundes könnten die Zusammenarbeit der Verbände nämlich heftiger denn je strapazieren — etwa das Verlangen nach Mitbestimmung durch einen höheren Anteil von Aufsichtsräten in den großen Kapitalgesellschaften; oder Fragen der Einkommensverteilung und des ORF. Damit aber wird neuerlich die Frage aktuell, ob das. bisher gehandhabte Prinzip der Bestimmung der Wirtschaftspolitik Österreichs am runden Tisch der Sozialpartner ohne gesetzliche Grundlage und außerhalb des Parlaments auch weiterhin noch zu vertreten ist; obwohl schon unzählige Varianten einer Einbindung der Verbände in eine (verbesserte) zweite Kammer — an Stelle des Bundesrates oder neben ihm— erwogen und im Rahmen der Demokratiereformdiskussion erläutert wurden.

19451960198020002020

Die Sozialpartnerschaft gerät neuerdings in den Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung: die in der letzten Zeit wiederholt vorgetragenen Forderungen des Gewerkschaftsbundes könnten die Zusammenarbeit der Verbände nämlich heftiger denn je strapazieren — etwa das Verlangen nach Mitbestimmung durch einen höheren Anteil von Aufsichtsräten in den großen Kapitalgesellschaften; oder Fragen der Einkommensverteilung und des ORF. Damit aber wird neuerlich die Frage aktuell, ob das. bisher gehandhabte Prinzip der Bestimmung der Wirtschaftspolitik Österreichs am runden Tisch der Sozialpartner ohne gesetzliche Grundlage und außerhalb des Parlaments auch weiterhin noch zu vertreten ist; obwohl schon unzählige Varianten einer Einbindung der Verbände in eine (verbesserte) zweite Kammer — an Stelle des Bundesrates oder neben ihm— erwogen und im Rahmen der Demokratiereformdiskussion erläutert wurden.

Werbung
Werbung
Werbung

Das hochentwickelte wirtschaftliche Verbandswesen, die ausgeprägte Sozialpartnerschaft, vor allem aber die enge Verbindung von Parteien und Verbänden lassen eine Kennzeichnung der österreichischen Demokratie als Verbändestaat zumindest diskutabel erscheinen. Verbändedemokratie und Verbändestaat sind dabei freilich vieldeutige und etwas schillernde Begriffe, die manche Deutungen ermöglichen. Sinnvoller als die Einordnung der österreichischen Demokratie unter ein derartiges Schema dürfte daher der Versuch sein, die einmalige Form, in der sich das Verbändewesen, vor allem im Bereich der wirtschaftlichen Interessenvertretungen, in Österreich entwickelt hat, als arteigenes und spezifisches österreichisches Sozialsystem zu kennzeichnen und Thesen — wie die im Titel genannten — für die weitere Entwicklung als Postulat herausstellen.

Die großen wirtschaftlichen Inter-essensvertretungen zeigen ihre starke Machtstellung in weiten Bereichen des politischen Lebens, vor allem in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, wo sie in den letzten Jahren manche Entwicklungen nicht nur beeinflußt, sondern maßgebend mitbestimmt haben. So wurde die letzte Verlängerung der Wirtschaftsgesetze und die Novellierung des Preisregelungsgesetzes trotz des ursprünglichen Scheiterns der parlamentarischen Verhandlungen schließlich doch durch den übereinstimmenden Willen der Sozialpartner durchgesetzt. In den Fragen der Stabilisierungspolitik läßt sich dieser dominierende Einfluß der Sozialpartner immer wieder nachweisen; in manchen Bereichen haben die Empfehlungen des Wirtschafts- und Sozialbeirates die Entwicklung bestimmt.

Gerade diese Beispiele zeigen, daß in Fragen, in denen die Wirtschaftsverbände auf der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite übereinstimmende Empfehlungen oder Richtlinien erarbeiten, nicht vorwiegend Interessenstandpunkte zum Ausdruck kommen, sondern weithin eine Gemein-Wohlorientierung. Empfehlungen zur Wachstumspolitik, zur Entwicklung des Kapitalmarktes, zur längerfristigen Orientierung der Budgetpolitik, zur Integrationsfrage, zur besseren Baukoordinierung, zur Arbeitsmarkt- und Arbeitszeitpolitik etwa zeigen diese Orientierung am gesamtwirtschaftlichen Interesse deutlich. Wenn nun eine Orientierung am Gesamtinteresse vorliegt, warum sollte dann dennoch Verbändepolitik nur außerhalb des Parlaments gemacht werden?

