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Späte Liebe

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Die sonst so zerrissene Welt übt sich in Einigkeit; zumindest in der Ablehnung der französischen Xuklear-Tests. Bloß in Peking und Moskau herrscht entgegen sonst geübter Praxis diesmal Übereinstimmung. Das eigene schlechte nukleare Gewissen drückt. Schon wurde eine politische Legende geboren, daß angeblich Staatspräsident Pompidou „riierci, Monsieur Mao' gerufen haben soll, als er die Nachricht von der chinesischen Atomexplosion über Sinkiang hörte.

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Die sonst so zerrissene Welt übt sich in Einigkeit; zumindest in der Ablehnung der französischen Xuklear-Tests. Bloß in Peking und Moskau herrscht entgegen sonst geübter Praxis diesmal Übereinstimmung. Das eigene schlechte nukleare Gewissen drückt. Schon wurde eine politische Legende geboren, daß angeblich Staatspräsident Pompidou „riierci, Monsieur Mao' gerufen haben soll, als er die Nachricht von der chinesischen Atomexplosion über Sinkiang hörte.

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In der Tat, die Chinesen hätten Frankreich keinen besseren Dienst erweisen können, als dm Spiel, Atompilze über Asien zu-setzen, den Vorreiter abzugeben. Sie bestärkten in ihrem Handeln die Franzosen, sich ebenfalls nicht dem nuklearen Monopol der Supermächte auszuliefern. Der sowjetisch-amerikanische Pakt über die Verhinderung nuklearer Konflikte, zwischen Breschnjew und Nixon jüngst ausgehandelt, hat die Nachzügler im Atom-Wettrennen in ihrer Ansicht bestätigt: Die Großen sind entschlossen, ohne Rücksicht auf schwächere Nationen Weltpolitik zu machen.

Dabei stellt sich die Lage der beiden Außenseiter im Atomklub doch recht unterschiedlich dar. Frankreich steht trotz seines Austritts aus der NATO, der sich zum überwiegenden Teil an der nuklearen Frage entzündete, nach wie vor unter dem amerikanischen Atom-Schirm. China indes kann sich nicht auf einen alliierten nuklearen Partner verlassen. Zudem muß es damit rechnen, daß sein künftiger Rivale, das japanische Inselreich, dank seiner technologischen Potenz ohne besondere Vorbereitungszeit die nukleare Plattform erklimmt. Das Riesenreich sieht seine naturgegebene Stärke, die riesige Landmasse, von einer atomaren Einkreisung bedroht.

Das Problem atomarer Bündnisse birgt zweifelsohne nicht nur nuklearen Sprengstoff. Der Nordatlantikvertrag sieht vor, daß ein Angriff gegen einen der Unterzeichnerstaaten als ein Angriff gegen alle Mitglieder betrachtet wird, es jedem der Verbündeten aber freisteht, zu bestimmen, auf welche Weise er dem Angegriffenen zu Hilfe kommt. Aus der Tatsache, daß die Vereinigten Staaten sich das Recht vorbehalten, über den Einsatz der unter ihrer Oberhoheit stehenden Atomwaffen selbst zu entscheiden, läßt sich ableiten, daß sie die Möglichkeit in Betracht ziehen, diese unter bestimmten Umständen nicht einzusetzen.

Was bleibt aber dann vom Wert eines Bündnisses übrig?

Die Franzosen glaubten, allen voran General de Gaulle, aus dieser Ableitung den Schluß ziehen zu müssen, daß Bündnisse im Atomzeitalter ihren Sinn verloren hätten, da jede Solidarität angesichts der gewaltigen Risiken für die eigene Nation zerbrechen müßten.

Die Beispiele dazu finden sich leicht in der Geschichte dieses Jahrhunderts: jedesmal, wenn ein Land glaubte, daß es die Solidarität mit seinen Verbündeten allzu großen Gefahren aussetzte, hat es das Bündnis gebrochen. Der Erste und Zweite Weltkrieg geben ein beredtes Zeugnis dafür ab.

Vorerst mag allerdings die Haltung der französischen Regierung im atomaren Bannkreis für manche unverständlich bleiben. Was in Camp David zwischen Breschnjew und Nixon vereinbart wurde, war ja bereits längst geübte Praxis geworden. Die Schlußfolgerung, in Paris angestellt, daß das Breschnjew-Nixon-Übereinkommen zur Verhinderung atomarer Auseinandersetzungen automatisch den amerikanischen Atomschild über Europa durchlöchert, entbehrt vorerst nicht die Gefahr der schroffen Zurückweisung durch die Nixon-Administration. Der ame-“':anische Präsident dieser Tage steht, anders als seine Vorgänger, einer europäischen Nuklearmacht viel aufgeschlossener gegenüber. Diese Haltung ist geradlinig aus seiner Doktrin abzuleiten: Verbündete sollen selbst für ihre Sicherheit sorgen.

Eine europäische Atomstreitmacht ist allerdings trotz des Wohlwollens der USA noch in weite Ferne gerückt. Zwar hat angeblich Präsident Nixon den Briten grünes Licht gegeben, bestimmte nukleare Geheimnisse, die von dem britisch-amerikanischen Austauschabkommen erfaßt sind, den Franzosen für ihre Nuklearrüstung freizugeben. Damit könnte Nixon auch versucht haben, die Franzosen in letzter Minute von ihrem Alleingang im Pazifik abzuhalten. Eines der populärsten Argumente gegen die Tests über dem Mururoa-Atoll ist doch, daß es sinnlos sei, das nachzuvollziehen, was die Menschheit bereits vor Jahren, unter der gleichen Bedrohung der Tests stehend, an Erfahrungen sammeln konnte.

Voraussetzung für eine engere atomare Zusammenarbeit zwischen Briten und Franzosen wären in erster Linie zwei Dinge: erstens, was Frankreich in der Ära der Erben de Gaulies hartnäckig verweigert — eine auch institutionelle Rückkehr in die NATO. Eine oberflächliche Integration auf Teilgebieten besteht ja seit einigen Jahren, zweitens, was allerdings ebenso schwer zu erreichen sein wird — eine nach außen gemeinsam demonstrierte Übereinstimmung der amerikanischen Parteien in der Außenpolitik.

Solange die Gefahr besteht, daß nach Nixon und Kissinger ein Mans-field oder Fulbright den Kurs der Vereinigten Staaten gegenüber Europa stärker als heute bestimmen, kann man die Bedenken der Pariser Führung verstehen.

Frankreichs Atomrüstung ist also nicht eine Frage des atomaren Prestiges, sondern das Ergebnis einer strategischen, wenngleich pessimistischen Weltsicht. Und mit Recht können die Planer im Verteidigungsministerium von Paris darauf hinweisen, daß auch schon die Möglichkeit eines (kleinen) Atomgegenschlags auch Großmächte zurückschrecken läßt, überhaupt Atomwaffen in Europa einzusetzen.

Der von Frankreich praktizierte Alleingang wird aber unter dieser Drohung noch . unverständlicher; warum ist für Pompidou eine gemeinsame Verteidigungs- und Außenpolitik der europäischen Gemeinschaft nicht opportun?

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