Stabilisierung der Innenpolitik

Zunächst soll deutlich gemacht werden, daß die These, Verbändepolitik nur außerhalb des Parlaments zu machen, nicht bedeutet, bestehende Verflechtungen zwischen Parteien und Verbänden zu verändern. Für die Demokratie ist kontinuierliche Entwicklung einmal angelaufener Prozesse von großer Bedeutung. In Österreich sind von den Verbänden auf das demokratische Leben sehr fruchtbare Einflüsse ausgegangen. Der Geist der Sozialpartnerschaft hat entscheidend zur Stabilisierung der Innenpolitik gegenüber den Fehlentwicklungen in der Ersten Republik beigetragen. Die Wirtschaftsverbände haben aber Anteil an der Versachlichung der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Typisch dafür ist die Institution des Wirtschaftsbeirates, der einzig in Westeuropa als ein reines Sozialpartnergremium wirtschaftspoli-tische Empfehlungen an die Regierung (wenn auch im Wege der Paritätischen Kommission) richtet. Schließlich ist die Paritätische Kommission mehr geworden als eine Schieds- und Schlichtungsinstanz in Lohn- und Preisfragen. Sie wurde darüber hinaus zu einem Ort der Begegnung von Regierungs- und Verbändefunktionären, zu einer Gelegenheit von Aussprachen über entscheidende wirtschaftspolitische Fragen. So kommt der Kommission auch eine bedeutende Informations- und Friedensfunktion zu.

Die engen Verflechtungen zwischen Parteien und Verbänden ermöglichen es, personelle Verbindungen vielseitiger Art zu realisieren. Dadurch konnte erst die erwähnte befruchtende Wirkung von den Verbänden auf die Parteien ausgehen. Auch diese Gegebenheiten werden durch die These .Verbändepolitik nur außerhalb des Parlaments“ nicht berührt. Worin liegt nun die eigentliche Problematik?

Keine unbeschränkte Gewerkschaftsmacht

Zunächst bedeutet diese These, daß die Verbände nicht unmittelbar im Parlament vertreten sein sollen, weder in einer eigenen Kammer noch in einer wie immer vorgesehenen Form. Wie umfangreich auch immer der Kreis der Mitglieder oder Interessenten sein mag — auch die großen Wirtschaftsverbände stellen nur Vertretungen eines Teiles der Bevölkerung dar. Es ist daher kein Formalismus, wenn eine solche klare Trennung zwischen Parteien und Verbänden im Verhältnis zum Parlament gefordert wird. Die unerhörte Vielfalt der Verbandsbildungen in der modernen Demokratie und speziell in Österreich würde etwa eine eigene Kammer auch enormen Belastungen im Ausgleich zwischen den Verbänden aussetzen. Das sozialpartnerschaftliche System bietet demgegenüber den Vorteil, daß es sich um eine Gegenüberstellung von Wirtschaftsorganisationen mit vergleichbarer (wenn auch nicht gleicher) Machtstellung handelt. Damit werden auch Gefahren vermieden, die zu einer Machtkonzentration der Gewerkschaften führen könnten. Das österreichische System sichert den Gewerkschaften bedeutsamen Einfluß, ohne ihnen aber eine solche Machtfülle einzuräumen, wie dies in Ländern ohne umfassend organisierte Arbeitgebervertretungen der Fall ist. Die Vermeidung cter Machtkonzentration ist eines der wichtigsten Ziele der parlamentarischen Demokratie: So wird die These, „Verbändepolitik nur außerhalb des Parlaments“ auch zur Entscheidung über geballte oder dezentralisierte Verbandsmacht.

Eine Verbändekammer würde, auch wenn ihr ein starker Einfluß auf die Gesetzgebung zukäme, eher weniger zur Versachlichung etwa der Wirtschaftsgesetzgebung beitragen können, als dies durch eine Intensivierung vorbereitender Arbeiten ermöglicht werden kann. Vom traditionellen Begutachtungsverfahren ausgehend, zeigt sich ein immer stärkeres Bedürfnis nach einer umfassenderen und kritischeren Vorbereitungsarbeit schwieriger Gesetzesvorhaben, und i dies keineswegs nur in der Wirtschaftsgesetzgebung. Die Schaffung von Gremien, wie des Wirtschaftsbeirates und vergleichbarer Organe, die Intensivierung der Tätigkeit in diesen Gremien, dürfte daher mehr bringen als am grünen Tisch skizzierte parlamentarische Reformprojekte. Gerade im Bereich der Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsgesetzgebung spricht die Notwendigkeit einer längerfristigen Disposition, einer Berücksichtigung der Ergebnisse mittel- und längerfristiger Wirtschafts- und Sozialprognosen für eine Konzentration auf die vorbereitenden Arbeiten, bei denen den großen Wirtschaftsorganisationen in Österreich hervorragende Bedeutung zukommt.

Verbände verbreitern auch die Möglichkeiten der parlamentarischen Willensbildung, dies allerdings nur dann, wenn sie selbst nicht das parlamentarische Geschehen bestimmen. In dem komplizierten inner-verbandlichen Willensbildungsprozeß wirken bei allen Verbandsgruppen viele meinungsbildende Faktoren mit. Das Funktionieren der modernen Demokratie setzt neben den durch die Wahlen gegebenen Entscheidungen vielfältige laufende willensbildende Prozesse voraus, bei denen es grundsätzlich nicht möglich ist, diese Willensbildung in ähnlicher Weise egalitär zu vollziehen wie bei den Wahlentscheidungen. Die Verbände ermöglichen weithin eine auf breite Meinungsbildung in den Fachorganisationen und regionalen Gliederungen gestützte Mitwirkung an allen diesen Entscheidungen.

Die Verbände können aber auch das demokratische Leben insofern bereichern, als die in sich stark gegliederten Organisationen — wie etwa die Handelskammern — durch breite Diskussionen und Auseinandersetzungen über die laufenden und grundsätzlichen Fragen geradezu eine „Schule zur Demokratie“ darstellen können. Innerverband-liche Demokratie wird in einem Land zu einer erstrangigen Forderung, in dem die Bedeutung und Machtstellung der Verbände so groß ist. Darin erschöpft sich freilich nicht die Bedeutung der Verbände für die Demokratiereform. Entscheidend ist immer, daß die Verbände bei ihrem Versuch, Interessen außerhalb des Parlaments zu vertreten. nicht machtpolitische Zielsetzungen voranstellen, sondern die Einsicht, Teilinteressen zu vertreten, die immer eines Ausgleiches bedürfen. Damit ergeben sich gewiß Grenzen für eine solche Interessenvertretung; dies bedeutet aber nicht, daß die Verbände ihre Interessen nicht klar und deutlich akzentuiert zur Diskussion stellen sollten. Im Gegenteil: gerade harte Konfrontation kann viel zu der für die Demokratie so wichtigen öffentlichen Diskussion beitragen. Nur wenn sich damit ein wirtschaftlicher Druck verbindet, der ein im Kräftespiel der Demokratie zulässiges Maß überschreitet, erweist sich ein Verband nicht mehr als Ordnungs- sondern als Störungsfaktor. Derartige Entwicklungen zu vermeiden, wird zur Aufgabe einer vor allem vom Parlament getragenen Gesellschaftspolitik.

Verbändepolitik außerhalb des Parlaments hat sich in Österreich gut bewährt, vor allem durch den großen Erfolg einer langfristigen Sicherung des sozialen Friedens, durch die Wirksamkeit der Paritätischen Kommission und der anderen sozialpartnerschaftlichen Einrichtungen wie des Wirtschaftsbeirates. Sicher wird in einer weiteren Entwicklung die Mitwirkung der Verbände am demokratischen Willensbildungsprozeß auch zu neuen Formen der sozialen Steuerung führen können. Die deutliche Trennung der Verbändepolitik von den parlamentarischen Entscheidungen stellt mit der damit verbundenen Dezentralisierung der Macht aber einen integrierenden Bestandteil der parlamentarischen Demokratie dar, auf dessen Erhaltung unter allen Umständen gedrungen werden muß.

Das bedeutet nicht, daß den Verbänden in einer zukünftigen Gesellschaft ein geringerer Einfluß zukommen soll. Im Gegenteil: Vieles spricht heute dafür, daß sich dieser Verbandseinfluß in vielen Bereichen sehr verstärken wird. Die europäische Integration bedingt viele komplizierte Branchenprobleme, deren Lösung höchste Anforderungen an Sachwissen stellt. Dabei ist die Mitwirkung der Verbände und ihrer Experten ebenso unerläßlich wie in den komplizierten Fragen einer Währungs- und Geldpolitik, der Stabilisierungspolitik schlechthin, vor allem der Preispolitik. Gerade der Übergang zur Mehrwertsteuer macht zur Zeit wieder deutlich, daß die Staatsverwaltung überfordert wäre, wenn sie alle diese komplizierten Sachfragen allein lösen müßte. Dazu kommt noch ein prinzipielles Argument: Würde der Staat alle Angelegenheiten, die von den Verbänden besorgt werden, durch seinen Behördenapparat erledigen, käme es zu einer für die Demokratie gefährlichen Machtkonzentration und Verwaltungshypertrophie.

Unabhängig davon, ob die Verbände öffentlich-rechtliche Körperschaften darstellen, wie dies bei den Handels-, Landwirtschafts- oder Arbeiterkammern der Fall ist, oder ob sie Vereine sind wie der Gewerkschaftsbund und die Industriellen-Vereinigung, stehen ihnen alle Möglichkeiten offen, ihre Forderungen und Initiativen an Regierung und Parlament herantragen zu können — natürlich auch, diese durch nahestehende Abgeordnete unterstützen zu lassen. Die Entsendung von Experten aus den Verbänden in die Ausschüsse oder zu deren vorbereitenden Besprechungen in den Fraktionen ist seit langer Zeit üblich. Damit ergeben sich beachtliche Möglichkeiten einer Mitwirkung an der vorbereitenden Phase der Gesetzgebung, weit über das traditionelle Begutachtungsrecht hinaus, das neben den Kammern auch allmählich den anderen großen Wirtschaftsorganisationen zukäme. Dies setzt aber eine klare Trennung in der Entscheidungskompetenz voraus, nicht nur im Interesse der parlamentarischen Demokratie, sondern auch der Verbände, die ihre Zielsetzungen frei festsetzen sollen, denen aber auch die entsprechende Autonomie und Unabhängigkeit vom Staat zukommen muß, wenn sie ihre Ordnungsfunktion in der pluralistischen Gesellschaft erfüllen sollen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung